Samstag, 26. November 2011

Schüttelfrost, kalt gepresstes Olivenöl und das Knistern des Kaminfeuers



"Leben ist, was uns zustößt, während wir uns etwas ganz anderes vorgenommen haben"
Henry Miller




Am nächsten Tag, genau am 60. meiner Reise, verließ ich Korfu Stadt in Richtung Norden der Insel. Ich hatte nun alles was ich brauchte, eine Karte von der ganzen Insel, und Infos. Mir wurde empfohlen, in den Dörfern in der Inselmitte zur Mithilfe bei der Ernte zu fragen.

Auf meiner Fahrt aus der Stadt, traf ich am Hafen einen belgischen Tourenradler. Er kam gerade mit der Fähre vom Festland, und wollte heute noch weiter an Albanien. Das rief gerade zu nach Erfahrungsaustausch, und so gab es bei einer Cola genug zu erzählen. Er ist in meinem Alter, hat sich ein Jahr Auszeit genommen (nach der er aber nicht zurückkehren will), will mit dem Rad und dann als Backpacker die Welt erkunden. Am Ende frage ich ihn nach seinen Bewegründen für das Reisen:
“ Im normalen Alltag ist jeder Tag der selbe, wie sagt man, no Suprise!“

12 Km nach Korfu Stadt steuerte ich in Kontokali den Campingplatz an. Natürlich war der schon geschlossen, aber wie so oft in den vergangenen Wochen, lebt der Besitzer auf dem Platz, und so konnte ich einmal mehr, kostenfrei auf einen Campingplatz übernachten. Natürlich fragte ich ihn gleich nach Tipps oder Empfehlungen, bei wem ich wegen der Olivenernte nachfragen könnte. Er nannte mir den Namen einer Ferienanlange die, wie er meinte, alternativen Tourismus anbietet.

Am nächsten Tag stehe ich auf dem Gelände dieses Alternativtourismus, eine Casa, die als Alternative zu Einheitszimmern und Speisesall, stilvolle Appartaments und Häuschen in einer ruhigen Umgebung anbietet. Eine Engländerin, die seit 25 Jahren hier lebt, betreibt dieses Kleinod der Ruhe und Besinnung. Wir sind uns sofort sympathisch und bei einer Tasse Tee, erzähle ich ihr meine Geschichte von der Idee bis zur Umsetzung dieser Radtour. Sie ist sofort begeistert und möchte mich bei meiner Suche nach einer Unterkunft unterstützen. Sie schreibt mir mehrere Telefonnummern auf, darunter auch die eines Griechen, der in der Nähe ein grosses Grundstück mit vielen Olivenbäumen hat. So weit Sie weiß, möchte er in den nächsten Tagen mit der Ernte beginnen. Zusätzlich möchte Sie einen Rundbrief an einige Leute aus Ihrem Bekanntenkreis verschicken, und mich darin kurz vorstellen. Grandios.

Während meiner Fahrt zurück zum Campingplatz in Kontokali, merke ich, das ich krank werde. Während so eines Trips, lernt man sich und seinen Körper genau kennen. Ich fühle mich geschwächt. Letzte Nacht, habe ich mein erstes schweres Gewitter auf Korfu erlebt. Es hat so laut gedonnert, das ich aus dem Zelt geschlüpft bin, und unter einem Vordach verharrte, bis der sintflutartige Regen und das Donnern nachliessen. Das brauche ich heute nicht noch einmal, und so entscheide ich mich, mein Zelt hier abzubrechen, und in ein Hostel zu gehen. Mein Körper gibt mir ganz klar das Signal, nach Ruhe, Erholung und einer warmen Behausung.

Den Ort und den Namen des Hostels, hatte ich mir noch schnell in Albanien aus dem Internet geholt, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Wenn der Preis aus dem Internet stimmt, wäre das ein echtes Schnäppchen, vorausgesetzt es hat noch geöffnet, was bei Hostels um diese Jahreszeit nicht selbstverständlich ist. Das Hostel liegt in Ipsos, einem Touristenort direkt am Meer, der um diese Jahreszeit wie ausgestorben ist. Ohne Erfolg frage ich zwei Einheimische, und so versuche ich alleine den Weg zu finden. Der Ort ist nicht gross, und so stehe ich einige Minuten später vor dem Hostel. Der Anblick von aussen verspricht nichts gutes. Das mehrstöckige Haus sieht ziemlich geschlossen aus. Trotzdem betrete ich über eine Treppe das Hostel, und befinde mich in einem offenem Vorraum, links und rechts die Zimmer mit individuellen Namen. Niemand zu sehen, weder zu hören. Ich mache mich bemerkbar, und rufe ein paar Mal. Und plötzlich, höre ich wie sich die Tür von einem Zimmer öffnet. Ein freundliches Gesicht einer jungen Neuseeländerin erscheint im Türrahmen. Sie erklärt mir das der Besitzer nicht hier wohnt, er aber seine Handynummer an der Pinnwand hinterlassen hat. Sie meint der Preis wäre um die 10 € für eine Nacht. Prima. Fünf Minuten später habe ich den Betreiber am Ohr, er erklärt mir, das Zimmer Nr. 10 geöffnet sei, ich sollte hineingehen und er würde dann heute abend zum bezahlen kommen. Wieder einmal hat letztendlich alles geklappt. Das Zimmer ist eher ein Appartment mit Küchenzeile und Kühlschrank genau das was ich momentan brauche zum Erholen und Regenerieren. Als ich mich nach einer heissen Dusche auf das Bett lege, fange ich plötzlich an zu zittern. Zusätzlich glüht mein Gesicht. Schüttelfrost und Fieber. Ich packe mich in 3 Decken ein. So zittere ich mich durch die Nacht, am nächsten Morgen fühle ich mich richtig elend.

Ich hole mir Medikamente, verlängere meinen Aufenthalt um eine Nacht, kaufe viel Obst und Lebensmittel, und gönne mir viel Ruhe. Mit der Neuseeländerin, die als Backpackerin durch Europa reist, habe ich viele interessante Gespräche, beim Abschied tauschen wir die Emailadressen, wieder ein Kontakt mehr in der Welt, und eine Einladung, falls es mich einmal dahin verschlägt.

Am nächsten Tag rufe ich den Griechen an, der mir von der Casa empfohlen wurde. Er hat schon auf meinen Anruf gewartet, ja er möchte am Montag mit der Ernte beginnen , und sucht händeringend noch Leute dafür. Als Gegenleistung kann er mir eine kostenfreie Unterkunft und eine warme Mahlzeit am Tag anbieten. Hört sich sehr gut an, ich erkläre ihm das ich noch ein wenig krank bin, und erst morgen zu ihm kommen kann.

