"Der Charakter offenbart sich nicht an großen Taten;
an Kleinigkeiten zeigt sich die Natur des Menschen."
an Kleinigkeiten zeigt sich die Natur des Menschen."
(Jean-Jacques Rosseau)
Der neue Untertitel dieses Blogs
lautet: „ Über das Leben, das Universum und dem ganzen Rest“. Um
den „alles umfassenden Anspruch“ dieser Worte ein wenig gerecht
zu werden, möchte ich heute in diesem Essay von einer erlebten
Episode aus jüngerer Vergangenheit berichten, die nach meiner
Auffassung sehr schön aufzeigt, wie eine gewisse Charakterreife und
moralische Verantwortung zusammenhängen - und zwar in ganz
alltäglichen, kleinen Dingen.
Kot in der Waschküche
Der Austragungsort
dieses makellosen Beispiels von pubertären Trotz im Erwachsenenalter
ist irgendwo im Süden von Deutschland, genauer in Franken. Im Juni
letzten Jahres beziehe ich hier meine neue Wohnung. Das angemietete
Ein-Zimmer-Appartement befindet sich in einem Einfamilienhaus,
welches wiederum eine Art Wohngemeinschaft darstellt. Im Erdgeschoss
wohnt der Vermieter Martin mit seiner Lebensgefährtin Ramona. (Nach
kurzem Abwägen habe ich mich doch für Pseudonyme und gegen die
Klarnamen entschieden)
In der ersten Etage befinden sich die drei Einzelzimmer sowie die Gemeinschaftsräume Küche und Bad, die zusammen als WG fungieren. Unter dem ausgebauten Dach befindet das Appartement, das ab sofort mein neues Zuhause sein sollte.
In der ersten Etage befinden sich die drei Einzelzimmer sowie die Gemeinschaftsräume Küche und Bad, die zusammen als WG fungieren. Unter dem ausgebauten Dach befindet das Appartement, das ab sofort mein neues Zuhause sein sollte.
Einige Wochen nach
meinen Einzug kam es zu der Situation, dass Martin, Ramona und ihr
kleiner Sohn für einige Tage verreisen. Dieser Patchworkfamilie
gehören auch noch zwei kleine Hunde an, landläufig bekannt als
Zwergpinscher – manche benützen auch das weniger geflügelte Wort
„Teppichratten“. Tom und Kinka, so die Namen der beiden
Pinscher, dürfen den dazugehörigen Garten mit Rasenfläche ihr
Revier nennen. Das jedem Hundebesitzer vertraute morgendliche und
abendliche Gassi-Gehen fällt aus. Dazu müsste sich ja einer der
Beteiligten
bewegen und feste Zeiten einhalten. Am ehesten wäre das wohl
die offizielle Besitzerin Ramona. Da man aber solch kleine Hunde auch
einfach den Garten vollpissen und -kacken lassen kann, ohne das es
allzu sehr auffällt und stinkt, geht man von Seiten der Besitzerin
her einfach den Weg des geringsten Widerstands.
An einem schönen
Sonntagnachmittag gehe ich zum obligatorischen wöchentlichen Wäsche
waschen runter in den Keller. Unmittelbar bevor ich die Holztür
öffne, höre ich von innen heraus ein nicht identifizierbares
Kratzen an der Tür. Ich halte kurz inne, öffne dann aber doch die
knarrende Tür zu der gemeinschaftlich genutzten Waschküche. Kaum
ist die Tür einen Spalt geöffnet, kommt mir ein vierbeiniges Etwas
wie eine Rakete entgegen gerannt und verschwindet im Hausflur. Zuerst
bin ich verdutzt und frage mich, was das war. Schließlich gehe ich
weiter in den Waschraum hinein und traue meinen Augen kaum vor den
Waschmaschinen steht ein Hundekorb, zwei leere Futterschalen und
daneben ein Katzenklo - alles in einem verdreckten Zustand. Als ich
mich umschaue, entdecke ich überall auf dem Steinboden verstreuten
Hundekot. Kinka, das Weibchen, muss hier schon seit ein paar Tagen
hausen. Ich bin zuerst mal fassungslos. Nicht nur das der kleine Hund
unter völlig inakzeptablen Umständen in den Keller verfrachtet
wurde - offensichtlich mangels Alternativen während des Kurzurlaubs
-, nein, erschwerend und noch unfassbarer kommt hinzu, dass es sich
hier um eine gemeinschaftlich genutzten Waschraum handelt, in dem
Wäsche gewaschen und aufgehängt wird.
