Sonntag, 22. Juli 2012

Das kranke System

Ohne grosse Worte und Einleitung. Kann sich jeder selbst sein Urteil bilden, ob er ein "Konsumsklave" ist oder nicht. Wieder wäre es zu einfach, alles auf das System zu schieben. Aber es spielt einen wesentliche Rolle in unserer Existenz und in unserem bürgerlichen Selbstverständnis. Die Zauberworte sind: Mut, Aufklärung und Selbst-Bestimmung.



Montag, 16. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 4

 

4. Vertikale Transformation


Kann sich die Occupybewegung weiterentwickeln?

 Ich glaube, dass es nun an der Zeit ist sich als Bewegung weiterzuentwickeln. Die Fragen dazu könnten lauten: Was war gut in unserer bisherigen Struktur und Protest, was war schlecht, und vor allem, was können wir wirklich an Alternativen/Lösungen anbieten? Und zu dieser Weiterentwicklung gehört auch die guten Seiten der Moderne anzuerkennen. Wenn wir das kulturelle und individuelle Entwicklungs- und Stufenmodell (Spiral Dynamics)  akzeptieren, dann bildet die  "Orange-Ebene" mit ihren wissenschaftlichen Errungenschaften die Basis von Industriestaaten und damit auch die Basis von den verhassten Banken gegen die Occupy opponiert. Hier geht es natürlich um ein gutes Leben und materiellen Überfluss, auf dieser Ebene  gibt es nur Gewinner oder Verlierer. Aber das ist nur eine Seite dieser Entwicklungsstufe. "Obwohl die westliche liberale Aufklärung ziemlich von den Postmodernisten verunglimpft wurde, war die Aufklärung ein historischer Wendepunkt im Wandel von der traditionellen konservativen Ideologie (Blau) zu den universell-liberalen Werten (Orange), insbesondere der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Die Tatsache, dass der Westen diese Ideale nicht immer umsetzen kann, ist kein Grund, sie zu leugnen - ganz besonders weil jene, die sie leugnen, dies nur unter dem Schutz dieser Ideale tun können." (Boomeritis, S.103)

Das heisst ganz einfach, auf dieser Entwicklungsstufe finden wir auch das, worum es Occupy im Kern geht und das alle vereint: Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Neben dem was es verdammt: Kapitalismus, Ausbeutung, Unterdrückung. Wir leben in einer komplexen Welt, und man sieht an diesem Beispiel, dass es eben nicht so einfach ist nach dem "Raubtierkapitalismus" zu brüllen. Es ist nur eine Seite der Medaille. Nehmen wir die Versammlungsfreiheit, die in unserem Grundgesetz verankert ist und von der Occupy und andere Protestgruppen rege Gebrauch machen. Sie ist ein Bürgerrecht, das von Menschen  vor über 200 Jahren während der Aufklärung erkämpft wurde - Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit -, und viele dafür auch starben. Von diesen Erfolgen und Errungenschaften profitiert heute jeder einzelne Demonstrant auf der Strasse! Wie es Menschen ergeht, die nicht in einem Land leben mit einer Verfassung die solche Bürger- und Zivilrechte vorsieht, können wir an dem traurigen Beispiel China sehen. Dort werden Menschen für ihr freie Meinungsäußerung verhaftet, gefoltert und zum Teil auch hingerichtet . Das sollten wir -  und vor allem die Occupierer - bei allem berechtigten Protest gegen Fehlentwicklungen und Mißstände in unserem System immer wieder aufs neue bedenken!

