Mittwoch, 28. März 2012

Im Schneegestöber nach Deutschland

Tag 8: Wiesing -Lenggries

Früh am Morgen geht es wieder los. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich nix gutes. Nieselregen, der teilweise in Schnee über geht. Wir sind hier auf gut 900 Metern. Ich rüste mich aus mit Regenhose und Gamaschen. Nach weiteren 3 km habe ich den Anstieg geschafft. Mittlerweile ist der Regen in richtigen Schneefall übergegangen. In der Tourist-Info von Murach am Achensee wärme ich mich zuerst mal auf. Für einen Tag ist der Winter noch mal ausgebrochen, zumindest hier oben. Es gibt einen Radweg entlang des Sees, den ich aber nicht nutzen kann, da dort noch gut 1 Meter Schnee liegt. Also wieder Landstrasse, was mir ja auch grundsätzlich nichts ausmacht. Ich bin hart im Nehmen, aber muss mich ja nicht unnötig schinden. Zumal es morgen wieder viel besser werden soll. So fange ich schon am frühen Nachmittag an, nach einer Unterkunft zu suchen. Natürlich fällt zelten wieder aus, hier liegt noch mehr Schnee als weiter unten.

Am Achensee in Österreich
 
In Achenfeld frage ich bei den ersten Vermieter von Privatzimmern nach. Dreimal erhalte ich ein Nein, noch nicht mal im Keller, oder im Schuppen, das alte Spiel, ohne Moos nix los,nach dem Motto, mir schenkt auch keiner was! Ok, dann fahre ich einfach weiter, vielleicht ist es noch zu früh. Nach Achenwald überquere ich die Grenze zu Deutschland. Nach 6 Monaten hat mich mein Heimatland wieder. Hurra! Nein, eher nicht. Zumindest nicht gleich. Man mag es mir kaum glauben, aber als ich die ersten Meter auf deutschen Boden fuhr, eine ruhige Landstrasse entlang des Sylvensteinsees, da durchfuhr mich für einen kurzen Moment eine innere Kälte. Draussen war es kalt, ich hatte nasse und klamme Finger, aber gleichzeitig zog sich für einen Moment mein Herz zusammen. Zurück im Land der sozialen Kälte, der Isolierung und Abgrenzung!? Das waren meine ersten Gedanken, obwohl mir schon klar ist, das dies nicht für alle gilt, aber für einige.




Diese soziale Kälte bekam ich gleich zu spüren. Ok, ich wollte es auch gleich herausfinden, ob sich meine innere Wahrnehmung mit der äußeren Realität deckt? Ich war ja immer noch auf der Suche nach einem Schlafplatz. Im ersten Kaff auf meinem Weg steuere ich einen Gasthof an. Vor dem Haus steht ein Auto. Ich betrete die Gaststube und trefe auf die Wirtin. Eine ältere Dame um die 60. Ich erzähle meine Story, das ich auf dem Rückweg von Griechenland bin, mit 5€ am Tag reise und prinzipiell überall schlafe, egal ob im Keller, in einer Kammer oder im Stall. Die 30€ für ein Privatzimmer hätte ich aber nicht. Ihr Blick schweift in die Leere, ein kurzer Moment des Schweigens, dann sagt Sie: "Nein, da gibt es keine Möglichkeit". Ich bin müde, habe nasse Finger und mir ist kalt. Der Gastraum ist leer, das ganze Haus wird leer sein, keine Menschenseele verirrt sich um diese Jahreszeit in dieses verschlafene Kaff. Ich merke wie es bei mir innerlich steigt. Nicht so sehr, weil  ich jetzt weiterfahren muss, der nächsten Person genau das gleiche erklären muss und wieder in ein gespanntes und leeres Gesicht blicken werde, nein, in mir steigt eine Mischung aus Frustration, Wut und Verständnislosigkeit auf. Sätze fallen, wie diese: "Mir zahlt auch keiner die Rechnung für den Strom". "Ich muss mir meinen Urlaub auch eisern absparen". "Mich fragt auch keiner wie es weitergeht."

 Ich kann es einfach nicht verstehen. In diesem Moment wird mir klar, dass es einige Zeit dauern wird, bis ich mich wieder an mein Heimatland gewöhnt haben werde. Warum werden in Ländern wie Bulgarien, Rümanien, der Türkei, Iran oder Pakistan, Reisende von der Strasse aus in das eigene Haus eingeladen, eine arme Bauernsfamilie mit 6 Kindern, die von der Hand in den Mund lebt. Zur Not wird das letzte Huhn geschlachtet, die Kinder in den Stahl verfrachtet, damit der Reisende eine ruhige und erholsame Nacht im Bett verbringen kann??  Warum werden in einem Land, das es sich leisten kann, mit Brot zu heizen und die Hälfte aller hergestellten Lebensmittel weggeschmissen werden, Reisende, die bewusst mit wenig Geld reisen, wie Penner und Schmarotzer angesehen und bekommen keinen Schlafplatz in einem leerstehenden Haus?

Mir ist schon klar, das dies mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsebenen zu tun hat, auch mit religösen und kulturellen Hintergründen, aber trotzdem, die einen haben materiell gesehen rein gar nichts, die anderen haben alles im Überfluss. Diese ganzen Sätze, wie "Mir hilft auch keiner", sind meiner Meinung nach Ausflüchte, ja, im Grunde Hilfeschreie eines isolierten, abgrenzten Ich's, einer Kultur der Ellenbogen, sei dir selbst am nächsten, wenn ich kein Geld mehr habe verhungere ich, das Haus ist weg, und vieles mehr. Überkompensationen und Rationalisierungen eines subtilen, alle Lebensbereiche durchströmenden Gefühls: einer tiefsitzenden Existenzangst gepaart mit einem Gefühl der Ohnmacht. Erich Fromm sprach in diesem Zusammenhang einmal von der " Furcht vor der Freiheit". Materiell gesehen haben wir alle Freiheiten, können tun und lassen was wir wollen, so meinen wir, und sind doch so gefangen in unseren eigenen Fesseln der Isolation, der Angst und der Ohnmacht. Der anatolische Kartoffelbauer scheint im Vergleich dazu so arm zu sein, und ist in Wirklichkeit innerlich viel freier, als der Unternehmensberater mit seinem Porsche Cayenne und seiner Rolex am Handgelenk. Innere Leere und Sinnlosigkeit wird durch äußere Status- und Besitztümer überdeckt. Es geht mir nicht um Grabenkämpfe, Bonze da oben, Hartz IV-Empfänger da unten, wer ist besser oder wer ist schlechter, es geht um ein Verstehen der wahren Motive und Hintergründe und ein abbröckeln einer scheinbar sicheren und heilen Fassade.