Ich spüre, wie in
mir eine Mischung aus Mitgefühl und Wut aufsteigt. Einerseits
Mitgefühl, weil ich von oben den winselnden Hund höre, wie er vor
der verschlossenen Wohnungstür seines „Frauchen“ sitzt,
andererseits Wut über so viel Herzlosigkeit einem Tier gegenüber.
Ohne all zu lange nachzudenken, beschließe ich zu handeln. Nachdem
ich meine Maschine angestellt habe, rufe ich Martin auf dem Handy an
und schildere ihm die von mir vorgefundene Situation. Ich merke, dass
ihm das Ganze ein wenig unangenehm ist. Er stochert nach Sätzen
wie„mir war das auch nicht recht, aber Ramona meinte, das wäre
okay.“ Mir kommt spontan die Frage in den Sinn, wer denn hier der
Hausbesitzer sei.Ich frage nach, was ich denn jetzt tun solle, da der
Hund vor der Wohnungstür sitzt und jammert. „Pack sie wieder in
die Waschküche“, lautet die kurze Antwort. Nach dieser Aussage
dreht sich zwar bei mir kurzzeitig der Magen um, trotzdem bestätige
ich ihm das Anliegen und lege auf.
Ich bin hin- und
hergerissen: einerseits ist es nicht mein Hund und somit könnte es
mir egal sein, andererseits empfinde ich in meinem Inneren ein
moralisches Verantwortungsbewusstsein, das über „mein Hund oder
nicht meiner“ hinausgeht. Davon abgesehen wurde die Angelegenheit
in dem Moment, als der verdreckte Hund durch die Tür gerauscht kam,
auch zu meiner Angelegenheit. Ich nehme das verschreckte Tier auf
den Arm – es zittert wie Espenlaub - , streichele die kleine Hündin
ein wenig und setze sie mit großen Widerwillen wieder zurück in ihr
„Gefängnis“. Ich muss in Windeseile die Tür hinter mir
schließen, da sie weiß, wo sich die Pforte zur Freiheit befindet.
Kurze Zeit später, als ich mich wieder in meiner Dachgeschosswohnung
befinde, beschäftigt mich dieses Ereignis weiterhin. Ständig denke
ich an das kleine Wesen drei Etagen unter mir, das sich in ihren
eigenen Dreck und Kot aufhalten muss.
Am schlimmsten
sind meine eigenen Gewissensbisse. Am liebsten würde ich das
Veterinäramt verständigen - dann drängt sich aber eine andere
Stimme in mir auf, die mir einflüstert, dass ich erst seit zwei
Monaten hier wohne und nicht gleich Unfrieden stiften soll. Hinzu
kommt, dass ich ein Mensch bin, der anhaltende Disharmonie und
Missgunst auf solch engen Raum nicht lange aushält. Man begegnet
sich hier eindeutig öfters als beispielsweise in einem
Mehrfamilienhaus mit 10 Parteien. So beruhige ich mein Gewissen,
indem ich im Laufe des Nachmittags mehrmals in die Waschküche gehe
und mich um das verängstige Wesen kümmere. Ich lasse die Hündin
hinaus in den Garten, streichle sie und fülle ihr Futter nach. Zu
diesem Zeitpunkt gehe ich noch davon aus, dass ich dem Tier sowie
dessen Besitzerin einen großen Gefallen erweise. Ich sollte mich
irren.
