Samstag, 19. Februar 2011

Eine Reise voller Begegnungen


Das Reisen führt uns zu uns zurück.
Albert Camus

Seit dieser Woche bin ich zurück. Mein Aufenthalt ging über 2 Monate in Indien, er hat Spuren hinterlassen, Prozesse eingeleitet, alte Themen aufgerüttelt. Ja es ist so wie man von langjährigen Indienreisenden immer gehört hat, du kommst als anderer Mensch zurück. Da ich mich ja schon länger auf meiner ganz persönlichen "Reise" befinde, war dieser Aufenthalt, diese intensive Zeit, der letzte Baustein für ein neues Gebilde, einem neuen Abschnitt der nun kommen wird.
Diese Zeit war für mich vor allem eine Zeit der Begegnungen, mit einer anderen Kultur, unterschiedlichen Menschen und mit mir! Es war eine sehr wertvolle Zeit in meinem Leben, in der ich viel lernen konnte, und immer noch tue.

Und das obwohl nach "aussen" gesehen gar nicht viel passiert ist. Ausser den 10 Tagen in Chennai zur Meditation und einem Tagesausflug nach Chidambaram, bin ich nur in Pondicherry geblieben. Nach meinem 10 Tages-Retreat wurde mir klar, ich möchte nicht weiter durchs Land reisen. Es war nicht nur wegen den damit verbundenen körperlichen Strapazen, der Hitze, den tagelangen Zugfahrten oder weil ich alleine hätte aufbrechen müssen, es war vor allem die Erkenntnis, das dies momentan nicht die Zeit dafür ist, für immer neue Eindrücke im Aussen, Sehenswürdigkeiten, Tempel, Strände, nein es war und ist eine Zeit des Innen, der Begegnung mit sich selbst, mit alten Mustern und Verletztungen, ja auch mit alten Glaubenssätzen und Überzeugungen, mit alten Energien die aufgelöst und transformiert wurden.

Nun ich hatte es schon erwähnt, die ersten 3 Wochen war ich wie in einem Kulturschock, nicht nur die Hitze, das Klima an das man sich gewöhnen muss, insbesondere das was man auf den Strassen sieht. Ungefiltert und ohne Vorwarnung wird man damit konfrontiert, Dreck, Gestank, Müll, aber vor allem Leid, Elend, bei Mensch und Tier. Wie geht man damit um, wenn man als "Weißer", als Westler der immer Geld hat, von Frauen mit ihrem Baby auf dem Arm angebettelet wird, mit der typischen Handbewegung zum Mund des Kindes, wie geht man damit um wenn ein zerlumpter Fahrradrikschafahrer 1o Minuten an einem bettelt um für 10 Rupien mit ihm zu fahren, wie geht man damit um wenn man eine Familie mit 3 kleinen Kindern im Dreck leben sieht, mit nichts ausser ein paar Tüten?
Meine Antwort war, das ich mich mit der Zeit daran gewöhnte, was unvermeidlich und notwendig war, trotzdem gibt es darauf so individuelle Antworten wie Menschen, da gibt es nichts pauschales. Da gibt es jene Westler die seit mehreren Jahren in das Land kommen, oder dort schon seit mehreren Jahren leben, die sich sehr dem angepasst haben wie die Inder selbst damit umgehen "Nobody cares", es interessiert niemanden, es gehört zum normalen Anblick, eines Strassenbildes, eines Stadtbildes, wie bei uns Jogger im Park oder Radfahrer auf Gehwegen. Man könnte auch sagen, bei diesen Westlern hat eine gewisse emotionale Abstumpfung oder Anpassung stattgfunden. Und somit haben sie sich (un)bewusst dem Land angepasst, das Sie seit langem bereisen oder dort leben, Emotionen spielen keine grosse Rolle im Alltag, es wird akzeptiert wie es ist, ob nun ein Kind Dreck frisst, oder einer aus der unteren Kaste auf der Strasse überfahren wird, er hat sein Leben gelebt, und er kommt ja wieder, beim nächsten Mal vielleicht als Maharaja, die Wiedergeburtslehre macht es möglich, zudem das Kastenwesen, das jeder in die Kaste geboren wird, die er sich durch seine Taten (Karma) im vorherigen Leben "verdient" hat! Religion und Kastenwesen in enger Symbiose, was wohl notwendig ist für das zweit grösste Land der Welt, "Opium fürs Volk", ein Beruhigungsmittel um die Ordnung zu wahren, soziale Unruhen zu vermeiden (die es trotzdem gibt), 800 Millionen Inder leben unter der Armutsgrenze, ein enormes Sprengpotential.

Der Fischer mit seiner Familie, wird immer in seiner Bambushütte leben, er fragt oder denkt gar nicht, was wäre wenn, wie wäre es wenn ich ein Haus, ein Auto und fließendes Wasser hätte! Er akzeptiert es und macht das beste daraus, jammert und lamentiert nicht, ein Charakterzug, eine Haltung, von der wir im Westen durchaus mehr haben könnten, jenseits aller sozialen Unterschiede. Von meinem Zimmer aus, konnte ich die Familie, insbesondere die Kinder, lange Zeit beobachten, Kinder die auf der Strasse lachen, hüpfen, tanzen und spielen. Selten habe ich so fröhliche Kinder gesehen,und das in einem Umfeld das wir als "Slum" bezeichnen würden. Da stellt man sich doch einmal mehr die Frage, wieviel "Wohlstand" braucht man um glücklich zu sein??