 Ich möchte nicht betteln, ich möchte kein geheucheltes Mitleid, ich möchte hinter diese Fassade gucken, möchte den spröden Putz ein wenig abhauen, um dann dahinter den wahren Menschen zu sehen, mit all seinen Ängsten und all seinen Sehnsüchten. Nach so vielen unterschiedlichen Begegnungen in den letzten Jahren, würde ich dies als einen der Hauptgründe für meine Reisen nennen, ich kann nicht eine Birke von einer Eiche unterscheiden, aber ich kann mittlerweile ganz gut hinter die "menschlichen Masken" schauen!

Natürlich auch hinter meine eigene. Und so weiß ich, das ich in solchen Situationen sehr schnell patzig, forsch, ja zuweilen auch dreist werde. " Das müssen Sie mit Ihrem Gewissen ausmachen", ist mein letzter Satz, bevor ich die Tür von aussen wieder zu mache.  In Lenggries geht das Spiel bei drei weiteren Privatunterkünften weiter. Und in der Jugendherberge. Die Frau ist sehr nett, humorvoll und würde mir sofort einen Platz im Aufenhaltsraum zur Verfügung stellen. Leider ist die Herberge noch geschlossen, nach der Büroarbeit ist Sie wieder weg. Also stecke ich auf. Wenn es nicht so nasskalt gewesen wäre, hätte ich einfach mein Zelt auf einer Wiesen aufgeschlagen. So lande ich in einem typischen bayerischen Gasthof, mit einer Bedienung im Dirndl und Schweinsbraten als Tagesempfehlung. Der Wirt kommt mir sehr entgegen und so zahle ich fast die Hälfte des eigentlichen Zimmerpreises, auch wenn dieser immer noch um das vierfache über meinem Tagesbudget liegt.

Tag 9: Lenggries - München
Gesamt-KM: 4.198

Es gibt ja immer noch das Thema "Wegwerfgesellschaft" auf meiner Rückfahrt. In Wolfrathshausen frage ich bei Tengelmann nach aussortierten Lebensmitteln. Die nette Mitarbeiterin erklärt mir, dass Sie Anweisung von der Zentrale haben nichts rauszugeben! Ein grosser Teil geht zwar zu den Tafeln, aber viel landet noch in der Tonne. Ich bin fassungslos. Sie meint noch, das Sie das selber nicht verstehen kann und wenn mehr Menschen darauf aufmerksam machen würden, würde sich vielleicht daran etwas ändern. Eben ist Sie einem begegnet, der genau dies machen möchte!

In München habe ich für heute einen sicheren "Warmshowers-Unterkunft" und so freue ich mich auf eine weitere Nacht in einem warmen Zimmer und Austausch unter erfahrenen Tourenradler. Mein freundlicher Gastgeber, Daniel, lebt in der Säbener Strasse, also dort, wo der grösste und reichste Fußballverein Deutschlands seinen Hauptsitz hat. Da ich früh am Nachmittag schon da bin und erst abends in die Wohnung kann, mache ich einen kleinen Abstecher und schaue mir diesen Protz einmal an. Ich war nie ein richtiger Fußballfan, obgleich ich schon ein wenig mit den Bayern sympathisierte. Heute ist mir das völlig schnurz.
Profis sehe ich keine, aber als ich an der Bande lehne, fährt K.H. Rummenige mit seinem Audi A8 an mir vorbei. Ich vertreibe mir ein wenig die Zeit auf dem Gelände, auf dem man überall erkennen kann, das hier viel Geld im Spiel ist. Allein schon an den reservierten Parkplätzen für Hoeneß, Nerlinger und Co. und einem Audi A8 und Q7 nach dem anderem.

Tag 10 - 13: Aufenthalt in München

Ruhige und aufregende Tage in München. Die ersten 2 Nächte bin ich bei meinem Warmshowers-Kontakt.  Dann ziehe ich um nach Maisach, wo ich bei dem netten Ehepaar Michael und Petra unterkomme. Ein Kontakt über Facebook und über die örtliche Occupygruppe, ein weiteres Thema mit dem ich mich auf meiner Rückfahrt auseinandersetzen wollte. Ich erlebe viel Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Verständnis, werde zum Essen eingeladen, habe ein eigenes Zimmer, viele Gespräche und manche Begegnungen. Nach vier Tagen verlasse ich an einem Samstag München. Im Regen und mit einigen Erfahrungen und Erkenntnissen mehr im Gepäck. Nun geht es streng Richtung Norden, Ingolstadt, Nürnberg, Forchheim und dann ist die Tour auch schon bald vorbei. So langsam schleicht sich ein Gefühl  von Wehmut und Vorfreude ein, eine Freude und Spannung, all das Erlebte in einen neuen Alltag zu transformieren.

Marienenplatz München





Update: Aktuelle Position



Freitag, 23. März 2012

Über die Alpen

Tag 6: Sterzing - Innsbruck

Die letzten 20 km bis zum Pass, waren definitiv die anstrengendsten. Zuerst verusuche ich es über den Radweg, der ganz neu angelegt wurde. Hinter Gossensass geht es steil hinauf. Hier oben liegt noch Schnee, zumindest in den Wäldern und am Strassenrand, bestimmt 50 cm. Und nach einigen Metern auf dem Radweg: Schneefelder. 50-100 Meter lang, aber weiter vorne sehe ich schon neue. Und am Hang? Mit 28 kg ist es mir zu gefährlich. Ich rede mit einem Bauern und entscheide mich dann auf die Strasse zurückzukehren. Viel Verkehr ist hier nicht, da die meisten die Brennerautobahn nutzen. Steile 6 km quäle ich mich nach oben, dann habe ich es geschafft, ich stehe am Brennerpass.

1.370 Meter
 An einer Tanke ruhe ich mich aus, packe mich dick ein und dann gehts zur rauschenden Abfahrt. Fast 30 km nur bergab oder auf flachen Stücken. Am späten Nachmittag komme ich in Innsbruck an. Hier ist zwar weniger Schnee, aber dafür noch ziemlich kalt.  Ich versuche es wieder im Kolpinghaus. Diesmal ohne Erfolg. Es gibt keine Garantie für das Antreffen von Verständnis. Der kleine, untersetzte Mann überlegt, ich sehe ihm seine Zweifel an, sein Hin und Hergerissen. Dann kommen die Sprüche der Isolation und Angst"Wir können nicht die ganze Welt aufnehmen" "Dann kommen bald alle und wollen nix mehr zahlen". Alles Übertreibungen und Ausflüchte. Aber wie gesagt ich versuche zu verstehen, auch wenn das nicht immer leicht ist. Ein Platz im Keller oder sonstwo fndet sich immer.  Der Chef sitzt ihm im Nacken und er hat Angst um seine Existenz. Ich gehe und schlage mein Zelt hinter einem Spielplatz auf. Relativ kalte Nacht, ich muss mich ziemlich einmumen. Es sollte die einzigste Nacht im Zelt bleiben für die nächsten Tage!