Der nächste Morgen, fühlt sich schon viel besser an, und so lerne an einem Samstag im November, vier Tage nach meiner Ankunft auf der Insel, Apostolos kennen, ein junger Grieche in den dreißigern, der mit seiner Freundin und seinem kleinen Sohn, von Paris nach Korfu zurückgekehrt ist, und nun versucht auf dem riesigen Grundstück einer alten Olivenpresse, eine organische Farm aufzubauen, mit dem Anbau von Gemüse, Orangen, Zitronen und dem Herstellen von biologischen Olivenöl. Alle zwei Jahre können die rund 200 Bäume abgeerntet und beschnitten werden, dieses Jahr ist es wieder soweit.Und so fanden zwei Leute zur rechten Zeit und zum rechten Ort zusammen.

Seit zwei Wochen bin ich nun bei der Ernte dabei. Es ist harte Arbeit keine Frage. Die Oliven müssen so schnell wie möglich vom Baum, da sie momentan noch grün sind, was heißt, sie reifen noch weiter bis sie dunkel werden. In dem jetzigen Zustand sind sie aber besonders frisch, und das gewonnene Öl bekommt einen besonderen Geschmack, bitter und ein wenig scharf. Beides ist ein Zeichen für eine gute Qualität, soviel habe ich schon gelernt, und auch schon geschmeckt

Jeden Morgen geht es um acht Uhr in den Hain, mit den anderen Arbeitern aus dem Dorf. Die Bäume werden mit der Motorsäge freigeschnitten, auf dem Boden liegen Netze, auf denen die Oliven gesammelt werden. Mit einem Stock oder einem Handrechen werden die Oliven von den Ästen geholt. Danach geht es in ein Nonnenkloster hier auf Korfu, wo das Öl in Form eine Kalt Pressung gewonnen wird. Zuerst werden sie gesäubert und gewaschen, dann zu einer Pesto ähnlichen Paste zermahlen. Diese wird auf perforierte Platten gegeben und anschließend auf den Stahlzylinder der mechanischen Presse gestapelt. Bei 400 Bar wird langsam aus der Masse eine ölig-wässrig Flüssigkeit herausgepresst.

Dies ist aber noch kein Öl! Die Flüssigkeit wird in Eimern aufgefangen und kommt anschliessend in den 120 Liter Tank eines Abscheiders, der das Wasser von dem Öl trennt. Nach rund 3 Stunden Wartezeit, wird über einen Schlauch das nun reine Öl in einem Plastikkanister aufgefangen.
Frischer und biologischer geht es wohl nicht, und Apsotolos hat mir versichert, das wegen des hohen Aufwandes kaum einer mehr Öl in diesem Verfahren herstellt. Zeit ist Geld!

Ich habe das hier mal ausführlich beschrieben, damit man nachvollziehen kann, wieviel Arbeit es ist, einen Liter Öl in diesem Verfahren zu gewinnen. Das Verhältnis ist 1:10, also 10 Kg Oliven für 1 Liter Öl! Mittlerweile habe ich jeden einzelnen Schritt, vom Baum bis zum Öl, auch selbst durchgeführt.Einst ist jetzt schon klar, kalt gepresstes Olivenöl werde ich in Zukunft noch höher wertschätzen, als ich es ohnehin schon gemacht habe.

Als Gegenleistung für diese täglichen, mehrstündigen Einsatz, darf ich ganz alleine ein alters Bauernhaus mit Kamin bewohnen, bekomme alle Mahlzeiten gestellt, und kann jederzeit meine Wünsche und Gelüste auf Lebensmittel an seine Frau weitergeben.
Trotz des harten Jobs, eine gute Gelegenheit, verlorene Pfunde und Kraft wieder aufznehmen. Ich geniesse das tägliche draussen sein mit der angenehmen Novembersonne, die traditionelle griechische Küche (viel Bohnen,Linsen, kein Gyros und Bifteki, das ist hier Fastfood), und das knistern des Kaminfeuers am Abend.

Nun sind zwei Wochen rum, und auch diese Zeit nähert sich ihrem Ende. Die grosse Frage ist nun, wie geht es weiter nach meinem Aufenthalt auf Korfu? Ideen und Möglichkeiten gibt es, und gerade bin ich dabei diese auszuloten. Es ist alles dabei, es bleibt spannend, keep on watching.

Freitag, 18. November 2011

Am Ziel!



08.11.2011, Korfu, Hafen

Alles was einen Anfang hat, hat auch ein Ende

Gesamt-Km: 3.104

Tag 59

Nach 59 Tagen, 3.104 gefahrenen Kilometern und sechs durchreisten Ländern, erreiche ich am 08.11.2011 gegen 13.30 MEZ mit dem Schnellboot Korfu.

Ich habe es geschafft, und bin geschafft, für Luftsprünge bin ich viel zu müde. Vor mir am Zoll steht eine ganze Traube Albaner, die es kaum erwarten konnten, aus dem Boot zu kommen. Ich bin der letzte in der Schlange. Der Zöllner macht mal wieder den berühmten „Fahrzeugscheinwitz“, aber alles ganz locker, er geht mit mir nach draussen, und zeigt mir wie ich in die Stadt komme
.
Endlich wieder „europäischen Boden“ unter den Füssen, ich fühle mich gleich ganz anders. Aber hier ist ja nicht irgendwo in Europa, hier ist das Land auf das momentan die ganze Welt schaut. Das bekomme ich gleich im Hafen zu spüren, als ich zwei Griechen frage, ob Sie ein Foto von mir und meiner Ankunft machen können. Als sie erfahren, dass ich aus Deutschland komme, höre ich irgendwelche griechischen Sätze, und mehrmals den Namen „Merkel“.

Ich fahre in die Altstadt, und gönne mir zuerst einmal ein Willkommens-Menü, welches aus Pommes, Fetakäse, Brot und einer Fanta besteht. Dann möchte ich zur Tourist-Info, die aber schon geschlossen hat. Ich klappere einige Hotels ab, die aber alle für mein Budget zu teuern sind. Nein, auch nicht zu Feier des Tages, möchte ich 40 Euro für ein Zimmer ohne Frühstück ausgeben. Einen Campingplatz gibt es in der Stadt nicht, nur einige Kilometer ausserhalb, und ob der noch geöffnet ist, konnte mir auch keiner sagen. Ich fahre durch die Strassen, frage nach Privatzimmern, nichts zu finden.