"Ich bin Kapitalist und stehe dazu. Ich will nicht das System abschaffen,ich will es grundlegend neu strukturieren", sagt Thomas Occupy. Das spricht für den Realitätsbezug dieses Aktivisten. Der Ruf nach Abschaffung des Sklaventreiber "Geld" ist schnell gemacht und sehr verlockend. Ich selbst hin lange Zeit diesem Ruf nach. Wie schön ist die romantische Vorstellung man könnte ein Wirtschaftssystem ohne den Vermittler Geld am Leben erhalten, auf der Basis von "Geben und Nehmen".  Auch diese Alternative habe ich am eigenem Leibe kennengelernt, als ich für mehrere Monate in Familien und Gemeinschaften lebte. Nach genau diesem Prinzip: Mitarbeit gegen Kost und Logis. Das Zahlungsmittel Geld blieb aussen vor. Und genau aus dem Grund habe ich es gemacht: Ich wollte herausfinden, ob der Vermittler Geld wirklich immer so wichtig ist? Heute würde ich sagen: In kleineren Gruppen Nein, in größeren Systemen wohl eher Ja. Alles andere ist fernab von der Realität im 21. Jahrhundert. Das System von "Gib- und Nimm" beruht ja auf folgenden Grundsätzen: Jeder gibt das was er kann - an Fähigkeiten, Talenten, Fürsorge - und nimmt im Gegenzug nur soviel wie er wirklich braucht. Sehr hehre und wünschenswerte Ziele. Aber die Realität sieht (leider) anders aus. Und das hat auch sehr viel mit den unterschiedlichen Bewußtseinsschwerpunkten von Individuen und Kollektiven zu tun. (Wie ich von Leuten aus diversen Tauschringen gehört habe, herrscht dort nachwievor ein Gefühl des Neides und der Ungerechtigkeit)

 Der grösste Fallstrick bei dieser Retro-Romantischen Vorstellung eines "Garten Edens" auf Erden, liegt in dem Bewußtsein der Leute, die solch ein "neues Paradigma" lautstark propagieren. Sie gehen davon aus, dass ihr mitfühlendes, auf Gleichheit beruhendes Bewußtsein sich auf jeden Menschen dieser Erde ausbreiten würde, wenn nur die Mechanismen und Hebel der (patriarchalischen) Unterdrückung aufgehoben wären. Dabei übersehen sie aber vollendes, dass jeder Mensch sich aufgrund seiner individuellen Entwicklung und dem eingebunden sein in unterschiedliche kulturelle Kontexte, auf einer anderen Bewußtseinsebene befindet - nämlich einer von  Beige bis Grün. Und diese Rufe nach einem neuem Paradigma kommen meistens von "grünen" Postmodernisten. Ein "Blauer" würde zum Beispiel ein solches System des gegenseitigen "Geben und Nehmens" als völlig unrecht bezeichnen, da er stark nach dem Verhaltenskodex von absoluten und unveränderlichen Prinzipien lebt, und damit meint zu wissen, was "recht" und "unrecht" ist.

Mögliche Forderungen, wie die komplette Abschaffung des Geldes, sind leider nicht von dieser Welt, wie sie sich uns derzeit darstellt und siedeln sich im Reich des Prä-Konventionellen an. Damit  verbunden ist eine romantische Vorstellung von der Rückkehr  des "Edlen und friedvollen Wilden", der in völliger Harmonie und Einklang mit der Natur und seinen Mitmenschen lebte und von dem "bösen Geld" noch nichts wusste, welches erst Jahrhunderte später von westlichen (männlichen) Imperialisten als Unterdrückungs- und Sklavenmittel eingeführt wurde. (Auch hier: Wahr, aber nur zumTeil. Es wird geflissentlich übersehen, das es diesen Edlen Wilden niemals gab: Brandrodungen und Menschenopfer waren bei den Mayas, Inkas und anderen "Hochkulturen" an der Tagesordnung).