Tag 7: Innsbruck - Wiesing

Heute ist Sonntag und ich möchte versuchen eine warme Mahlzeit zu bekommen. Von der Caritas, von der Kirche, von wem auch immer. Von der Tourist-Info bekomme ich die Information das es eine Notschlafstelle von der Caritas gibt. Dort möchte ich mir weitere Infos holen. Ich möchte ja auch sehen, wer auf soziale Einrichtungen angewiesen ist. Als ich in den 1. Stock der Notschlafstelle gehe, ist das relativ schnell klar. In einem verrauchten Raum sitzen an einem Tisch fünf männliche Gestalten, die diese Einrichtung wohl regelmäßig aufsuchen. Es sind alles Drogenabhängige. An der Tür hing ein Zettel, wo man sterile Spritzen bekommt, falls es hier geschlossen ist. Ein junger Mann von der Caritas lächelt mich an. Er fragt mich, ob ich weiss, was das für eine Einrichtung ist. Ich grinse und sage ja. Zum Glück entschied ich mich gestern für das Zelt! Er fragt einen der Rauchenden am Tisch und bekomme dann 3 Anlaufstellen für eine kostenfreie Speisung zu Mittag. Man kann auch sagen Armenspeisung. Ich entscheide mich für ein Kloster in der Innenstadt, bei den "Serviten". Um 11.15 gibt es dort eine Klostersuppe mit Brot. Um 11 Uhr stehe ich im Vorraum. Ich setze mich auf eine Bank und schaue mir an, wer hier alles so reinkommt. Die meisten sind Obdachlose, leicht zu identifizieren an den Tüten. Aber auch zwei Reisende, mit schweren Rücksacken, wahrscheinlich Italiener. Ein Mönch kommt und schaut wieviel Leute da sind. Dann kommt er mit 10 Schalen Suppe auf einem grossen Tablet zurück. Wir sprechen zusammen ein Gebet und bekreuzigen uns.  Eine "Flädlesuppe" mit Einlage und für jeden eine Scheibe Brot. Während des Essens fragt mich einer der Italiener ob ich "Italano" sei. Ich grinse und sage no, Deutscher.

 Weiter entlag des Inn auf dem Radweg. Bei Jenbach biege ich links ab, in die Berge. Vom Inntal muss ich noch einen Pass überwinden, um nach München zu kommen. Es geht hoch zum Achensee, ca. 5 km, aber 400 Höhenmeter sind zu überwinden. Ich fahre ungefähr bis zur Hälfte und schaue dann auf die Uhr. Links und rechts liegt noch die weisse Pracht. Es wird zu spät, ich muss mir eine Bleibe suchen. Zelten fällt aus. Ich fahre in Richtung einer Ansammlung von Häusern, die aus dem weißen Meer hervor stechen. Und wieder einmal ist mir das Glück hold. Ok, mittlerweile bin ich ja auch ziemlich direkt, aber nie bettelnd. Ich erzähle einfach von meiner Reise und frage nach einer kostenfreie Schlafstelle. In islamischen Ländern werden Radreisende von der Strasse aus in das Haus eingeladen, ohne überhaupt was sagen zu müssen. Einfach aus Traditionellen und kulturellen Gründen der Gastfreundschaft und als Anerkennung für die gemachte Reise. Aber das nur am Rande. Nun bin ich in Europa, genauer in Österreich, und bisher habe ich sehr viel Gastfreundschaft erlebt. So auch heute. Ich lande auf einem Ferienbauernhof und darf in einer Ferienwohnung schlafen. Wieder eine nette Bauernsfamilie. Ich schreibe einen längeren Eintrag in das Gästebuch und nehme ein paar Visitenkarten am nächsten Morgen mit. Das ist das mindeste was ich tun kann und für hilfsbereite Menschen mache ich es gerne. Ich verspreche der Frau eine Postkarte zu schicken, wenn ich in Frankfurt angekommen bin. Heute kann ich mich gut erholen, duschen, ausreichend schlafen um morgen die restlichen Kehren in Angriff zu nehmen. Für Morgen ist ein Wetterumschwung angekündigt und ich stelle mich auf Regen ein. Es sollte noch besser kommen!

Berge und Gammler

Tag 4: Trento - Bozen

Wieder ist mir das Wetter gut gesinnt, nach dem Frühstück bei Antonella, starte ich mit blauem Himmel gen Bozen. Nun wird es langsam bergig. Ich habe mir Karten und Informationen besorgt. Bis nach Bozen ist es ein Katzensprung, Flachetappe, entlang der Etsch auf dem Radweg bis zur der Stadt, wo Özi in einem Museum liegt. Nach Bozen beginnt das Eisacktal und der Aufstieg zum Brennerpass. Aber nach allem was ich bisher gehört habe, soll die Überquerung nicht so dramatisch sein, sanfte, langgezogene Anstiege. Ich werde es morgen sehen.

Vor Auer treffe ich auf Rüdiger. Eine Begegnung mit Folgen! Auf einem Typ wie Rüdiger habe ich 2 Jahre gewartet! Ich erkenne ihn von weitem auf dem Radweg. Er schiebt sein Fahrrad, das ähnlich beladen ist wie meins. Endlich, so denke ich, der erste Kontakt zu einem Reiseradler. Ich halte neben ihm und spreche ihn an.  Rüdiger ist Deutscher, Ende Fünzig, Vagabund, Landstreicher, oder reisender Obdachlose, wie man es nennen will? Sonnengegerbtes Gesicht, lange Haare über den Ohren, auch wie ich, zumindest momentan.  Er kann nicht weiterfahren, sagt er zumindest, seine Reifen sind total abgefahren, er braucht neue. Fahren könnte man trotzdem, denke ich mir, zumindest auf dem flachen Stück. Also schieben wir ein Stück zusammen. Dann fängt er an zu erzählen. Seit 30 Jahren auf der Strasse. Kommt gerade aus Griechenland zurück, wo er im Winter immer von Deutschland aus hinfährt. Von der Mani, er nennt einen Ort, den ich kenne.Welch ein Zufall!  Dort hat er angeblich "Freunde", bei denen er immer bleiben kann. Vorstellen kann ich es mir, auf der Mani leben viele Überlebenskünstler, sie war und ist es zum Teil immer noch ein Magnet, für Aussteiger, für Unzufrieden, für Systemhasser, für Einfachlebendwollende, für Naturverbundene. Wild, rauh, felsig, höhlig, dünn besiedelt, die idealen Voraussetzungen. Also eigentlich genau das Richtige für mich??