Tja, ich wollte es ja so, ankommen mit nichts in der Hand, und relaxt bleiben. Schließlich, als es schon dämmert, fahre ich zum Hafen, sehe in einem geschlossenen Restaurant Licht, frage den Besitzer der gerade am aufräumen ist, ob ich eine Nacht auf seinen Spielplatz übernachten kann. Kein Problem, und so verbringe ich meine erste Nacht auf Korfu, zwischen einer Schaukel und einem Karussell. Abends setze ich mich an den Hafen, schaue den Anglern zu, lasse die Atmosphäre auf mich wirken. Morgen früh werde ich gleich die Tourist-Info ansteuern, um Infos zu erhalten.
Ich möchte nicht gleich wieder hier abreisen, sondern ein paar Tage, oder sogar Wochen bleiben. Ein Zimmer mit Verpflegung finden, das ich gegen Mitarbeit bekomme. Die Olivenernte steht an. Das ist mein Plan. Inwieweit er aufgeht, wird sich morgen zeigen, ein neuer Tag, eine neue Chance.

Zum Abschluss dieser Reise möchte ich ein letzte Mal Claude Marthaler zu Wort kommen lassen.

„Unser Charakter zeigt sich auf Reisen, in unvorhergesehenen oder schwierigen Situationen, wo die üblichen Bezugspunkte fehlen, besonders deutlich. „

„Unterwegs gibt es wohl mehr Unvorhergesehenes als bei einem sesshaften Dasein, aber meistens wird der Tagesablauf bestimmt durch die menschlichen Grundbedürfnisse: Essen, Trinken und Schlafen. Dieses spartanische Leben, oft so reich an Begegnungen und Entdeckungen, entspricht meinem Naturell und meinen Wertvorstellungen.“

Besser hätte ich es nicht beschreiben können...




Tag 58

Die Hotelbesitzerin ist richtig traurig, als ich Ihr am Morgen mitteile, das ich heute auschecken werde. Grundsätzlich war es sehr schön hier, aber ich merke nun ganz deutlich, wie ich nach 2 Monaten auf dem Rad nur eines will: Ankommen.
Sie bedankt sich tausend mal für den Excel Grundkurs, ich gebe ihr meine Email und Blogadresse.

Die Reise nähert sich dem Ende, das ist klar. Bis nach Saranda sind es ca. 60 km. Von da aus noch einmal 70 km bis nach Igoumentitsa, der Fährhafen in Griechenland. Gestern fand ich heraus, das es eine Verbindung von Saranda nach Korfu gibt, mit dem Schnellboot.
Eigentlich habe ich gestern abend schon darüber nachgedacht, und mich entschieden. Wenn das mit dem Fahrrad geht, nehme ich das Schnellboot. Wenn ich bis Igoumenitsa fahre, werde ich wohl noch einmal dort übernachten müssen. Aber vor allem bin ich müde. Und schlecht gelaunt. Die fast zwei Monate habe gezerrt, ich habe ein paar Kilo abgenommen. Mein Körper bettelt um Ruhe, Erholung und gutes Essen. Ganz klar, dafür an anderer Stelle einiges hinzugewonnen, Erfahrungen, Disziplin und Wertschätzung, für die kleinen Dinge, die so selbstverständlichen, Essen, Trinken, vier Wände zum schlafen.

Und so gehe ich sie an, die letzten Kilometer durch Albanien, und der ganzen Tour. Die letzte Entscheidung will ich in Saranda treffen. Eine Mischung aus Wehmut und Vorfreude. Was habe ich nicht alles erlebt in diesen zwei Monaten, Krankheit, Regen, Sonne, Hunger, Kälte. Wenn ich eine sichere und feste Bleibe auf Korfu gefunden habe, werde ich das alles Revue passieren lassen, in mich hineinhören was es mit mir gemacht hat, die Strapazen, wie die Freuden, das täglich neue, das täglich Ungewisse. Und versuchen darüber zu schreiben.

Nach einigen Kilometern merke ich eine Leichtigkeit beim fahren. Es könnte jetzt eine Bombe vor mir einschlagen, oder ein Pitbull auf der Strasse stehen, ich glaube es wäre mir egal, würde einfach weiterfahren, oder eben nicht, alles ist gut, alles ist schlecht, alles ist Veränderung.

Noch einmal zähes Treten bergauf, und lässige Rollen bergab, Dörfer, Hundegebell. Kurz vor Saranda, eröffnet sich links von mir ein riesiges Tal, und absolute Stille. Ich trete langsamer, bleibe immer wieder kurz stehen, ein passender, schöner Ausklang einer Tour. Da stören sogar die riesigen Müllberge am Strassenrand nicht.

Dann rolle ich in Saranda ein. Es ist früher Nachmittag. Die Frau in der Tourist-Info ist sehr freundlich, und bemüht für mich eine günstige Unterkunft zu suchen. Die beiden Hostels in der Stadt haben geschlossen. Sie gibt mir einen Stadtplan und ein paar Hotelempfehlungen mit auf dem Weg. Ich schiebe mein Rad durch die Strassen, die Albaner begaffen mich wie einen Außerirdischen. Sie sitzen in ihren Cafes, trinken Espresso, rauchen wie die Schlote, machen Tauschgeschäfte auf der Strasse. Man merkt eindeutig einen italienischen Einfluss, nicht nur bei den Restaurants, laize faire, warum sich verrückt machen, jeden Tag 8 Stunden arbeiten. Nun kommen ja immer mehr Touristen, wie mir die Dame in der Info erzählt hat, und wie man es überall an den Betonrohbauten erkennen kann.
Sie fragte mich auch, welcher Eindruck nach sechs Tagen durchs Land nun bleibt. Unterschiedlich antwortete ich, viele Vorurteile sind gefallen, ich fühlte mich nicht unsicher oder bedroht, aber auch nicht richtig wohl. Es bleibt ein fader Geschmack zurück, die Gesichter der Alten sind verhärmt, ausdruckslos, starr, man könnte meinen, die ereignisreiche und raue Geschichte des Landes ist darin gezeichnet.

Gerade als es zu regnen anfängt, habe ich wieder ein günstige Hotel gefunden. Ich bin wohl der einzigste Gast, die Dusche ist nur lauwarm. Nun ist es klar, morgen um 12.45 geht es mit dem „Dolfin“ Schnellboot rüber nach Korfu, in 30 Minuten in ein anderes Land.

Ich habe lange überlegt, ob ich mich bei diversen Seiten im Internet anmelden soll, um vorab Kontakt mit unterschiedlichen Gastgebern auf Korfu aufzunehmen,Wwoofen, HelpExchange, es gibt einige Möglichkeiten, um was Sicheres zu haben, eine Anlaufstelle. Habe es dann aber trotzdem nicht gemacht. Durch die Erfahrungen und den Austausch mit anderen Reisenden habe ich eine gewisse Gelassenheit bekommen, ich möchte morgen auf Korfu den Tag beginnen wie die letzten Tage, mit nichts Gewissem, nichts Sicherem, kenne niemanden dort, weiß noch nicht einmal wo ich schlafen werde.
Den Dingen ihren Lauf lassen, sich entwickeln lassen, das Schicksal arbeiten lassen. Hört sich manchmal etwas großspurig an, und für manche leichtsinnig, aber so möchte ich die Reise beenden, so wie ich sie auch angefangen habe.