Nein,  Menschen leben nun mal in (Austausch-) Beziehungen und Geld ist das entsprechende Tauschmittel der Moderne. Wir müssen ja gar nicht zurückgehen, wir können voran gehen, und zwar mit einer neuen Form des Geldes. Über die Verteilung, die Mechanismen , darüber kann und sollte man reden und dazu kann die Occupy-Bewegung einen wichtigen Beitrag leisten. Aber nur, wenn sich die Bewegung einer gewissen Transformation unterzieht und als wesentlicher Teil davon, dass sich die Beteiligten bewußtseinsmäßig (innerlich) weiterentwickeln, also die Spirale weiter hinauf von "Grün" nach "Gelb", der ersten wirklich integralen Stufe, die alle vorherigen sieht und wertschätzt. Ohne die vorherigen Stufen, wie "Orange" oder "Blau" hätte sich Grün und somit auch zwangsläufig eine Bewegung wie "Occupy" niemals entwickeln können. Und Entwicklung bedeutet immer ein Umschliessen und Integrieren von dem was bisher war, nicht ein Zerstören und Nivellieren. Wieder können wir das ganz anschaulich in der Natur beobachten: Ein Molekül umschliesst Atome, eine Zelle umschliesst  Moleküle und die darin enthaltenen Atome, ein Organismus umschliesst Zellen, Moleküle und Atome.  Jeder höhere Welle empfängt und umschliesst die vorherige. Zerstört man alle Atome, zerstört man damit alle Zellen, Organismen, Ökosysteme. Weil sie eine niedere, grundlegende Basis bilden auf die alle anderen aufbauen.

 Also, Ja, zu einem Ende der grenzenlosen Spekulationsfreiheit und Gier, und dem damit verbundenen "sozialisieren" der Verluste auf die breite Masse. Aber das geht nur, wenn sich die betreffenden Akteure innerlich weiterentwickeln, wenn also der "gierige Banker" irgendwann keine Lust mehr hat, noch mehr Millionen zu machen, wenn er dessen müde geworden ist und nach einem "Was gibt es sonst noch im Leben" fragt. Und diese innerliche Entwicklung gilt für alle Akteure jeglicher Couleur, egal ob Banker, Greenpeace-Aktivist, Occupierer oder islamischer Fundamentalist. Das Entscheidende ist die Bereitschaft zur innerlichen Weiterentwicklung. Deshalb, Nein, zu einem pauschalen undifferenzierten Keulenschlag: "Nieder mit dem ganzen kapitalistischen System", weil es ganz einfach an den Wurzeln des Problems  vorbeigehen würde. Natürlich gibt es eine Korrelation zwischen inneren und äußeren Faktoren - wie die Politik, das System und die Kultur in der das Individuum lebt -, aber zum jetzigen Zeitpunkt dieser Ausführungen ist es meiner Meinung viel wichtiger, sich auf die innere Bewußtseinsentwicklung zu konzentrieren. In den späteren Kapiteln werden wir zu den äußeren Faktoren zurückkommen.


Faktoren für die persönliche Weiterentwicklung

Wir kommen nun zu der Frage, was vorliegen muss, um eine Bewußtseinstransformation in Gang zu setzen? Welche Faktoren erleichtern die persönliche Transformation, dass Emergieren eine höheren Welle?
 Nach der Ansicht  von Ken Wilber sind dies vier Faktoren:
  1. Erfüllung
  2. Dissonanz
  3. Einsicht
  4. Offensein
"Erfüllung bedeutet, dass das Individuum ganz allgemein die grundlegenden Aufgaben einer bestimmten Stufe oder Welle erfüllt hat. (...) Ein Mensch muss ganz in den Genuß einer gegebenen Stufe gekommen sein, muss sie voll ausgekostet haben, um bereit zu sein, weiterzugehen. Jemand, der noch nach den typischen Belohnungen einer bestimmten Stufe hungert, wird einfach nicht nach anderen Ausschau halten." (Ganzheitlich handeln, S. 48)

"Wenn die betreffende Person andererseits ein Stadium ausgekostet hat und diese Stadium ziemlich satt geworden ist, dann ist sie zur Transformation bereit. Damit dies geschieht, muss es fast immer zu einer Art von Dissonanz kommen. Die neue Welle will sich durchsetzen, die alte Welle ringt um ihren Erhalt - das Individuum empfindet einen Zwiespalt und fühlt sich hin und her gerissen. Es muss auf jeden Fall eine Art tiefer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Ebene geben. Man muss über sie beunruhigt, mit ihr unzufrieden und zutiefst frustriert sein, so dass es zu einer tiefen und bohrenden Dissonanz kommt.
Vielleicht ist man mit ihren inhärenten Begrenzungen oder Widersprüchen (wie Hegel sagen würde) in Konflikt geraten, oder man beginnt sich von ihr zu ent-identifizieren (wie Assagioli sagen würde), oder vielleicht ist man ihrer einfach müde geworden" (Ganzheitlich handeln, S48)