Bis vor 4 Monaten hätte ich aus vollem Halse, Ja, gebrüllt. Meine romantische, idealistische Phase. Nun nähert sie sich ihrem Ende. Zurück zu Rüdiger. "Schau dich um" meint er " hier ist alles kaputt, alles verbaut, umzäunt, abgesperrt. Das ist doch krank, das ist Boden, Land, dem gehört niemanden, ausser der Natur, und da kommen so ein paar Typen und bauen einen Zaun drum". Ich nicke. "Warum führst du so ein Leben" frage ich mit grosser Neugier und ein wenig Eigeninteresse. " Ich will das alles spüren, die Natur, die Vögel, die Sonne, das Rauschen des Flusses, ohne diesen kaputten Zeug dieser Angepassten, den Autos, den ganzen Technikscheiss." Wieder nicke ich. Vor 30 Jahren kam er als Hippie auf die Mani, so erzählt er, mit seiner Freundin, langen Haaren, wenig Geld und viel Idealismus. Der Traum einer neuen, heileren Welt, Tod dem Autoritären, dieses kaputten Welt. Dann kam sein Sohn auf die Welt. Es kommen andere Aussteiger zu Besuch, im Dorf beginnt das Gerede. Sie werden gemieden. Der Pfarrer kommt und will den Sohn taufen, Rüdiger vertreibt ihm vom Grundstück. Dann geht die Frau und nimmt den Sohn mit. Der ist mittlerweile Ende zwanzig und hat keinen Kontakt mehr zu seinem Vater.

"Diese Bananenrepublik Deutschland" fährt er fort " die lassen sich alle verarschen, darauf habe ich keinen Bock". Ich höre weiter zu, stelle immer wieder mal Verständnisfragen. Erste Widersprüche stechen durch.  Zu Beginn erzählt er mir, dass er Alkoholkrank sei. Als ich ihn frage, wie er zu seinem Stoff kommt, meint er, "ach, das Übertreibe ich extra, wenn mich diese Normalos fragen. Bediene ihr Klischee, alles Säufer. Ich trinke mal mit einem "Bruder" ne Flasche Bier, das wars." Er schimpft auf diese "Bananenrepublik, geht aber in Deutschland regelmäßig aufs Amt und holt sich seine 12€ Tagesstütze ab. "Die Hälfte brauche ich nur, den Rest spare ich, um im Winter immer abzuhauen in den Süden." So, 1.000€ kriegt er damit zusammen, auch durch Gelgenheitsjob: "Ah gute Frau, der Garten müsste aber mal wieder umgegraben werden."  Vor Jahren hat er einmal seinen Reisepass verbrannt. Im Ausland! Nach einer Woche hat er es bereut.
"Von was lebst du zur Zeit". "Ich gehe in Bäckereien, Metzgereien, frage nach einem Stück Brot, oder einem Stück Schinken. Auf Kreta habe ich mal 2 Wochen nur Apfelsinnen gefressen, ah ich kann dir sagen, da scheisst du nur die Schalen wieder raus." Einmal sass er an einer Bushaltestelle auf Kreta, plötzlich hält ein Auto. Ein Deutscher, der ihn aber auf Englisch anspricht, fragt ob er ein Problem hat. "Nein nur Hunger".  Der Deutsche drückt ihm einen 100 Mark Schein in die Hand. Er gönnt sich ein Festmahl!

Er glaubt ihn mit einen Verbündeten gefunden zu haben, einen "Bruder". Ich erzähle ihm von der Idee des Grundeinkommens, was er davon hält, dann müsste er nicht mehr betteln. " Nee, das will ich nicht, ich wache morgen früh auf und bekomme auf die Schultern geklopft für mein freies Leben. Nee, die sind dort, ich bin hier, ich brauche mein Feindbild!"

 Das ist der sprinngende Punkt. Und hier beginnt meine Geschichte, hier beginnt der grosse Unterschied. Bis vor 4-5 Monaten hätte ich einen Rüdiger noch auf die Schulter geklopft "du hast es erkannt, all die Zombies, diese modernen Sklaven. Rennen materiellen Illusionen hinterher und sind innerlich so leer und ausgebrannt."
Nun bin ich aber durch eine innere Transformation gegangen, habe meine idealitische/romantische Ader transformiert, heisst, umschlossen, integriert und weiterentwickelt. So glaube ich zumindest. Rüdiger ist auf einer prämodernen Entwicklungsebene und wird dort auch bleiben. Er braucht sie wie die Luft zum atmen, er braucht sein Feindbild, seinen Systemhass, um sich jeden Tag sein "erfülltes,erspürtes Leben " zu rationalisieren. Und um wahrscheinlich seinen tiefen Verlust und Trennungsschmerz von seinem Sohn und seinen Wurzeln zu kompensieren?! Ja wir haben grosse Probleme im derzeitigen System, ja es ist wichtig das Menschen darauf aufmerksam machen. Aber warum mit nagendem Hunger, mit eisiger Kälte und einem ewigem Feinbild? Rüdiger möchte nichts verändern, er möchte nach aussen nur verachten, hassen, und damit seinen eigenen Selbsthass übertünchen. Er möchte der "edle Wilde" bleiben, zurück zu den Wurzeln, verbunden mit der Natur, und der Rest ist ganz egal und ganz kaputt. Ja ich möchte das auch, verbunden sein, mit der Natur, mit dem Herzen, mit dem Sein,  aber aus einem modernen bzw. postmodernen Standpunkt heraus. Und vor allem ohne Selbsthass und ohne Feinbilder. Die haben wir genug und die sind das Übel für vieles.  Ich setze mich Hunger, Kälte, Einsamkeit, Wind und Wetter aus, aber freiweillig und vorübergehend. Um etwas aufzuzeigen, um darüber zu berichten, und sich wieder auf einen vollem Magen und einer sicheren Bleibe zu freuen. Und den Errungenschaften einer modernen Kultur. Das wurde mir während des Gesprächs mit ihm  klar, so vollkommen klar, der Unterschied zwischen einem Landstreicher Rüdiger und einem Reisenden mit wenig Geld. Er haßt das System und die Leute darin, ich versuche Probleme zu erkennen und zu benennen, die Menschen zu verstehen, warum sie so handeln, wie sie handeln. Und dafür danke ich ihm. Kurz bevor ich weiterfahre, ruft er mir noch nach: " Schieb den Brenner frei". Gute Reise.