Sonntag, 13. November 2011

In eisiger Höhe, Hundeattacken und das Rauschen des Meeres

Tag 56

Heute nun ging es auf die letzten Kilometer durch Albanien. Nach einer guten Nacht in dem feinen Hotel, startete ich ausgeruht von Vlore aus. Der Hotelbesitzer warnte mich schon vor, heute sollte die höchste Erhebung der Tour auf mich warten, ich musste über 1.000 Meter hohen Berg.
So kaufte ich noch ausreichend Proviant ein, und radelte die ersten 20 Kilometer noch entspannt entlang der Küste. Nach einem letzten Tee, und einer kleinen Mahlzeit, ging es los.

Der Blick auf die Karte versprach nichts gutes, wie eine Schlange sah der Strassenverlauf aus. Und so fing es an. Vor mir sah ich die erste Steigung. Die ersten 1-2 Kilometer konnte ich noch im kleinsten Gang bezwingen. Aber dann kam irgendwann der Punkt, wo es einfach nicht mehr ging. Absteigen, schieben. Ein paar Meter, wieder aufs Rad fahren, schieben, kurze Verschnaufpause.
In diesem Rhythmus bewegte ich mich fort.

Während den Pausen wurde ich immer wieder, mit wunderbaren Ausblicken aufs Tal und das Meer belohnt. Irgendwann erreichte ich die ersten kleinen Bergdörfer. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, krassende Kühe, bucklige Frauen mit Kopftüchern auf den Wiesen, Stille, nur das Rauschen des Windes. Als ich gerade mal wieder im Gänseschritt mein schwer bepacktes Rad schiebe, kommt von rechts ein Junge auf mich zu. Er stellt sich im guten Englisch als Ronaldo vor. In seiner verdreckten Hand, hält er ein Stück Feta-Käse. Gleich streckt er mir diese entgegen, und bietet mir etwas an. Ich lehne dankend ab. Von Kopf bis Fuss ist er ungewaschen, man riecht das es wohl schon einige Wochen sind. Nach dem üblichen Small-Talk, verabschiede ich mich, ich habe noch ein wenig Arbeit vor mir.Kurve Links, kurve Rechts. Nach jeder Kehre wünsche ich mir die Passhöhe herbei, das Erahnen einer letzten Anhöhe, und danach die rauschend Abfahrt.

Wenige Meter nach dem Treffen mit Ronaldo, sehe ich einige Meter vor mir in der Kurve, ein geschlossenes Restaurant, wie viele hier oben. Nur im Sommer lockt es die nach Frische und Kühle lechzenden Touristen hier rauf. Ich setze mich mal wieder aufs Rad, und mühe mich im kleinsten Gang den Berg hinauf.
Und dann passierte es! Innerhalb von Sekunden, völlig unvorbereitet. Gerade als ich auf der Höhe des Restaurants bin, kommt aus einer Ecke, ein Hund heraus gerannt, direkt auf mich zu, während ich mich 8 Kmh den Berg hinauf fahre. Das Adrenalin schiesst mir sofort ins Herz, und lässt es noch schneller schlagen. Der Hund bellt wie verrückt, läuft rechts und links neben dem Fahrrad, wechselt immer wieder die Seiten. Ich bleibe im Sattel, instinktiv und unbewusst trete ich schneller, die Angst fährt mit. Ich schaue immer wieder auf den Hund, mir bleibt nicht viel übrig, als einfach weiterzufahren. Er macht keine Anstalten zu zubeissen. Nach einigen Metern läßt er ab, er hat sein Revier erfolgreich verteidigt, seinen Job getan. Meiner liegt noch vor mir. Auf einer Anhöhe mache ich Pause, stelle das Fahrrad ab, erhole mich zuerst mal, von den Strapazen, und dem Schock. Soeben bin ich einer meiner tiefsten Ängsten begegnet. Und ich lebe noch!

Ich schaue nach vorne auf die Strasse, und zurück sehe das weite Tal, ich bin schon ziemlich weit oben. War es das schon, habe ich es geschafft? In einem Restaurant gönne ich mir zuerst mal einen wärmenden Tee, hier oben pfeifft ein eisiger Wind. Ich frage den Kellner, er meint einen Kilometer geht es noch nach oben, dann nur bergab. Ok, die schaffe ich auch noch, das gröbste habe ich wohl hinter mir. Weit gefehlt!

Schon wenige Meter nach dem Restaurant, kommt von einem geschlossenen Restaurant auf der linken Seite, die zweite Hundeattacke. Diesmal sind es zwei. Sofort rennen sie über das Grundstück, bis zur Mauer, die aber offen ist. Dort machen sie kurz Stopp. Ich drehe ab, und lasse mich ein paar Meter abwärts rollen. Ich muss da vorbei, es gibt keine Alternative. Vom Strassenrand hebe ich ein paar Steine auf, und stecke sie mir in die Tasche. Ok, auf zum Gefecht.

Im kleinsten Gang trete ich wie verrückt in die Pedale, das Grundstück kommt, die Hunde auch. Als ich etwa in der Mitte bin, kommen sie wie erwartet auf die Strasse gerannt, verfolge mich. Ich beobachte sie genau, die Hand in der rechten Tasche bei den Steinen. Wenn ich werfe muss es ein Volltreffer sein. Aber nur wenn sie zubeissen wollen. Aber wieder ist es so, das sie mich nur vertreiben, nach einigen Metern, drehen sie ab und laufen zurück.
Oh Mann, wie oft denn noch? Das schafft mich fast mehr, als der Berg. Und der gibt jetzt noch mal alles. Eine Kehre nach der anderen, ha, die Passhöhe war noch lange nicht erreicht. Ich bin nur noch am schieben, stemme mich gegen den Lenker, und drücke mit letzter Kraft das Rad nach oben. Es ist schon spät, ab fünf fängt es an zu dämmern.

Und dann, nach gefühlten unendlichen Stunden und Strapazen, nach 18 Km nur bergauf, erreiche ich endlich die Passhöhe, auf 1.027 Metern.
Pünktlich zum Sonnenuntergang. Ein atemberaubender Ausblick auf das Meer, und riesige Wolkenfelder eröffnet sich mir, die zum greifen nah scheinen. Das muss ich auf Kamera festhalten. Aber viel Zeit zum verschnaufen und träumen bleibt nicht, es wird dunkel und ich habe noch eine Abfahrt vor mir.