„Kümmere dich um deinem Kram“
Am Dienstag, zwei
Tage nach meinem Fund in der Waschküche, sind Martin und Ramona
wieder da. Entspannt und gelöst klopfe ich an ihre Wohnungstür und
frage ob ich hineinkommen darf. Bis zu diesem Zeitpunkt glaube ich
noch, alles richtig gemacht zu haben, ja sogar eine gute Tat für
ihren geliebten Hund vollbracht zu haben. Die Familie sitzt am
Küchentisch und isst gerade zu Mittag. Ich setze mich dazu. Nach
ersten Floskeln über den Urlaub frage ich mit einem etwas zynischen Lächeln, ob den der Hund noch lebe. Innerhalb von einer
Sekunde lässt Ramona ihre Gabel auf den Teller fallen, springt wie
von einer Tarantel gebissen von ihrem Stuhl auf, steckt sich hastig
einen Zigarette an und läuft in Richtung Fenster. “Natürlich lebt
der noch!“ Für einige Sekunden herrscht betretendes Schweigen am
Mittagstisch. Martin schaut mich mit einer Mischung aus Mitleid und
Hilflosigkeit an. Er ist dann auch der Erste, der das Wort wieder
ergreift und versucht, durch einen Themenwechsel die Situation zu
retten. Es werden ein paar oberflächliche Sätze ausgetauscht, was
aber an der grundsätzlichen prekären Situation nichts ändert. Ich
bin zuerst mal perplex und überrumpelt, da ich nicht direkt
ergründen kann, warum es zu diesem emotionalen Ausbruch kam. Fünf
Minuten setze ich mich der unangenehmen Situation noch aus, dann
verabschiede ich mich in Richtung Arbeitsstelle.
Erst nach einigen
Minuten Abstand wird mir die Tragweite der ganzen Situation bewusst.
Hier fühlt sich jemand massiv in seinen Persönlichkeitsrechten
angegriffen – oder man könnte auch sagen: Misch dich nicht in
meine Angelegenheiten ein. Ist dies wirklich so? Habe ich hier
irgendwelche Rechte verletzt oder mich in fremde Angelegenheiten
eingemischt?
Die Konsequenzen
dieses vermeintlichen Übergriffs bekomme ich von Ramona die nächsten
Tage deutlich zu spüren. Von der anfänglichen Sympathie mir
gegenüber ist nichts mehr vorhanden - wobei sie mir vom ersten
Handschlag an sowieso eher oberflächlich vorkam. Während der kurzen
Begegnungen in Treppenhaus oder Garten straft sie mich mit einer
eiskalten Nichtbeachtung. Sie versucht tunlichst mir nicht zu
begegnen, und wenn es doch mal nicht zu vermeiden ist, ignoriert sie
meine Blicke und geht schweigend an mir vorbei. Mich lässt die
Situation nicht unberührt, obgleich ich mir nach wir vor keiner
Schuld bewusst bin, und ich aus einem reinem Gewissen heraus
gehandelt habe.
Eine Woche schaue
ich mir das Spektakel mit an. Dann ergreife ich die Initiative und
suche das Gespräch – und zwar zu dritt: Martin, Ramona und ich.
Es findet auf der Treppe vor dem Haus statt. Schon nach wenigen
Minuten bestätigt sich mein gewonnener Eindruck der letzten Tage, in
Hinblick auf die Konfliktfähigkeit dieser Frau. Ich schildere noch
mal aus meiner Sicht die Situation, die ich vor rund zwei Wochen
vorgefunden habe. Während der Schilderung verlässt Ramona
ohne einen weiteren Kommentar das Gespräch und geht ins Haus. Schon während meiner Ausführungen konnte sie mir nicht in die Augen
sehen. Ich spreche mit Martin zuerst einmal alleine weiter. Bei ihm
fallen meine Worte nicht in taube Ohren, sie fallen auf einen ganz
anderen Verständnishorizont. „ Ich kann dich voll verstehen wie du
gehandelt hast“ und „Ich sagte zu Ihr, das mir das auch nicht
recht sei, den Hund in die Waschküche zu sperren“ sind zwei
seiner Aussagen. Plötzlich erscheint Ramona wieder auf dem
Treppenabsatz. Die Arme verschränkt, Blick nach unten gerichtet und
einem Ausdruck im Gesicht, der nur eines sagt: Misch dich nicht in
meine Angelegenheiten ein. Ich setze das Gespräch mit Martin
fort und plötzlich ertönt es vom Treppensockel in gereizter
Tonlage: „Kümmere dich um deinen Kram.“
Ich spüre
deutlich die dahintersteckende Aggression. Ich erwidere etwas, an das
ich mich nicht mehr genau erinnern kann, aber an die darauffolgende
Handbewegung von Ramona erinnere ich mich umso genauer. Mit der
linken Hand wischt sie sich über die Rechte, was nur eine
Interpretation zulässt: Leck mich am Arsch! Dreht sich auf dem
Absatz um und verschwindet wortlos wieder im Haus. In Martins Gesicht
erhasche ich wieder diesen Blick aus Mitleid und Hilflosigkeit. Mit
einer Mischung aus Frust und Enttäuschung sage ich zu ihm, dass mein
Dasein als Mieter in diesem Haus keine große Zukunft haben wird,
sollte diese Situation in den nächsten Wochen anhalten . „Ich
werde heute Abend mit Ramona noch einmal eindringlich darüber
sprechen und gebe dir dann Bescheid“, antwortet er.