"An diesem Punkt hilft dem Individuum gewöhnlich eine Art von Einsicht in die Situation, um weitergehen zu können - Einsicht in das, was man wirklich will, sowie in das, was die gegenwärtigen Realität tatsächlich zu bieten hat. Bestätigung, Wille und die Absicht, sich zu verändern - sie alle können zu der Einsicht in die Situation hinzukommen und dazu beitragen, dass Bewußtsein voranzutreiben. Die Einsicht kann durch Innenschau, durch Gespräche mit Freunden, durch Therapie oder Meditation zustande kommen Meist geschieht das auf eine Art und Weise, die absolut niemand so recht versteht - nämlich durch das bloße Leben des Alltags."  (Ganzheitlich handeln, S. 48)

Schließlich, wenn alle diese Faktoren sich richtig zusammenfügen, wird es möglich, sich der nächsten Welle des Bewußtseins - tiefer, höher, breiter, umfangender - zu öffnen. (Ganzheitlich handeln, S.49)


Der Silberstreifen am Horizont

... dass die Politik zu einem Wirtschaftssystem zurückkehrt, das für die Menschen da ist...

... Ich war da, als die Chaoswolke subversiver Kreativer mit ihren Ideen die Welt veränderte...

... Ich kann dann nicht schlafen gehen, denn ich weiß, es kommt auf jeden von uns an... 
 
... "Man kann Occupy klein reden, man kann Occupy groß reden. Eine Wahrheit ist: Die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland brauchte 40 Jahre, ehe sie Erfolg hatte, und schien manchmal nur noch eine Karikatur ihrer selbst. Der Historiker Paul Nolte sorgte sich vor Kurzem, „ob wir nicht in einem Vormärz leben, ob eine Revolution bevorsteht“. Und kam zu dem Schluss: „Es fehlt die konkrete Alternative. Was soll an die Stelle des jetzigen Systems treten?" ...

(Quelle: Stern, 21/2012)

Diese rhetorisch gestellte Frage des Herrn Professor Nolte möchte ich gerne aufgreifen. Es ist der bekannte Ausruf nach der Alternativlosigkeit zum derzeitigen System. Aber stimmt das wirklich? Ich glaube wir sind uns einig, dass Kommunismus, Sozialismus oder gar Diktatorische Systeme keine ernsthaften Alternativen zur Demokratie darstellen können. Der integrale Ansatz zeigt uns aber auf, dass es viel effektiver und effizienter wäre, wenn man versucht aus allen zur Verfügung stehenden Weisheiten und Theorien, welche uns heute aus allen Kulturen der Welt und der Wissenschaft zur Verfügung stehen, die jeweils besten und brauchbarsten Seiten herausgreift und zu einem neuem ganzheitlichen Ansatz zusammenfügen würde. In diesem würde jede Anschauung, jede Nationalität, jede Hautfarbe, jede Religion und jeder Wissenschaftszweig seinen Platz und seine Wertschätzung erfahren. Um dies zu ermöglichen, ist es aber notwendig zu verstehen, dass sich unsere gesamte Existenz/Natur aus hierarchischen Wellen und Ganzheiten zuammensetzt und aufbaut. Kurz, wir unterliegen einer ständigen Entwicklung zu immer höheren und komplexeren Formen der Existenz, angefangen von organischen Lebewesen über das Bewußtsein bis hin zu System- und Organisationsformen.