Ich persönlich war in der Frage des Gebens von Geld sehr hin und hergerissen, egal wieviel. Man muss nämlich wissen, das man von dem Bettler auch etwas zurückbekommt, entweder eine patzige Antwort weil man zu wenig gegeben hat, oder was bei mir sehr häufig der Fall war, ein schlechtes Gewissen, wenn man nichts gab und mit 2 vollen Einkaufstüten nach Hause fuhr. Kindern habe ich grundsätzlich kein Geld gegeben (soll man auch nicht), sondern immer etwas was sie sich direkt in den Mund stecken konnten, z.b. was süsses, oder einem kleinen Jungen eine Banane, die ich ihm direkt schälte und dafür ein Strahlen auf seinem Gesicht geschenkt bekam.

Nun es gibt aber auch andere Beispiele von Westlern, die noch nicht so emotional abgestumpft sind, das Elend nicht nur sehen, sondern auch etwas tun, handeln. Beispiele voller Mitgefühl, Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft.

Ich hatte die Freude und Gelegenheit zwei solcher Menschen kennenzulernen, mit ihnen viel Zeit zu verbringen, Ausflüge zu machen, zu lachen und zu diskutieren.
Zum einen war das Sonja, eine vitale mitte Fünzigjährige aus dem süddeutschen Raum. Sie kam immer rüber in unser Guesthouse zum Frühstück, unser Speiseraum war insbesondere morgens immer ein lebendiger Ort der Begegnung,des Austauschs und der Inspiration. Sie war insgesamt 3 Monate in Indien, 2 davon in Pondicherry. Eines Abends kommt Sonja aus einem Cafe in der Stadt, und stolpert sprichwörtlich über 2 nackte Kinder auf den Treppenstufen des Cafes. Sie lagen komplett nackt auf den Stufen und schliefen. Wahrscheinlich sind vor Ihr schon 10 Westler über die Kinder hinweggestiegen, doch Sonja reagierte, das sind Entscheidungen die innerhalb von Sekunden getroffen werden und aus dem Bauch kommen. Sie suchte die Eltern, die allesamt im Dreck leben, und kauften den beiden Töchtern an diesem Abend zuerst mal was zum anziehen.
Aber damit nicht genug, von nun an ging Sonja regelmäßig, manchmal täglich, zu der Familie in die Stadt, versorgte Sie mit Kleidung, Obst, Geld zum Essen, und zu guter Letzt, kurz vor Ihrer Abreise, mit einer Fahrradrikscha mit Ladefläche, damit der Vater sich damit ein paar Rupien verdienen kann, Hilfe zur Selbsthilfe.
Außerdem suchte Sie in der Stadt mehrere Regierungs und Privatorganisationen auf, um zu arrangieren das sich nach ihrer Abreise jemand um die Familie kümmert, leider blieb dieser Versuch ohne Erfolg.

Zum zweiten war da Katharina, die ich erst in der letzten Woche meines Aufenthaltes kennenlernte. Katharina ist eine junge Deutsche, Mitte Zwanzig aus München, die seit rund 4 Monaten in Pondicherry lebt, und genauso lange auch schon arbeitet, als Volunteer (Freiwillige) in einem Waisenhaus! In diesem Haus leben rund 100 Kinder, die meisten auf die eine oder andere Art geistig oder körperlich behindert. Es sind Ausgestossene Kinder, die wegen Ihrer Behinderung oder als Resultat einer Affäre, von den Eltern ausgesetzt wurden, sich selbst und somit meistens dem Tod überlassen werden. Sie werden auf der Strasse aufgesammelt oder von der Polizei gebracht. Katharina nahm mich einen Tag mit in das Waisenhaus und somit konnte ich mir selbst ein Bild machen. Es ist ein Bild des menschliches Elends, aber auch der Hoffnung, jedes Kind ein Schicksal für sich, ich nahm eine Tüte voller Kekse mit, verteilte sie unter den Kindern. Sie werden mit dem nötigsten versorgt, bekommen Essen und einen Schlafplatz, und dank der aufopferungsvollen und selbstlosen Arbeit der Volunteers auch ein wenig Zuwendung, Aufmerksamkeit, Wärme.

Diese beiden sollen hier nur stellvertretend für all die anderen zahlreichen Begegnungen genannt werden, diese beiden, weil Sie mich jeweils, jede auf Ihre Art, besonders bereichert, beeindruckt und fasziniert haben, mit Ihren Taten, Ihren Worten oder einfach Ihrem Sein. Genauso dankbar bin ich für all die anderen Begegnungen, kurz oder lang, im und ausserhalb des Guesthouse's, mit so verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Nationen, für die Gespräche, für das Zuhören, für das Ratgeben, für das da sein, es war eine schöne, erkenntisreiche Zeit, auf allen Ebenen!

Wie gehts nun weiter? Diese Frage sehe ich schon vor mir, in Emails, "hey wieder zurück, schön, und jetzt?" Jetzt genau das ist es, jetzt wenn ich am Laptop sitze, jetzt wenn ich aufstehe und aufs Klo gehe. So geht es weiter, von jetzt zu jetzt, von Augenblick zu Augenblick, weil sonst gibt es nichts, das ist die Realität! "Ja aber man muss doch planen, ein Ziel haben, der Kamin muss wieder rauchen?!" Klar, Ideen und Planungen gibt es, alles zu seiner Zeit!
Wenn ich gefragt werden würde, was hast du aus deiner Zeit in Indien mitgenommen, würde ich antworten: "Ein Gefühl der Liebe und Dankbarkeit für dieses Leben und die Erkenntnis das ALLES ständig im Wandel ist!"


Es kommt nie und nimmer darauf an was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf: was das Leben von uns erwartet.
Viktor Frankl

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