In Bozen steuere ich das Kolpinghaus an. Und hier erlebe ich einen weiteren Beweis, was es heisst mit einem offenen Herzen, grossem Vertrauen und einer inneren Ausgeglichenheit zu reisen. Es sind diese Seelen, wie der Mann an der Rezeption, auf die ich immer wieder auf meinen Reisen treffe, die durch eine Verkettung von Umständen und Zufällen, am rechten Ort und Stelle sind, und mir Türen öffnen. Wie üblich erzähle ich dem älteren Herrn mit freundlichem Gesicht meine kleine Story, das ich max. 5€ zahlen könne, und prinzipell überall schlafen kann. Ich spüre gleich eine Art Aufgeschlossenheit. Zusammen gehen wir in den 1. Stock zum Geschäftsführer. Nochmal trage ich mein Anliegen vor. Er willigt ein, wünscht mir eine gute Reise und sagt der Mann von der Rezeption wird mir einen Raum zeigen. Dusche gibt es keine, aber WC und Waschbecken. No problem. 20 Minuten später blase ich in einem Kellerraum der beheizt ist und Sitzmöglichkeiten hat, meine Therma-Rest-Matte auf und breite meinen Schlafsack aus. Die "Menschenseele" von der Rezeption hat mir vorher noch einen Bon für das Frühstück zugesteckt. Er ist selbst Radfahrer, abends unterhalten wir uns ein wenig und dann organisiert er mir sogar noch einen Schlafplatz im Kolpinghaus in Sterzing, das ich morgen erreichen werde.

Tag 5: Bozen - Sterzing

Ich musste noch nicht einmal die 5€ zahlen. Die Kolpinghäuser haben eine lange Tradition und wurden ursprünglich von Adolf Kolping für die Wandergesellen gegründet. Heute sind es überwiegend Hotels, die sich finanzieren müssen, aber trotzdem noch einen christlichen und sozialen Hintergrund haben und versuchen diesen in einer Gesellschaft in der sich alles um das Geld dreht, noch umzusetzen.

Die ersten 50 km durch's Eisacktal sind fast geschenkt.  Kurze Abschnitte mit Anstiegen, ansonsten flach oder leicht ansteigend.Die Sonne ist auch wieder da und so macht das Radeln Spass. Hinter Franzenfelse wird es dann mal steiler. Aber es ist nicht mehr weit bis Sterzing, und dort werde ich schon erwartet. Eine junge und gutaussehende Frau sitzt an der Rezeption und weiss sofort wer ich bin. Der freundlichen Seele von gestern sei dank. Das Kolpinghaus ist eher ein Internat für Jungs, die hier in Sterzing auf eine Sportschule gehen und die Woche über im Haus leben. Die Dame von der Rezeption und die junge Erzieherin in meinem Alter, sind gleich von meiner Tour begeistert und sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Diesmal schlafe ich im grossen Fernsehraum auf einer gemütlichen Couch, kann duschen und mir meine Nudeln in der Küche kochen. Abends liege ich in meinem Schlafsack und bin erstaunt und dankbar, was ich die ersten 5 Tage alles erlebt habe. Morgen geht es die letzten 20 km über den Brenner und dann heisst es rollen lassen bis Innsbruck.

Bella Italia

Tag 2: Treviso - Feltre

Nach dem Aufwachen überlege ich einen kurzen Moment ob ich eine kleine Spende für das Kloster geben soll und für meine Übernachtung. Ein Gefühl von etwas schuldig sein beschleicht mich. Dann fällt mir aber ein, was ich mir für diese Rückfahrt vorgenommen hatte. Und schon ertappe ich mich bei dem alten "systemischen Denken", jedes Geben, jede Leistung, ist gleichzeitig mit einer Gegenleistung verbunden. Was gibts du mir, was gebe ich dir, das Credo und die Maxime in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft. Du kannst mir keinen materiellen Gegenwert geben? bye bye! Wenn selbst die Kirche dieser Maxime verfallen ist, wo sonst, sollte man dann in einer modernen Gesellschaft noch das Gebot des selbstlosen Gebens, des Teilens aus dem Herzen  heraus finden, wovon soviele Bücher auf Bestsellerlisten  und eigene Protagonisten sprechen ( Mutter Theresa). Genau darum geht es mir ja, dieses Geben, in den Ritzen und Nischen einer seelenlosen und Ichbezogenen Leistungsgesellschaft zu finden. Also packe ich meine Sachen, gehe nach unten, verabschiede mich herzlich von dem Patre und habe den Eindruck, dass jeder mit einem guten Gefühl seinen neuen Tag beginnt.

Heute wollte ich es das erste Mal wagen: Zu einem Supermarkt gehen und nach aussortierten Obst und  Gemüse  fragen. Das Ergebnis war ernüchternd. Einmal war dort die Sprachbarriere, aber vielmehr die Klischee und Vorurteilsbarriere. Zuerst fragte ich an dem Info-Point, mit ein wenig Englisch ging das. "Not possible". Beim nächsten fuhr ich direkt zum Hintereingang, wo die Container stehen. Wieder wollte ich zuerst einen Mitarbeiter ansprechen, bevor ich eigenmächtig herumsuche. Sofort spüre ich Ablehnung, "no possible", und werde sanft nach draussen getränkt. Ich kann förmlich das Bild des Landstreichers, Obdachlosen oder Junkies aus seinen Augen ablesen. Flüchtig und ablehnend öffnet er die Luke eines riesigen Containers, der bis oben hin mit Obst und Gemüse gefüllt ist, das aber schon total zermatscht und vergammelt ist. Ich gehe in den Supermarkt und kaufe mir Brot, Käse und Bananen. Aber so schnell gebe ich nicht auf, ich werde es weiter versuchen!

Der Tag endet in Feltre mit einem überwältigend Beweis von Gastfreundschaft.  Ich erreiche die Stadt und frage einen jungen Italiener auf dem Rad, nach dem Weg zur Tourist-Info. Er spricht ganz gut Englisch und ist so freundlich mich bis vor deren Eingang zu begleiten. Als er mein Fahrrad so anschaut, ist er gleich ganz neugierig und interessiert, wo ich herkomme, wo ich hin will und so weiter. Ich erzähle ihm meine Story und mein ambitioniertes Vorhaben für die Rückfahrt nach Frankfurt. Als ich ihm sage, das ich noch nicht weiß, wo ich heute nacht schlafen werde, ich aber diesbezüglich völlig angstfrei geworden bin, fängt er an zu überlegen. Plötzlich zückt er sein Handy. Als das Gespräch beendet ist, dreht er sich zu mir um und meint: Wenn du willst kannst du heute nacht bei uns schlafen! Er hat eben mit seiner Freundin telefoniert. Eine Stunde später sitze ich bei Alberto und Rosana am Tisch und esse Pasta und Radicchiosalat. Sie sind  in meinem Alter und interessieren sich sehr für meine Reisen. Alberto überlegt schon lange, auch einmal "auszubrechen". Er liesst viele Bücher darüber, spielt Gitarre, schaut kein TV und interessiert sich für Buddhismus und Meditation. Somit hatten wir eine breite Grundlage für viele interssante Gespräche an diesem Abend. Wieder einmal haben sich zwei Menschen zur rechten Zeit, am rechten Ort getroffen. Der "Zufall"  arbeitet manchmal sehr präzise!

