Donnerstag, 24. Februar 2011

Der Junge mit den "Bags"

Ich glaube das erste mal begegnete ich ihm schon in meiner ersten Woche. Ich ging die ersten Tage viel zu Fuss, die Gegend um mein Guesthouse herum erkunden, wie ich am schnellsten in die Stadt kam, usw. So lief ich eines Tages durch das "French Quarter", das Viertel, indem noch französische Kolonialhäuser stehen, das französische Strassennamen trägt und eigentlich nicht viel mit dem Rest von Pondicherry zu tun hat, eigentlich auch nicht mit dem Rest von Indien, vergleichsweise ruhig, sauber, wenig Müll, keine Bettler.
Es geschah ganz plötzlich, auf einmal höre ich neben mir eine Stimme: "Hello Sir, how are you"? Ich schaue nach rechts, und blicke in das Gesicht eines Jungen, eines jungen Kindes das früh Verantwortung übernehmen musste, ich schätzte ihn zwischen 9-12 Jahren. Ein freundliches, strahlendes Gesicht, ob mit oder ohne Verkaufsmasche.
Und dann fängt er an zu reden, redet ununterbrochen. "Nice Bags, Sir, you can use it for handy, Money, only 20 Rupien". Mein Blick wandert von dem Gesicht runter auf die Arme des Jungen, beide sind vollgehängt mit kleinen, bunten Stoffbeuteln. Alle selber von seiner Mutter hergestellt, so sagt er, was natürlich völlig klar ist! Er ist gut, wirklich gut, weiss wo man die Westler am besten treffen kann, in ihrem Mitgefühl. Mit seiner linken Hand zupft er an seinem Hemd und erklärt mir dabei "My Mother need the money for buying the schooluniform", wenn er heute nicht genügend verkauft, kann er morgen nicht in die Schule gehen, so erzählt er weiter!

Ich bin zwar erst die erste Woche hier, aber nicht ganz ohne Vorkenntnisse nach Indien gereist. Wenn ich eins immer wieder gelesen habe, dann dies, niemals einem Kind das bettelt oder auch was verkaufen will Geld geben. Man weiss nämlich nie wo es landet, in den seltensten Fälle dort, was man von den Kids so an Stories zu hören bekommt, kann also durchaus sein, das der Junge abends nach 12 std. durch die Hitze rennend, die paar Rupien an irgendeinen finsteren Typen abdrücken muss, und dafür eine Mahlzeit und einen Schlafplatz in einer heruntergekommenen Bude bekommt. Es kann natürlich auch sein, das er wirklich abends nach hause kommt, von seiner Mutter freudig begrüsst wird, Sie ihm ein Essen macht und er stolz berichten kann das er wieder einen Monat länger in die Schule gehen kann. Aber nach allem was ich gehört, gesehen und erlebt habe, halte ich das für die unwahrscheinlichste Variante!
So blieb ich also relaxt, aber bestimmt, sagte mehrmals "No thank you i don't needed". Ich betone mehrmals, weil wie gesagt die Jungs alle Tricks draufhaben und hartnäckig bleiben, aber in dem Punkt sind wir uns ähnlich , und nach einigem "No's" und ignorieren war er so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.

Die Tage vergingen, ich war ja fast jeden Tag mal in der Stadt, und wie es der "Zufall" so wollte, begegnete ich immer wieder dem selben Bag-Verkäufer. Ich suchte immer mehr das Gespräch mit ihm, laß mich mit einem Lächeln auf das "Verkaufsgespräch" ein, blieb aber bei meinem "no thank you", weil ich ja ganz abgesehen von dem Schicksal des Jungen, wirklich keine "Bag" brauchte. Aber er gefiel mir, und immer wenn ich ihn wieder sah, machte ich mir meine Gedanken.
Eines Tages stand ich mit einem Deutschen aus meinem Guesthouse vor einem Kokosnußstand, wir genossen beide gerade die kühle Erfrischung. Plötzlich, aus heiterem Himmel, stand er wieder vor mir ,mit seinen unzähligen Stoffbeuteln um den Arm, ich begrüsste ihn mit "Hello my Friend", er lächelte, ging auf mich zu und umarmte mich! Nicht weiter erwähenswert das er gleich wieder mit seinem Verkaufsgespräch anfing, ich aber weiterhin keine kaufte. Diesmal, und auch schon bei den letzten Malen, gab ich ihm stand den 20 Rs. ein Bonbons, er packte es gleich aus, steckte es in den Mund, spuckte es dann aber mit einem "Äh" aus, ok Lakritz Bonbons aus Deutschland sind nicht wirklich weit verbreitet in Indien:-)

Nach dieser Begegnung machte ich mir wirklich Gedanken, irgendwie hatte ich den Jungen in mein Herz geschlossen. Ich sprach mit einem Freund aus dem Guesthouse über die grundsätzliche Situation solcher Kinder als Verkäufer. Er vertrat die Meinung, wenn man ihnen was gibt, muss es einem egal sein, was mit dem Geld passiert und an wen es letztendlich geht. Ich sah und sehe das anders, weil ich denke man kann dadurch sogar unter Umständen das "Leid" dieser Kinder vergrössern. Aber trotzdem wollte ich ihm was gutes tun, ihm ein wenig helfen, für einen kurzen Moment seinen harten Alltag etwas erheitern. Nur was tun?

Den entscheidenen Impuls bekam ich durch Sonja, und ihrer grosszügigen Hilfe für eine indische Familie. Sie kaufte nämlich hauptsächlich, Kleidung, Obst, Essen, also Sachen die man direkt gebrauchen bzw. verbrauchen kann. So fuhr ich 2 Tage später mit meinem Rad zu einem Obstladen, kaufte eine Tüte voll Mandarinen und Bananen. Heute so hatte ich mir vorgenommen, bekommt jeder Bag-Junge der mich anspricht, eine Mandarine und eine Banane, die kann er dann direkt essen und hat wenigstens was im Magen. Ich fuhr durch die Strassen, an der Strandpromenade entlang, durch das French-Quarter, also überall dort wo die meisten Touris und somit auch Strassenverkäufer rumlaufen, wollte mal wieder den "Zufall" entscheiden lassen, aber es war wie verhext, ich traf auf gar keinen, sah keinen einzigen, als wäre es ein Gesetz, wenn man etwas unbedingt will, danach sucht, findet man es nicht!

Ich nahm die Tüte mit nach Hause, und versuchte es am nächsten Tag noch einmal, wieder ohne Erfolg. Noch nicht einmal Bettler sprachen mich an, denen ich natürlich genauso was gegeben hätte. So fuhr ich ein wenig resegniert nach Hause, vorne im Fahrradkorb eine Tüte voller Obst.
Tatsächlich war unsere Begegnung bei der "Kokosnussfrau" unsere letzte bis zu meiner Abreise, danach sah ich ihn nie wieder. Wahrscheinlich wird er aber gerade jetzt wieder durch die Strassen von Pondicherry flitzen, sich von hinten einem "Weisen" annähern und mit seinem besten Lächeln fragen: "Hello Sir, how are you"
Alles Gute mein kleiner Freund...

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