Rauf aufs Rad, Halstuch umgebunden, Helm auf dem Kopf, und los geht’s. Ganze 10 Kilometer, brauche ich kein einziges Mal zu treten, nur rollen und bremsen. In der ersten Ortschaft nach der Abfahrt, verfolgt mich ein letztes Mal ein Hund, diesmal habe ich aber genügend Speed das ich einfach davonfahre. Gegen 18 Uhr erreiche ich in völliger Dunkelheit, Dhermi, ein im Sommer überfüllter Touristenort. Ich habe mal wieder Glück, finde ein Hotel das mir Nachlass gewährt. Auf dem Zimmer mache ich mir eine Portion Reis, Duschen, falle ins Bett, was für ein Tag!

Tag 57

Als ich erwache merke ich schnell, das mir der gestrige Tag noch in den Knochen steckt, in physischer wie in psychischer Natur. Wie hat mal eine Psychologin zu mir gesagt „immer der Angst entlang“. Das habe ich gestern erlebt, und vielleicht hat es mir für die Zukunft wirklich was gebracht.

Heute möchte ich bis Himare fahren, was etwa 20 KM sind, und dann ausruhen, ein schickes kleines Hotel am Meer. In gewohnter Manier, also auf und ab, kämpfe ich mich bis Himare durch. Am Ortseingang komme ich mit einem Griechen ins Gespräch, der hier einen kleinen Laden betreibt. „Hier ist schon Griechenland“ meint er zu mir. Wie auch immer, geografisch und psychisch fühle ich mich noch in Albanien.
Der Grieche empfiehlt mir auch einen wunderschönen Strand mit Holzhäusern, die man für 10€ mieten kann, etwa 10 KM nach Himare. Trotzdem fahre ich ins Zentrum, um mir die Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort mal anzusehen. Eine Weise Entscheidung. Am nächsten Tag, als ich weiterfahre, entdecke ich nämlich keinen Strand, geschweige den Holzhäuser, das wäre eine Fahrt ins Nirgendwo geworden.

Ich machte vor einem Geldautomat halt. Sofort als ich das Rad abstellte, kommt eine Frau auf mich zu, und spricht mich auf Englisch an: „You need a Room, Hotel, here“. Normalerweise habe ich eine natürlich Aversion gegen solche Arten der Annäherung und Anpreisung egal von was. Aber ich suchte ja tatsächlich ein schickes Zimmer. Und so sage ich, ja ich suche ein Zimmer kommt aber auf den Preis an. So ging ich mit ihr in das kleine Hotel, das gleich neben der Bank lag. Sie zeigte mir ein Zimmer, das direkt am Meer lag, mit kleinem Balkon, darunter der Sandstrand. Unbezahlbar, denke ich mir gleich. Und dann sagt Sie, 1.000 Lek, was ungefähr 7 € sind! Das Zimmer ist für mich gebucht! Ich frage noch mal nach, ob Sie das ernst meint, Sie meint ja, normalerweise 20, ich solle es keinem anderen Tourist erzählen! Kein Problem, so viele laufen hier ja gerade nicht rum.

Die Besitzerin ist geschätzte Ende vierzig, und hyperaktiv. Sie redet wie ein Maschinengewehr, und ist immer am rotieren, mit Händen und Füssen. Aber eine ganz Nette und Hilfsbereite. Ich richte mich häuslich ein, kaufe ausreichend ein, um es mir hier gut gehen zu lassen. Nach dem letzten anstrengenden Tag, genau das richtige. Da das Wireless Lan aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert, frage ich, ob ich in ihrem Büro kurz meine Emails checken kann. Gar kein Problem. Während ich da sitze, fragt sie mich, ob ich mich mit Computern auskenne. Ein wenig schon. Fünf Minuten später, erstelle ich für Sie, in Excel eine Reservierungsliste für Ihr Hotel. Dafür bekomme ich einen Tee, und am nächsten Morgen, sogar ein Brot mit Marmelade und Käse.

Während ich am PC sitze, kommen abends zwei Touris vorbei, ein Irre und ein Grieche. Der Grieche ist gleich bei mir unten durch, als er mich fragt ob ich mit Vornamen „Fritz“ heisse?! Engstirnig und voller Klischees, wie ich es hasse. Natürlich kamen wir gleich auf die aktuelle finanzielle und politische Lage in Europa, und speziell in Griechenland zu sprechen. Der Irre, der seit 20 Jahren in Athen lebt, erzählte mir in seiner selbstgefälligen Art mit wilden Gesten und lauter Stimme, von Griechen die am Tag 4 Stunden arbeiten, bestechlichen Ärzten und seinen 30 Jahren Erfahrungen als Reiseführer.

Irgendwann rauchte mir der Kopf, und ich verabschiedete mich auf mein Zimmer. Auf dem Balkon, mit Blick auf die Sterne und dem Rauschen unter meinen Füssen, ließ ich den Tag, bei einer grossen Portion Pasta mit Gemüse ausklingen.

Montag, 7. November 2011

+Zeitungsartikel über die ersten 6 Wochen+

Es hat mich einige Stunden an Arbeit gekostet, hat aber Spass gemacht. Das ist das wichtigste beim Schreiben.

Herausgekommen ist dieser Artikel über die ersten 6 Reisewochen. Ich denke es hat sich gelohnt. Ein Abschlussbericht soll folgen. Viel Spass!

Onlineausgabe:
Giessener Anzeiger Online 06.11.11

Zeitungsausgabe (pdf):
Giessener Anzeiger 05.11.11

Freitag, 4. November 2011

Ein Land voller Vorurteile

Gesamt-KM: 2.977

Tag 55

Früh brach ich heute von dem Hotel aus auf. Ich wusste ja was mich erwartet, Strasse, Staub und viel Lärm. Ich wollte nun so schnell wie möglich aus dieser provoziniellen Gegend in Mittel Albanien raus, um nach Süden zu kommen, entlang der Küste, und damit zu der schönsten Gegend von Albanien, mit den schönsten Stränden und Ausblicken aufs Meer. Das wurde mir gestern noch mal bestätigt.

Mein heutiges Tagesziel sollte Vlore werden, die letzte grosse Stadt in Albanien, direkt am Meer. Hinter Fier bekam ich dann einen ersten Eindruck davon, was es heißt, nicht auf einer der Hauptachsen unterwegs zu sein. Eine bucklige Asphaltpiste, mit riesigen Schlaglöchern und Wellen, dazu ein Auto und LKW nach dem anderen, ständig musste ich abbremsen, stehen bleiben, Löchern ausweichen.