Tag 3: Feltre - Trento

Heute startete ich noch leichter als sonst. Mein Tagesziel war Trento. Dafür musste ich durch das lange, aber schöne Valsugana Tal. Und dort hatte ich bereits einen sicheren Schlafplatz. Für Trento hatte ich mir einige "Warmshowers" Kontakte herausgeschrieben und gestern von der Tourist-Info aus verschiedene angerufen. Wieder einmal hat es kurzfristig geklappt und eine Radlerfamilie erwartete mich für heute abend in Ihrer Wohnung. Auch wenn sich nichts ergeben hätte, wäre ich beschwingt wieder aufs Rad gestiegen und hätte den Dingen ihren Lauf gelassen. Aber eine sichere Aussicht auf eine Dusche, eine warme Mahlzeit und ein Bett machen das ganze noch schöner. Die Sonne lachte und der Radweg "Via Claudia Augusta", führte mich auf ruhigen Nebenstrassen und entlang des Flusses durch das Tal. Nach rund 100 km landete ich abends erschöpft und hungrig vor der Wohnung von Antonella und ihren Kindern. Nach einem weiterem leckerem Abendessen mit freundlichen Menschen, mit Pasta, Kartoffelbrei und netten Gesprächen über das Radreisen, fiel ich irgendwann spätabends müde auf meine Couch und versank in einen traumlosen Schlaf.


Mittwoch, 21. März 2012

Von der Lagunenstadt ins Kloster

Tag 1: Montag, 12.3. Venedig - Treviso, Tages-km: 57,29

 Mein netter Truck-Fahrer liess mich am Hafen von Venedig raus. Am Morgen fragte er mich noch einmal, ob ich nicht doch mit nach Freiburg fahren wollte. Ich lehnte dankend ab. Ich hatte eine Nacht darüber geschlafen und dann war die Sache relativ klar. Ich freute mich wieder darauf völlig auf mich allein gestellt zu sein. Außerdem hatte ich die Route schon so detailliert im Kopf durchgespielt, das ich jetzt nicht einfach gemütlich mit dem LKW nach Freiburg fahren konnte. Mein Gefühl gab mir ein eindeutiges Signal. Und so sass ich nach wenigen Minuten, nachdem ich meine Taschen angebracht hatte, wieder auf dem Rad. Es war ein belebendes, ein frohlockendes Gefühl. Die Sonne lachte vom Himmel, nach 3 Monaten kurbelte ich wieder die ersten Meter, das Herz hüpfte. Ich schien geradezu vor Elan und Tatendrang zu bersten. Ich hatte so viel aufgestaute Energie, die mich nun förmlich durchschoss, das ich das Gefühl hatte, nichts konnte mich aufhalten. Ja, der Überschwang war gross, nach Monaten des ruhigen Lebens.

Noch nicht einmal die störrische Frau von der Tourist-Info. Natürlich, mir war bekannt, das Venedig eine besondere Stadt ist, insbesondere was die Mobilität anbetrifft. Das es aber so engstirnig zu geht, hätte ich nicht gedacht. Es dauerte geschlagene 20 Minuten bis ich einen Platz fand, wo ich mein Rad sicher abstellen konnte. Die Frau von der Info wollte mich aufs Festland, nach Mestre schicken, um dann mit dem Bus in die Stadt zurückzufahren. Das konnte sie vergessen. Sofort packte mich mein Ehrgeiz wieder, sehr oft gepaart mit einer gewissen Dreistigkeit und einer grossen Portion Kaltschnäuzigkeit. So stellte ich mein Rad direkt vor eine Polizeistation, dort ist es wenigstens sicher, und wenn die was dagegen hätten, sollen sie mir halt einen "Strafzettel" anhängen!

 Zwei Stundnen bin ich durch die Stadt gegangen. Was gibt es davon zu berichten? Eigentlich nicht viel. Eine Stadt die ausschliesslich von Touristen lebt, die hier das ganze Jahr rumlaufen, und die sich hier das ganze Jahr abmelken lassen. Aus Spass fragte ich einen der bekannten "Gondollerie" Fahrer, was die romantische Runde auf seinen Holzkahn kosten würde: 80€ für 30 Minuten! Ohne weiteren Kommentar. Auch wenn es hier noch so viel Geschichte, Kunst und Kultur gibt, der Massentourismus, die damit verbundenen horrenden Preise, das oberflächliche Getue, das anlocken, feilschen und über den Tisch ziehen, haben hier überall einzug gehalten. Und wie schon oft erwähnt, ist dies nicht meine Welt. So ging ich bis zur "Ponte de Rialto", machte ein paar obligatorische Fotos fürs Album und ging dann zurück.



 Nun ging es erst richtig los. Aufs Fahrrad und ab. Die nette Dame von der Tourist-Info warnte mich aus Fürsorge vor der "Ponte de Liberta", die 5 km lange Brücke, die Venedig mit dem Festland verbindet. Autos, Züge, kein Radweg, wir haben hier viel Verkehr. Sie kann ja nicht wissen, das ich kilometerlang über albanische Autobahnen gefahren bin. Und als ich dann auf der Brücke war, stellte sich wieder einmal heraus, die meisten Warnungen von freundlich gesinnten Einheimischen sind übertrieben. Es gab einen Radweg, und auch ohne, wäre ich einfach rechts auf der Strasse gefahren. Die ersten Kilometer jauchzte und sang ich auf dem Fahrrad. Ich liess mich treiben, machte mir null Gedanken, ja ich spürte eine noch tiefere Art des Vertrauens. Auf der Mani hatte ich das Buch von P. Fermor gelesen " Die Zeit der Gaben". Daran erinnerte ich mich jetzt immer wieder, wie er im tiefsten Winter durch Deutschland ging, abends bei Bauern anklopfte, im Heu schlief. Auch er hatte wenig Geld, dafür aber viel Elan und ein grosses Ziel vor Augen.

So radelte es sich fast von alleine bis nach Treviso. Vor wenigen Monaten, hätte ich mir noch den Kopf zerbrochen, wo kann ich sicher und ordentlich schlafen. Heute nicht,nicht mehr. Nun begann ein weiterer grosser Abschnitt dieser Rückreise, das austesten der eigenen Grenzen und Hemmschwellen. Ich fuhr durch die Stadt und sah plötzlich eine Kirche. Sofort klickte es. Das Gebot der Nächstenliebe, hat die Kirche nicht eine alte Tradition, Reisenden, Pilgern und Bedürftigen Unterkunft und eine einfache Mahlzeit zu geben?? In gewisser Weise war ich von jedem etwas. Also klopfte ich. Ging hinein. Eine kleine Kapelle. Es erscheint eine Nonne, sie ruft nach einer weiteren die Englisch spricht. Ich erzähle meine Story. Sie fragt mich, ob ich ein Pilger sei. Wahrheitsgemäß antworte ich, zur Zeit nicht, nicht so direkt, aber vor 3 Jahren war ich auf dem Camino de Santiago in Spanien. Daraufhin nennt Sie mich "Friend". Sie geht in ein Büro und kommt mit einem handgeschriebenen Zettel zurück. Ein Empfehlungsschreiben von Ihr. Sie erklärt mir den Weg zu zwei kirchlichen Anlaufstellen.