Eine Woche hält
diese angespannte Situation noch an. Martin gibt mir wenige Tage nach
dem Treppengespräch tatsächlich eine Rückmeldung. Er hätte mit
Ramona noch einmal intensiv darüber gesprochen, dabei auch erwähnt,
dass er genauso gehandelt hätte wie ich. So etwas wie Einsicht hätte
sich bei ihr eingestellt und nach Martins Interpretation wäre von
Ihrer Seite aus kein Groll mehr gegen mich vorhanden und die Sache
somit erledigt. In den alltäglichen kurzen Begegnungen erlebe ich
aber noch eine beleidigte und einsilbige Frau – sie erinnert mich
an eine trotzende Pubertierende. Die kurzen Gespräche sind noch
oberflächlicher und kürzer als sonst und ich spüre ganz deutlich,
dass unter der Oberfläche nach wie vor Zornesbrände flackern. Es
streichen weitere Tage ins Land, in denen mein verkrampfter Magen mir
deutlich signalisiert, dass die Sache zumindest für mich noch nicht
gelöst ist. Innerlich schwanke ich zwischen „die Frau ist mir
egal“ und dem Wiederherstellen wenigstens einer oberflächlichen
Harmonie, nicht zuletzt aufgrund der besonderen Situation im Haus.
Beste Freunde werden wir sowieso nie werden. Eines Nachmittags, als
ich gerade erschöpft von der Arbeit komme, treffe ich sie im
Vorgarten beim Blumengießen. Ich gehe auf sie zu, schaue ihr in die
Augen und strecke ihr meine rechte Hand entgegen. Einige Sekunden
vergehen. Etwas widerwillig streckt sie mir Ihre entgegen, verbunden
mit den Worten: „Habe doch schon gesagt, das alles wieder in
Ordnung ist.“ Das muss irgendwie an mir vorbeigegangen sein!
(M)
eine Interpretation
„Der moderne
Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet“,
schreibt Erich Fromm 1956 in seinem Klassiker „Kunst des
Liebens“ . Für diese
Aussage ist Ramona ein Beispiel par excellence. Abgeschnitten von
ihrem Herz, von ihren Gefühlen und ihrer Herzlichkeit trägt sie
ihre oberflächlichen Masken und spielt ihre internalisierten Rollen.
Als Kind aufgewachsen unter Jungs (nach eigener Erzählung) definiert
sie Ihren Selbstwert, ihre Selbstwahrnehmung über Härte, Strenge,
Aggression, Neid, Besitzgier, Schlagfertigkeit und Kontrollausübung
sich selbst und ihrer Umwelt gegenüber. Wie soll man von einem
solch abgespaltenen, isolierten Individuum erwarten, dass es
Mitgefühl für einen drei Tage lang eingesperrten Hund aufbringen
soll? Es wäre auch möglich, dass
sich Ramona der moralischen Tragweite ihrer Handlung durchaus bewusst
war, aber auch nicht zugeben konnte, dass sie falsch gehandelt hatte.
Möglicherweise hat sie ihren Frust oder die Spannung, die sich
daraus ergab, auch auf mich projiziert.