  "Diese miteinander wechselwirkenden Systeme erfordern eine Regierung, die in  der Lage ist, Nationen und Gemeinschaften im Bereich der gesamten Spirale innerer und äußerer Entwicklung zu integrieren ( nicht zu beherrschen). Was die Welt heute benötigt, ist die erste echt sekundärschichtige Form politischer Philosophie und Regierungsgewalt. (..) Eine solche Struktur wird keineswegs die US-Verfassung (oder die irgendeiner anderen Nation) ersetzen, sondern sie einfach in ein globales Netzwerk einbinden, das die wechselseitige Entfaltung und Förderung erleichtert - eine integrale und holonische Politik." (Ganzheitlich handeln, S.105)

Um für diese derzeitige Utopie - oder nennen wir es integrale Perspektive - weiter Zustimmung und Verständnis zu gewinnen, werde ich weiterhin versuchen durch Gespräche und schriftliche Arbeiten meinen bescheidenen Anteil dazu beizutragen. Der Occupy-Bewegung strecke ich meine geöffnete Hand entgegen, wenn sie willens ist sie zu ergreifen. Weil, es ist ganz einfach. Es geht um mehr, als um unsere "Ego-Launen", es geht darum transpersonal zu werden, über das Ego hinaus zu kommen - auf eine "Wir-Alle-Ebene" , auf der die wirklich grossen Probleme angegangen werden können. Während einer Versammlung rief Jan laut in die Menge: " Es geht ums Ganze, es geht um 7 Milliarden Menschen auf diesen Planeten." Ja, möchte ich ihm zurufen und es geht sogar noch ein Stück weiter: Es geht um die Entwicklung hin zu einer Weltgemeinschaft in ihrer ganzen kulturellen und ökologischen Vielfalt, hin zu einer "Einheit in der Vielfalt", mit all ihren Unterschieden, Farben und Zickzacklinien der regenbogenfarbenen Menschheit.

 So lasst es uns angehen und tun. Ken Wilber nennt uns, die Kinder der "68er",  die "Generation X", die ähnlich wie damals unsere Eltern, einen echten kulturellen und gesellschaftlichen Wandel hervorbringen können. Wir haben ins uns das Potential, die erste wirklich integrale Generation zu werden, die "Gelbe Bewußtseinsstufe" voll zu aktivieren, die alle anderen Stufen weiter mit nach oben zieht,  und nur auf Grundlage dessen, weltumfassende Probleme wie Krieg, Gerechtigkeit, Umweltschutz und Lebensmittelknappheit gelöst werden können. Und so möchte ich am Ende den  Aktivisten dieser Bewegung zurufen: Wir haben dasselbe Ziel und versuchen uns ihm auf unterschiedliche Weise zu nähern. Werden sich unsere Wege eines Tages noch einmal kreuzen?
"Wir warten auf die neuen globalen Gründerväter und -mütter, die ein integrales System von Regierungsgewalten schaffen, welches uns in eine stärker einbeziehende Zukunft führt. Ein System, das als ein Schrittmacher der Transformation für die gesamte Spirale menschlicher Entwicklung agieren wird und das die spezifische Form der Entwicklung jeder einzelnen Welle respektieren und doch jede einzelne und alle zusammen dazu aufrufen wird, noch größere Tiefe zu verwirklichen."
  - Ken Wilber -

Samstag, 14. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 3.1

 

3.1. Occupy und Hierarchien


Wachstumshierarchien kontra Herrschaftshierarchien

"Sobald wir jedoch zu Grün kommen, beginnt das sensible Ich mit der Verdammung praktisch aller Arten von Hierarchien und einem konzertierten Angriff auf sie, einfach weil Hierarchien tatsächlich oft an furchtbarer sozialer Unterdrückung beteiligt waren."(Ganzheitlich handeln, S.39)
"Obwohl das gesunde Grün einen Teil des postkonventionellen, weltzentrischen, universellen Bewusstseins darstellt, ist sein Bezug zur Wahrheit stark subjektiv. Genau deshalb, weil Grün wünscht alle Wesen gleichermassen zu ehren, verlässt es seine Bahn und lässt jede Person über ihre eigene Wahrheit entscheiden. Allen Glaubenssystemen, solange sie nicht anderen schaden, wird der gleiche Status eingeräumt. Deshalb ist das Selbst auf dieser Stufe tatsächlich das "empfindsame Selbst". Sich der vielen verschiedenen Kontexte und der vielen verschiedenen Wahrheiten, der Vielfalt und des Pluralismus bewusst, verdreht es sich bei dem Versuch, jeder Wahrheit Genüge zu tun, ohne dabei irgendeine zu verdrängen oder herabzusetzen." (Boomeritis, S.115)  Jeder möchte für seine Meinung, Hauptfarbe, sexuelle Gesinnung oder Geschlecht zunächst mal akzeptiert und toleriert werden, möchte damit am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wie alle anderen auch. Aber die Schattenseite bei diesem ernsthaften und ehrlichen Bemühen es allen Recht zu machen, ist, dass die "Grüne Bewußtseinsstufe" keine Abstufungen und Rangfolgen anerkennt. Zum Teil aus gutem Grund, da die Geschichte voll ist mit abschreckenden Beispielen für Macht- und Herrschaftshierarchien. Zum anderen aber zu unrecht, da "Grün" aus  Unwissenheit damit alle Arten von Hierarchien ablehnt, also auch jene, die zu einem Wachstum zu mehr Tiefe und Reife führen.