Nun bin ich seit 5 Tagen im Land. Jeden Tag lerne ich etwas neues über dieses so andere Land. Und über mich und meine westliche, konditionierten Denkweise. Und fast jeden Tag fällt ein Vorurteil. Klar, die hatte ich auch. Religion spielt hier im Land kaum bis gar keine Rolle. Es gibt Moscheen und Kirchen, ja, aber den Alltag den ich sehen, ist alles andere als religiös oder muslimisch, keine vermummten Frauen, keine Männer mit langen schwarzen Bärten. Eher modern, westlich, zumindest in den Städten. Die Albaner laufen so westlich gekleidet herum wie wir. Auch die Frauen. Auch so ein Vorurteil, bisher habe ich keine einzigste mit Kopftuch gesehen.

Was passiert denn, wenn man in Deutschland erzählt, man will durch Albanien fahren, gar mit dem Rad. Um Gottes Willen, alles Zigeuner und Verbrecher, die überfallen dich am helligsten Tag, die haben alle Waffen?! Gerade erst in Kroatien fragte mich ein deutscher Camper mit fragenden und sorgenvollen Blick: "So ganz alleine durch Albanien?!"

Das mit den "Zigeunern" ist eine Trägodie. Sie sind eine grosse ethnische Minderheit, die hier am Rande der Gesellschaft leben. Für die Regierung, und für viele Albaner existieren sie faktisch nicht! Keine Versicherung, keine Rechte, kein Ansehen. Nobody cares! Elvin hat mir diesbezüglich einiges erzählt - er machte auch einmal eine Fotoreportage, in einem dieser Camps am Rande der Stadt, das mitterweile von Halbstarken, abgebrannt wurde. Was in Indien die Unberühbaren (die unterstes Kaste), sind in Albanien die Sinti und Roma.

Gestern in Durres vor der Tourist-Info lief mir ein Roma-Mädchen mit Baby auf dem Arm und offener Hand einige Meter hinterher, hielt mich sogar kurz am Ärmel. Wie in Indien bin ich in solchen Situationen äußersts zwiegespalten, ich gab nichts, dachte aber darüber nach. Wie bei den Bettlern in Indien glaube ich, dass mit dem Geben vom Geld keinem richtig geholfen wird, mal abgesehen davon das ich momentan jeden Cent selbst brauche. Das Problem wird damit nicht gelöst, kann es auch nie von denjenigen die ein paar Lek-Münzen geben, es muss auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene gelöst werden. Auf meiner Fahrt raus aus Durres sah ich einen Albaner, der eine kleine LEK-Münze, zu auf dem Boden kauernden Sintis schnickte, so, als würde er einem räudigen Hund ein paar Brocken hinwerfen.

All diese Situationen und Beobachtungen lassen mich momentan jeden Tag aufs neue an die Verhätnisse in Indien erinnern. Ganz klar, dort ist alles mindestens zehnmal extremer: mehr Dreck, Müll, Abgase, Gehupe, Hunde , Hitze und vor allem, mehr Elend an Mensch und Tier. Andere Religion, andere Mentalität, anderer Kontinent. Und deshalb bemühe ich heute ein letztes mal diesen Vergleich, aber so waren nun mal meine Eindrücke und Erinnerungen der erste Tage.

Dort wie hier sieht man wie sich ein Schwellenland auf den Sprung in ein Industrieland bzw. Tourismusland befindet, oder anders gesagt, in einen Traum von einer Gesellschaft mit Wohlstand für alle. In Durres, Vlore oder Skhoder, sieht man überall riesige Rohbauten, für neue Hotels, Apparmtens mit Meerblick und kleinen Wohnungen für die aufstrebenden Albaner vom Lande. Das wird ab morgen, wenn es entlang der albanischen Riviera geht, mit ihren Tourismus- und Hotelhochburgen Himäre und Sarande, noch um einiges mehr zu sehen sein.

Ein modernes, neues Haus, mit Klimaanlage neben einer einfachen Steinhütte eines Hirten mit Strohdach. Beide Länder haben gemein, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht grösser sein könnten. Jeden Tag sehe ich hier die dicksten und neuesten BMW's, Audis, und Mercedes, und gleichzeitig, zwei Jungen auf einer Pferdekarre mit Heu, alles auf der gleichen Strasse!

Gerade jetzt, in Zeiten einer Euro und Schuldenkrise, oder man kann auch sagen, einer Geld und Kapitalismuskrise, stellt sich mir bei täglichen Anblick dieser Zustände die Frage: Wo soll das alles noch hinführen?! Ich weiss es nicht! Aber was ich weiss, ist die Tatsache, das mich jeder Tag mehr in diesem Land eins wissen lässt: Was habe ich doch für ein Glück und Privileg, in einem wohlhabenden Land geboren worden zu sein, um auf einer Reise durch Europa, all dies mit eigenen Augen sehen zu können. Und darüber berichten zu dürfen! Das ruft in mir Demut und Dankbarkeit hervor.

Und so, nach 55 Tagen des Reisens, durch so unterschiedliche Länder, kann ich dem Satz, des Reiseschriftstellers Nicolas Bouvier nun vollends zustimmen:

" Letzendlich macht man nicht die Reise - die Reise macht einen!"

Durres: Cochsurfen, Spaghetthi und tolle Bilder

Tag 53

Der Weg nach Kruje, 10 km bergauf, war gestern anstrengend aber hat sich gelohnt. Mal wieder. Ein Dorf, das durch Neubauten immer mehr zu einer Stadt wird. Zwei Hotel gibt es im Ort. Beim zweiten fragte ich nach einem Nachlaß für müde Langzeitradler, der Kellner rief seinen Chef an, und dann ging es klar. Der Lohn der Arbeit, ein phänomenaler Ausblick auf das Tal, bis zum Meer. Im Preis inbegriffen war sogar ein Frühstück, das aus Eiern, Toast, Marmelade und Saft bestand. Herrlich, genau der richtige Start in einen Radeltag.

Vor der Burg in Kruje, genoss ich in einer Bar noch einen Tee, bevor es in rauschender Fahrt nach unten ging. Heute ging es bis nach Durres, wo ich bei meinem ersten Couchsurfer-Host übernachten sollte. Endlich hat es mal geklappt, mein Gastgeber namens Elvin hat sich per Sms gemeldet.
Nach 10 km nur rollen lassen, ging es mal wieder über eine Autobahn. Wieder passierte ich eine Polizeistreife, die am Straßenrand stand, und die ganzen Raser abkassierte. Ein Polizist winkte mir sogar freundlich zu, und zeigte Richtung Durres. Langsam gewöhne ich mich dran. Es ist hier völlig normal, da es nur diese eine Hauptverbindung gibt. Die Nebenstrassen die in der Karte eingezeichnet sind, existieren zum Teil gar nicht, und wenn, sind es Buckel und Staubpisten. Also fährt einfach jeder mit seinem Gefährt auf der Autobahn, oder Schnellstrasse, so genau kann man das hier nicht unterscheiden.