Es ist nicht weit und finde es direkt, denke auf jeden Fall das ist es. Nachdem ich endlich eine offene Tür gefunden habe, lande ich im ersten Stock, vor einem Büro, an dem das Schild "Direttore" hängt. Ich zeige ihm den Zettel. Grosse Augen schauen mich an. Er kann kein Englisch. Aber ist gewillt mir weiterzuhelfen. Wir gehen wieder runter, er fährt mit mir mit dem Fahrrad zurück zu den Nonnen. Die freundliche "Friend-Nonne" hängt sich an das Telefon. Der Direktor, eine weitere Nonne und ich, stehen schweigend im Gang. 10 Minuten später kommt Sie  lächelnd aus ihrem Büro zurück. Sie hat einen Schlafplatz für mich. Der Direktor fährt mit mir vor das Kloster. Es ist gerade Andacht. Ich setze mich in die hintere Bank und warte. Danach kommt ein grosser und stämmiger Patre mit Glatze auf mich zu und begrüsst mich. Er kann ein paar Brocken Englisch. Um 19.15 sitze ich mit 5 Mönchen am Tisch. Vor dem Essen wird ein Gebet gesprochen, sich bekreuzigt. Ein älterer, etwas verdatterter Mönch, kann ganz gut deutsch, fragt mich ein paar Sachen zu meiner Tour. Alle sind sehr freundlich und herzlich. Um 21 Uhr liege in meinem Bett. Was für ein Start, was für ein erster Tag. Wie hätte ich erahnen können, das es in ähnlicher Form in den nächsten Tagen weitergehen würde.  

Update: Aktuelle Position

Freitag, 16. März 2012

Bozen - Sterzing

Tages-KM: 79,91
Höhenmeter: 700
Gesamt-KM (seit Frankfurt): 3.913

Leider bin ich derzeit abends zu müde um gewohnt längere Einträge zu machen, dabei gibt es so viel an Begegnungen und Ereignissen zu berichten. Aber all das wird zur gegebener Zeit nachgeholt.

Heute ging es bei strahlend blauen Himmel von Bozen aus in die Berge. Die ersten 50 km durch das Eisacktal liefen noch relativ flach mit nur leichten Anstiegen auf dem gutausgeschilderten Radweg. Nach Franzenfeste wurde es dann steiler. Insgesamt war es aber weit weniger schlimm als befürchtet, das Tal ist lang und es zieht sich meist sanft nach oben. Heute bin ich wieder in einem Kolpinghaus in Sterzing untergekommen, dank des netten und hilfsbereiten Herrn von der Rezeption in Bozen. Ich schlafe im Fernsehraum auf einem gemütlichen Sofa. Er rief gestern abend hier an und so wurde ich schon erwartet.

Sterzing liegt auf 935m, morgen werde ich die restlichen bis auf 1.300 m angehen, um es dann gemütlich 25 km bis Innsbruck rollen zu lassen. Ich denke/ hoffe, das dass Gröbste hinter mir liegt. In Innsbruck versuche ich wieder bei einem Warmshowerskontakt unterzukommen.
Soviel zu den "technischen" Details. Die viel entscheidenderen menschlichen Begebenheiten kommen die Tage. Es gab in diesen 5 Tagen einige, soviel kann ich schon sagen.

Donnerstag, 15. März 2012

Short News

Heute bin ich in Bozen angekommen. Seit Montag habe ich  von Venedig rund 300 km zurückgelegt. Das Wetter ist sehr gut, jeden Tag Sonne. Ich gab Gas, da es ab nächste Woche wechselhafter werden soll. Morgen gehe ich den  Brenner an. Heute bin ich im Kolpinghaus untergekommen, kostenfrei. Eine weitere Fügung von vielen anderen die ich seit 4 Tagen erlebt habe. Ich bin offener, direkter und vertrauensvoller. Bisher hat sich das in vielerei Hinsicht ausgezahlt. Mehr und ausführlicher in den nächsten Tagen, wenn ich in Österreich bin. Es wird zu berichten sein, von Mönchen, Einladungen und einem deutschem Vagabunden (nein nicht ich:). Meine Unterkunft für Morgen ist auch schon gesichert, der Mann von der Rezeption hat das Kolpinghaus in Sterzing angerufen. Ich bin guter Dinge und gehe es weiter an. 1.300 Höhenmeter warten auf mich, die ich wahrscheinlich in zwei Tagen zurücklegen werde.

Update: aktuelle Position


Der Duft der Freiheit

Am Samstag ging es dann endlich los. Mit dem Bus fuhr ich nach Kalamata, welchen ich am Morgen beinahe verpasst hätte und es deshalb zur einer schnellen Verabschiedung mit meiner Gastgeberin kam. Die Sonne schien, leichte, milde frühlingshafte Temperaturen. Ich fühlte mich leicht und beschwingt. Ich hatte reichlich Zeit, und so schlenderte ich über den Wochenmarkt. Düfte, Gerüche, wildes Treiben. Kein Zeitdruck, keine Hektik, ich liess mich treiben. Das Unstete, das Rastlose, wie sehr ist es ein Teil von mir. Wie sehr hatte ich es vermisst die letzten Monate, bei aller Wertschätzung für das Gegebene, für das Gewesene, für eine feste Unterkunft und den vielen Gesprächen, doch ein Teil von mir ist ein Nomade, der das Neue, Unverbrauchte sucht. Bruce Chatwin schrieb einmal von der "Nomadischen Alternative", als Gegenentwurf zu einem sesshaften Leben. Ich glaube das eine muss das andere nicht ausschliessen, beides kann möglich sein, das Umherziehen und das Zurückkehren, an einen Platz an dem man sich wohlfühlt, an dem man Kraft tankt und an dem geliebte Menschen auf einen warten.

Überfahrt von Patras nach Venedig 10.03. - 12.03.