Und hier kommen wir nun zu der grossen Chance der Transformation oder Weiterentwicklung der "Grünen" Bewußtseinswelle im Allgemeinen und der Occupybewegung im Speziellem. Keine Frage, in gewisser Form ist diese bestimmt schon im Gange, da sich wie alle Systeme und Gruppierungen auch diese Bewegung im ständigen Wandel und Austausch mit der Umwelt befindet. Kurz bevor ich Anfang April am nächsten Morgen abgereist bin, sagte mir Jan, dass sie jetzt schon viel schneller Leute aus dem Camp verweisen, die sich nicht an elementare Regeln halten ("Ich mach mein Ding, halt die Fresse"). Aber es könnte noch weiter gehen, ja es muss, da diese Bewegung aus meiner vollsten Überzeugung heraus eine der wichtigsten dieses Jahrzehnts ist, ganz einfach deswegen, da sie das "Potential" hat, tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen anzustossen - ähnlich wie damals die "68er".

Wenn wir nun konstatieren, dass sich die Occupybewegung schwerpunktmäßig auf der "Grünen Bewußtseinsstufe" befindet, gehört für eine Weiterentwicklung oder Transformation als erstes dazu, sich mit dem Wert und dem Inhalt von Wachstumshierarchien auseinanderzusetzen. Nur dann ist es möglich gewisse Strukturen aufzubauen, weil nur dann können wir eine "Einheit in der Vielfalt" praktizieren, indem wir niemanden ausgrenzen, aber auch jeden seinen Platz zuweisen. Nur dann ist es möglich zielgerichteter vorzugehen und den "Hyperraumsprung" zu den Anfängen einer wahrhaft ganzheitlichen, integralen Sichtweise zu schaffen, die versucht alle vorhandenen Sichtweisen zu akzeptieren und zu integrieren, und nicht einzelne zu verdammen, nur weil sie nicht in die "eigene" Wahrheit passen!