Der Aufenthalt bei Elvin in Durres war einfach großartig. Hier lernte ich ein anderes Albaninen kennen, gastfreundlich und hilfsbereit. Elvin hat eine grosse moderne Wohnnung, ist von Beruf selbstständiger Fotograf, was ihm aufgrund der Bilder die ich gesehen habe, eindeutig liegt. Abends gingen wir Spaghetti essen, in einem schönen Restaurant, direkt am Strand. Wir unterhielten uns sehr gut und über verschiedene Themen, er spricht fliessend englisch. Ich erzählte ihm natürlich die ganzen Räuberpistolen von dem großspurigen ital. Anwalt. Er relativierte das ganze natürlich, und meinte, Albanien sei nicht mehr oder weniger gefährlich als andere europäische Länder, ob in der Stadt oder auf dem Land?! Ich erzählte ihm auch, das auf der Strasse, viele mir zuwinken und hupen, einmal fuhr sogar ein Passat an mir vorbei, die Beifahrertür ging auf, und der Typ rufte mir irgendwas auf albanisch zu. Er meinte, die Leute würden sich wundern, warum jemand mit dem Fahrrad unterwegs sei, und würden mich ein Stück mit nehmen, weil hier einfach alle mit dem Auto oder Bus fahren. Auch über die Polizisten auf der Autobahn bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, wenn sie mich wirklich mal anhalten sollten, würden sie mir nur den Weg erklären wollen! Naja, mitterlweile bin ich mir sicher, das Korruption bei diesen Kontrollen eine grosse Rolle spielt. So bin ich doch froh das ich weiterfahren kann, und mir keiner den Weg erklären will!

So habe ich nun zwei unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen, zu Land und Leute bekommen, und kann sie mit meinen eigenen Erfahrungen abgleichen. Auf jeden Fall, hat sich nach den Gesprächen mit Elvin, mein Albanienbild noch mal radikal gewandelt, die bis dahin bestehende Skepsis und latente Furcht, hat sich um einiges gemildert. Zumindest was mein Fortbewegen am Tage betrifft, nachts werde ich wohl auch weiterhin gesicherte oder feste Unterkünfte aufsuchen, was heißt Campingplatz oder Hotel.

Tag 54

Elvin ist einfach unglaublich. Gestern abend versprach er mir, morgen ein paar Fotos von mir zu machen. Dabei dachte ich an ein paar Schnappschüsse zum Abschied. Ha, weit gefehlt. In ein paar Minuten war sein Wohnzimmer in ein Studio verwandelt, und schon wurde eine ganze Fotoserie von mir geschossen. Er schenkte mir die Bilder und zog sie auf meinen USB-Stick. Wow, meine ersten professioniellen Fotos, da sieht man erst mal den Unterschied zwischen einer Kompaktcamera, und einer Canon-Spiegelreflex mit 12 MP. Und den Unterschied zwischen Amateuraufnahmen, und einem Gespür für das einfangen von Emotionen, Ausdrücken und Augenblicken. Die Portraitbilder können für meine wie auch immer geartete Zukunft noch Gold wert sein:-)Ich bedankte mich tausend mal für diese überwältigende Gastfreundschaft. Wir wollen in Kontakt bleiben.
Weiter ging es auf der staubigen und lauten Hauptstrasse. In Lushnje nahm ich mir ein günstiges Hotelzimmer, direkt an der Strasse.

Dienstag, 1. November 2011

Ein Hauch von Indien

Gesamt-Km: 2.800

Tag 51

Vom 5. Stock meines Hotels habe ich einen guten Überblick auf die Stadt, und die Strasse. Es wimmelt nur so. Vor Autos und Menschen. Jeder fährt wie er will, mehr oder weniger. Ampeln gibt es nur selten. Entgegen die Einbahnstrasse fahren, kein Problem. Keinen störts. Nun bin ich erst einen Tag in Albanien, und es erinnert mich immer mehr an ein Land: Indien.

Ich checke an der Rezeption aus. Wenn man unten das Hotel betritt, das Voyeur, die Bar und die Rezeption sieht, könnte man meinen, das Ritz-Carlton Hotel in Frankfurt zu betreten. Sieht man dann die Flure, und betritt sein Zimmer, fühle ich mich fast an mein erstes, und einzigste indisches Hotelzimmer erinnert. Nicht so verkalkt, versieft und miefig, das schafft nachwievor wohl kein europäisches, auch albanisches Zimmer, aber schon ein wenig in diese Richtung, kahle graue Wände, Sperrmüllmöbel, Bad mit zum teil nicht ganz weissen Wänden.
Ich will das nur mal so beschreiben, auf keinen Fall beschweren! Wenn man so lange unterwegs ist, gibt man sich auf jeden Fall mit wenig zufrieden, und es war völlig ausreichend, ich konnte mal wieder auf einer Matratze schlafen, und hatte eine heiße Dusche, für mich alleine und solange ich wollte. Radler, was willst du mehr?

Nachdem ich mir eine Karte und einige andere Infos in der Tourist-Info geholt hatte, ging es endlich wieder auf die Strasse. Blauer Himmel und Sonne. Ich schlängelte mich durch den Verkehr, bremsen, ausweichen, mitfliessen. Wie in Indien.
In einem kleinen Lokal, aß ich zu Mittag. Zwei Portionen Reis, 1 Wasser, 1€.
Bevor es auf die stark befahrene Bundesstrasse Richtung Durres ging, machte ich noch einen Abstecher an den Skhader-See, immerhin der grösste Binnensee des Balkans.

Auch hier kommen sofort Erinnerungen hoch. Entlang des Ufers überall Müll, halbfertig gebaute Häuser. Aber Ruhe. Und Natur. Zugvögel in Ihrem Winterquartier, der Blick schweift über das weite Blaue.
Genug getankt, nun auf in den Kampf, zurück auf die Bundesstrasse. Das einzige gut daran. Es geht schnurrgerade aus, kein Wind, Flach wie ein Brett. Eine echte Erholung, und Freude, nach dem kräftezerrenden Auf und Ab entlang der Küste.

Ja sie fahren wie die Gestörten, überholen trotz Gegenverkehrs, vor Kurven. Aber die Autos halten einigermassen Abstand, wenn sie an mir vorbeiziehen. Wenn ein LKW von hinten angerauscht kommt, hupt er meistens kurz, um mir zu sagen, ich überhole dich jetzt. Nicht als Empörungssignal sondern als Warnsignal. Auch manche Autos machen das. Einige hupen, winken mir zu.
In dieser Fläche kann ich Strecke machen, die Räder surren. So hält es sich ganz gut aus, und ich komme auf diesem "Highway to Hell", gut voran. Aber nach rund 50 km, brauche meine Ohren und Lugen Erholung, das wird wohl mein Tagesdurchschnitt hier werden.