Manch
aufmerksamer Leser mag jetzt einwerfen, dass ich zu viel
interpretiere oder gar unterstelle, was aber offenkundig nicht
zutrifft. Ich versuche mich lediglich an das zu halten, was ich über
die gesamte Zeit meines Aufenthaltes in diesem Haus beobachten und
wahrnehmen konnte – und das fällt naturgemäß auf einen gewissen
Interpretationshintergrund. Dazu zählt auch, dass immer, wenn ich
Ramona sah, sie mit irgendwas beschäftigt war: entweder mit Rauchen,
an einer Flasche Grafenwalderbier nippen oder dem Herumdrücken auf
ihrem Smartphone oder Ipad. Das fortwährende Betäuben mit
Rauschmitteln (Nikotin, Koffein und Alkohol) verbunden mit dem
ständigen Hang nach Zerstreuung und Ablenkung durch
Unterhaltungselektronik (Flat-Screen, Tabletts, Smartphones) ist ein
signifikantes Merkmal unserer modernen Spaß- und
Reizüberflutungsgesellschaft. „Des Menschen Glück besteht heute
darin, seinen Spaß zu haben. Und man hat seinen Spaß, wenn man sich
Gebrauchsgüter, Bilder, Essen, Trinken, Zigaretten, Menschen,
Zeitschriften, Bücher und Filme „einverleibt“, indem man alles
konsumiert, alles verschlingt. Die Welt ist nur noch da zur
Befriedigung unseres Appetits, sie ist ein riesiger Apfel, eine
riesige Flasche, eine riesige Brust, und wir sind die Säuglinge, die
ewig auf etwas warten, ewig auf etwas hoffen und ewig enttäuscht
werden.“ (E. Fromm, Die Kunst des Liebens, S. 99)
Aus
meinen eigenen Erfahrungen, aus jahrelangen Beobachtungen meines
Umfelds, aus der Lektüre einschlägiger Literatur komme ich heute zu
der Überzeugung, dass moralische Verantwortung - überhaupt ein
Gefühl der Verantwortung für sich und seinen Mitwelt - unmittelbar
mit einer gewissen Charakterreife und einem davor stattgefundenen
Wachstum zusammenhängen. Daraus resultiert auch die Fähigkeit, sich
Konflikten zu stellen und der Versuch, diese konstruktiv zu lösen.
Aus der Psychologie wissen wir, dass es zu einem konstruktiven Umgang
mit Konflikten gehört, unter anderem ein Verständnis von Selbst-
und Fremdwahrnehmung zu besitzen, sowie Empathie und Bereitschaft,
die Ansichten der anderen Streitpartei zu verstehen. Des weiteren
sagt uns die Forschung, dass der Grundstein für diese Kompetenzen in
den frühen Entwicklungsjahren eines Kindes gelegt wird. Wenn man
dies alles miteinbezieht, ist ein Mensch wie Ramona ein Resultat
(oder Opfer) ihrer Erziehung und Prägung – was aber in den meisten
Fällen dem Betreffenden nicht bewusst ist. Das meiste spielt sich
eher unbewusst ab. Gleichzeitig soll dies in keinster Weise eine
Entschuldigung für ein solches Verhalten sein allenfalls eine
Erklärung. Jeder von uns hat die Möglichkeit sich weiter zu
entwickeln, zu wachsen, zum ganzen Menschen zu werden, Verantwortung
für sein Handeln und Nicht-Handeln zu übernehmen. Und auch wenn ich
das hier so vollmundig verkünde, möchte ich doch ganz klar betonen,
dass dies in erster Linie auf mich selber zutrifft, ja mein ständiger
Anspruch ist, den ich mal besser, mal schlechter erfülle.
Das
verstehe ich unter Charakterreifung, einer inneren Entwicklung und
ein Er-Wachsen werden, wie es in so vielen Klassikern der
Weltgeschichte, Werken der Entwicklungspsychologie oder auch der
Integralen Theorie nach Ken Wilber dargestellt wird - und wie ich es
zum großen Teil aus meiner eigenen Biographie heraus erleben durfte.
Ich glaube, dass dies eine der großen Herausforderungen eines
Individuum in der Moderne und aufkommenden Postmoderne ist. Eine
Wiedervereinigung von Gefühl und Ratio, Ich und Wir, von Glaube und
Wissenschaft. Oder, um es abschließend mit den Worten Erich Fromms
zu sagen: „ Die Fähigkeit zur Liebe hängt davon ab, ob es uns
gelingt, unseren Narzißmus und die inzestuöse Bindung an die Mutter
und die Sippe zu überwinden. Sie hängt von unserer Fähigkeit ab,
zu wachsen und eine produktive Orientierung in unserer Beziehung zur
Welt und zu uns selbst zu entwickeln. Dieser Prozess des sich
Sichlösens, des Geborenwerdens, des Erwachens hat als unumgängliche
Voraussetzung den Glauben.
Die Praxis der Kunst des Liebens erfordert die Praxis des Glaubens.“
(Kunst des Liebens, S.133)
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