So schlenderte ich ein letztes Mal mit diesen Gedanken durch Kalamata und freute mich auf den weiteren Tag. Um 16 Uhr traf ich mich mit Periklis, dem LKW-Fahrer und schon ging es los. Was für eine Aufregung. Das erste Mal auf einem 40-Tonner. Das Führerhaus gleicht mehr einem Wohnzimmer. Wem kann man es verdenken, bei den vielen Stunden auf unzähligen Autobahnen und Rastplätzen in Europa. Periklis würde ich als echten Trucker bezeichnen: Er raucht wie ein Schlott, mag Kaffee, Schnitzel, Steaks und Ouzo im Sommer. Aber einer mit Herz. Während der Fahrt bot er mir an mich bis nach Freiburg mitzunehmen. Eigentlich hieß es nur bis Venedig, aber er hatte sich noch einmal erkundigt und sogar für mich eine Versicherung abgeschlossen, sodass dies ohne Probleme möglich wäre. Entgegen meinen Plänen und so erbot ich mir Bedenkzeit. Wir hatten ja zwei Tage Zeit, bis wir in Venedig anlegen würden.

Die Fähre ging um Mitternacht von Patras aus. Gegen 19 Uhr kamen wir schon am Hafen an. Periklis fährt diese Strecke schon seit 7 Jahren und so ist er überall bekannt, wie ein bunter Hund. Am Ticketschalter gab es dann zuerst mal schallendes Gelächter. Natürlich sass da ein Freund von ihm. Nachdem wir schon das Ticket hatten, rauchte er zuerst mal 3 Zigaretten und redete lautstark mit seinem Freund von Minonan Lines. Irgendwann merkte ich, dass er von mir erzählte. Schnell kam aus dem Hintergrund ein andere Mitarbeiter dazu. Das Fenster wurde nun weit geöffnet und dann ging es los. Wie ich denn mit 10€ am Tag zwei Jahre reisen könnte? Wo ich überall war? Warum ich das mache? Wie bezahle ich meine Miete in Deutschland?
Das war nur eine kleine Auswahl, auch an Missverstandenem. Anyway. Der jüngere von beiden, mit wohlgenäherter Wohlstandswampe, war besonders penetrant, ja ich hatte sogar den Eindruck, er meinte vielleicht, ich würde hier allen etwas vorschwindeln?! Ich kenne das ja alles schon zu genüge aus der Vergangenheit und weiss daher, wie schwer, ja beinahe unmöglich es ist, so angepassten und konditionierten Menschen etwas von dieser Art des Lebens und Denkens näher zu bringen. Oder einfach zu erklären. So stellte ich dem wohlgenährten 30-jährigen, also meine Generation, nur eine Frage: Magst du deinen Job? Nein, aber ich muss ja...! Welch Überraschung? Im Prinzip war damit alles klar. Seit rund 2 Jahren mache ich das was ich mag und mich zwar materiell ärmer gemacht hat, dafür aber seelisch  unbezahlbar reicher!

Nach der kleinen Fragerunde ging es zurück zum Truck. Nun begann ein anderes Spiel: Wer fängt den schwarzen Mann?? Das Hafengelände ist umzäunt und an diesen Zäunen sitze junge Afrikaner, Pakistani und Afghanen (so erzählte es mir jedenfalls mein Fahrer) und warten auf eine günstige Gelegenheit, auf die fahrenden Trucks aufzuspringen! Ich konnte es zuerst gar nicht glauben, doch dann sah ich es mit meinen eigenen Augen. Irgendwie schaffen sie es unter dem Einsatz ihres Lebens, sich zwischen die Achsen des Anhängers zu klemmen, mit der Hoffnung unerkannt auf die Fähre zu kommen. Welch ein erfolgloses Unterfangen. Das erste was jeder Trucker macht, nachdem er geparkt hat, ist einmal um den Truck zu gehen, um mit der Taschenlampe in jede Nische zu leuchten. Das ganze Schauspiel konnte ich von dem Führerhaus aus beobachten. Einmal rief ich Periklis sogar zu, das dort vorne noch einer sitzt. Alle wurden sie ertappt, 4 an der Zahl an diesem Abend. Sie werden dann lautstark von den Truckern vertrieben, wortlos ziehen sie davon, und warten bei eisiger Kälte auf die nächste Gelegenheit. Einmal gab es fast eine Schlägerei, weil ein junger Afrikaner, tänzelnd und lachend vor Periklis und 3 anderen stand.

Es ist ein trauriges Schauspiel. Diese armen Kerle aus dritte Welt Ländern hoffen in das gelobte Land zu kommen, Mitteleuropa, dort frohlockt Arbeit, Sicherheit, Essen. Doch wie naiv und vielleicht doch verständlich?  Falls sie es tatsächlich schaffen, landen sie meist in Auffanglagern oder knieend und bettelnd in der Füßgängerzone. Auf die Fahrer warten in Italien bis zu 8 Jahre Gefängnis, falls sie am Hafen erwischt werden und der junge Afrikani behauptet er hätte dem Fahrer Geld bezahlt und ihm somit des Menschenschmuggels bezeichnet. So ist es in gewisser Weise ein hohes Risiko für beide Seiten, Periklis nannte es sein Berufsrisiko.

Irgendwann zur späten Stunde, es muss gegen 23 Uhr gewesen sein, die Müdigkeit schlug bei mir schon voll durch, ging es dann endlich mit dem Brummi auf die Fähre. Der lange Tag neigte sich seinem Ende, aber nicht ohne mit einer letzten Überraschung aufzuwarten. An der Rezeption des Schiffes traf Periklis weitere "Freunde", und so schaffte es dieser verrückte Kerl tatsächlich mir als sein "Co-Driver" ein Bett in einer 4er-Kabine zu besorgen. Ich stellte mich schon auf Schlafsack für zwei Nächte auf dem Deck ein. Einfach unglaublich. Müde schleppte ich mich in meine Kabine und traf dort einen weiteren Trucker aus Griechenland. Mittlerweile war es nach Mitternacht, ein neuer Tag und der 11.03. brach an. Vor genau 6 Monaten begann ich meine Reise ins Unbekannte. Ich lag auf meinem gemütlichen Bett, schaute an die Decke und schlief irgendwann mit einem seeligem Gefühl ein. So konnte es weitergehen...

- Fortsetzung folgt -

Freitag, 9. März 2012

Yasu Griechenland

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

Mit diesen Zeilen aus meinem Lieblingsgedicht von Hermann Hesse's "Stufen", verabschiede ich mich nach 4 Monaten von Griechenland. Morgen gegen Mitternacht geht meine Fähre von Patras nach Venedig. Dort werde ich am Montagmorgen ankommen.

Eine Zeit der Reifung und Entwicklung, ich glaube, ohne sentimentale Übertreibung kann ich die zurückliegenden Monate in dieser Weise skizzieren. All das Erfahrene, Erlernte und Erkannte versuche ich nun mitzunehmen, auf einen Weg ins Unbekannte, auf einen Sprung zu einem neuem Anfang. Und darauf freue ich mich. Bleibt heiter und gelassen, auf bald, das nächste mal wieder von unterwegs, i am back on the road!