In der nächstgrösseren Stadt, Lezhe, biege ich ab. Nun heisst es einen passenden Schlafplatz zu finden. Am besten drinnen. Falls es einen Campingplatz gibt, auch gut, falls er umzäunt ist. Ich fahre durch die Stadt, Stau, Hupen, Mopeds, Strassenhändler, Abgase. Zuerst fahre ich ein wenig Richtung Strand. Kurz erfasst mich der Gedanke, es vielleicht doch zu probieren, irgendwo sichtgeschützt mein Zelt aufzustellen. Den verwerfe ich schnell. Von jeder Ecke her, höre ich Hundegebell, viele Wiesen sind umzäunt, oder Reste von Zäunen zu sehen. Kein gutes Gefühl.
Also zurück in die Stadt. Bisher habe ich nur ein Hotel gesehen, ein "Ambassador" Hotel. In anderen europ. Ländern, würde ich mich noch nicht mal trauen nach dem Preis zu fragen. Hier muss ich, außerdem bin ich in Albanien.

Das Hotel wird von einem Italiener betrieben. Überhaupt, wimmelt es hier von Italienern, ausländische Kennzeichen, nur aus Italien, bisher. Er möchte 35€ für eine Nacht, zeigt mir das Zimmer, westlicher Standard, klar.
Er geht bis auf 20 runter, was mir aber immer noch zuviel ist. Letztlich einigen wir uns auf 10, im Garten des Hotels.

Nach den Formalitäten, frage ich Ihn, seit wann er in Albanien lebt. Und was er zur Sicherheit und Leute sagt. Da habe ich genau den richtigen gefragt. Sein Hauptberuf ist nämlich Anwalt. Und dann erzählt er. Und was! Nicht für 1 Million Euro würde er freiwilig irgendwo draussen schlafen. Ein junger Tscheche wurde tot in den Bergen gefunden. Jeder Besitz hier Waffen. Letzte Woche hatte er einen Fall, wo ein Albaner einen anderen, wegen einer kleinen Delle im Auto, erschossen hat.
Eine Geschichte nach der anderen aus der Räuberpistole. Danach bin ich bedient.
Lege mich in mein Schlafsack, und bin froh im Garten eines Hotels zu schlafen. Hier ist es sicher, meinte er noch.

Ich denke über das Gespräch nach. Ok, er ist Anwalt, die sind bekannt zu übertreiben, pauschalisieren und Angst einzuflössen. Aber auch wenn er ein wenig überzogen hat, deckt es sich mit meinem Gefühl. Das hier ist nicht mehr Europa,das ist ein Land mit anderen Spielregeln! Dafür lohnt ein Blick in die Geschichte, die jüngere. Ende der 90er Jahre herrschte hier 3 Jahre Anarchie. Das spürt man heute noch, wenn ich die Leute betrachte, die Verhaltensweisen. Es gibt einen gewissen Abstand zu Fremden, wahrscheinlich auch mehr aus Selbstschutz, der könnte ja ne Waffe haben?!

Tag 52

Am Morgen zeigt mir der Anwalt noch einige schöne Städte und Strände auf meiner Karte, entlang der Küste. Nun habe ich eine Nacht drüber geschlafen. Nun ist es klar. Wild campen fällt für Albanien aus. Tja, schön wärs gewesen. Mit meinem Tages-Budget, hätte ich hier essen und trinken können, wie Gott in Frankreich. Nun geht das alleine für Zimmer drauf. Mindestens. Aber gut, lieber täglich mehr zahlen, als sie zu sparen, und am Ende mit einem Raubüberfall oder schlimmeren bezahlt zu haben.
Es ist die Balance zwischen übertriebener Angst und angemessenen Verhalten. Die gilt es in jedem Land herauszufinden, insbesondere für solche Länder wie Albanien.
Trotzdem heisst es weiterhin, Gelassenheit und Ruhe zu bewahren, gepaart mit gesundem Menschenverstand.

Weiter auf dem Highway. Der Advokat hat mir als heutiges Tagesziel die Stadt Kruje empfohlen, ein paar KM von der Hauptstrasse entfernt, und in den Berge. Aber wunderschön. Ok, ist progammiert.
Mein 2. Tag auf der Strasse. Ab und an , sieht man links und rechts am Strassenrand, Kühe grassen. Nicht heilig wie in Indien. Aber es stört genauso keinen. Dann komme ich an ein paar "Metzger" vorbei. Direkt an der Strasse, Kleine Bruchbude. Darin oder auch unter dem Vordach, wird die Ware dem Kunden pfeil geboten. Schön in der Sonne, damit der hungrige Kunde, auch genau sehen kann, welche Stück von der Hälfte er auf seinem Teller haben will. Kühlung, pah für wen? Auf jeden Fall nicht für die Einheimischen. Wie froh bin ich mal wieder, Vegetarier zu sein.

Und dann bleibe ich stehen. Vor einem grossen Schild, mit einem Symbol das ich aus Deutschland kenne: Autobahn. Es gibt eindeutige Verbotszeichen, wer darauf nicht fahren darf, offiziell. Genau so wie wir es kennen, Fußgänger, Fahrräder, Mopeds. Und hier, Eselskarren.
Ich stocke kurz, was jetzt? Dann schaue ich ein paar Meter nach vorne, und was sehe ich, eine Eselskarre, ein Moped, und irgendwo links laufen ein paar Menschen.
Auf gehts. Ich fahre mit dem Fahrrad auf einer Autobahn irgendwo in Sudosteuropa, rechts auf dem Standstreifen! Keiner hupt, oder gibt mir zeichen, ob ich einen Vogel habe. Nach ein paar KM fahre ich sogar an zwei Polizisten vorbei. Nichts passiert. Ich schaue nach vorne und fahre weiter. Das ist Albanien, oder "Indien light" in Europa.

Nach gut 45 km erreiche ich die Abfahrt nach Kruje. Nun geht es noch 10 km serpentinenartig nach oben, bis ich endlich die Kleinstadt in den Berge erreiche. Im Hotel Panorama, frage ich nach Nachlass für einen Langzeitradler, und bekomme diesen sogar. Diesbezüglich werde ich immer unverfrorener. Für den heutigen Tag, werde ich mit einem Zimmer mit herrlichen Ausblick auf Burg und Ebene belohnt. Und mit einer Dusche, und einem Frühstück am nächsten Morgen.
Morgen steht nun Durres an, die zweigrösste Stadt nach Tirane, direkt am Meer. Evtl. habe ich dort die Möglichkeit bei einem Couchsurfer unterzukommen.

Ein verrücktes, ein anderes Land, in dem man sich anpassen muss, und das einem dann, vielleicht sogar seinen Charme zeigt.