 Dann wäre der Übergang auf die erste integrale, die "Gelbe" Bewußtseinsstufe möglich, was heissen würde, alle vorherigen Ebenen - von Beige bis Grün - wären darin integriert, das jeweils Gute daraus wäre mitgenommen  und es würde sich eine völlig neue Bewußtseinsstufe mit ihren inhärenten Fähigkeiten und Werten entwickeln. Nach diesem Prinzip  funktioniert unsere Evolution seit 14 Milliarden Jahren und warum sollten wir nicht versuchen damit in Einklang zu leben? Mit dem Leben an sich, das eine ganz bestimmte Richtung verfolgt, das offensichtlich von einer unsichtbaren Kraft hin zu mehr Ganzheit, Liebe und Harmonie angetrieben wird. Also genau die hohen Ideale und Ziele, die auch "Grün" vorgibt zu verfolgen, aber sie meist mit ihrer starren Verhaftung auf die eigene subjektive Wahrheit eher blockiert als fördert. Und ein ganz wesentlicher Schritt in diese Richtung wäre sich von der festen anti-hierarchischen Haltung zu lösen und sich für eine andere, wachstumförderliche Art von Hierarchie zu öffnen. Nur durch das Akzeptieren von Entwicklung und Rangfolgen kann man verstehen, wie sich ein Individuum sowie eine Kultur von der Ego - zur Ethno -  zur Weltzentrischen Bewußtseins- und Moralstufe entwickeln kann, und nur auf der letztgenannten sind die globalen Krisen und Probleme wirklich zu lösen.
 "Herrschaftshierarchien und Verwirklichungshierarchien. Die erstgenannten sind die starren gesellschaftlichen Hierarchien, die Werkzeuge der Unterdrückung sind; die letzteren sind Wachstumshierarchien, die tatsächlich notwendig sind für die Selbstverwirklichung von Individuen und Kulturen (und auch praktisch aller biologischen Systeme). Die Wachstumshierarchien sind es, die zuvor isolierte und fragmentierte Elemente zusammenführen. Isolierte Atome werden zu Molekülen zusammengebracht, isolierte Moleküle zu Zellen, isolierte Zellen zu Organismen, Organismen zu Ökosystemen, Ökosysteme zu Biosphäre - und so weiter. Kurz gesagt: Wachstumshierarchien verwandeln Anhäufungen in Ganzheiten, Bruchteile in Integration, Entfremdung in Zusammenarbeit. (...) Das integrale Sekundärschicht-Bewußtsein versteht die verschachtelte Hierarchie des Wachstums. Wenn wir also negativ auf alle Hierarchien reagieren, dann werden wir nicht nur ehrenhaft die Ungerechtigkeiten der Herrschaftshierarchien bekämpfen, sondern wir werden uns sehr wahrscheinlich auch selbst daran hindern, uns zur integralen Sekundärschicht weiterzuentwickeln. (Ganzheitlich handeln, S.39)


Was will Occupy eigentlich?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Klare Aussagen bezüglich der Forderungen der Bewegung sind schwer zu finden, und wenn, dann beziehen sie sich meist nur auf Meinungen einzelner Aktivisten, die mehr oder weniger von der Mehrheit der Bewegung mitgetragen werden. Im Camp wurde mir erzählt, dass eine klare Festlegung auf bestimmte Forderungen und Ziele vermieden wird, ganz einfach deswegen, weil man von den Medien, und den politischen Gegnern, nicht auf eine bestimmte Richtung "festgenagelt" werden will. Deshalb wird der Bewegung mangelnde Zielgerichtetheit vorgeworfen, was meiner Meinung nach nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Würde man (Wachstums-) Hierarchien und Abstufungen in der Bewegung zu lassen, würde das in Sachen Ausrichtung und Zielfindung einen klaren Sprung nach vorne bedeuten!

Nach einigem recherchieren bin ich auf eine Reihe von offenen Fragen an das derzeit existierende System gestossen. Es scheint mehr Mahnungen als Antworten zu geben. Ein Projekt von Occupy Frankfurt ist der Arbeitskreis "Occupy Money" , dem einige Finanz- und Wirtschafsexperten angehören. Diese haben folgende Fragen formuliert:

  • Wie können wir nachhaltige Geldsysteme schaffen?
  • Wie sehen Geldsysteme aus, die nicht regelmässig zusammenbrechen und uns beherrschen sondern die uns dienen?
  • Wo gibt es in der Vergangenheit und Gegenwart gute Beispiele, die funktionieren?  
  • Eine Hauptursache für Inflation, regelmäßige Krisen und Zusammenbrüche liegt in der fehlerhaften Konstruktion unseres Geldsystems. Davon profitiert eine kleine Minderheit von etwa 10 Prozent der Menschen. Die große Mehrheit zahlt drauf. Über die in allen Preisen und Steuern versteckten Zinsen beträgt diese Umverteilung von Arm zu Reich in Deutschland etwa 600 Millionen Euro pro Tag. Doch unser Geldsystem ist nicht gottgegeben. Wir können es neu gestalten!
(Quelle: Occupymoney.de/occupy-money.de Prof. Margrit Kennedy) 

Weitaus aufschlussreicher und informativer, was die Forderungen und Beweggründe angeht, ist ein jüngst erschiener Sternartikel (21/2012) über die Occupy - Bewegung. Darin kamen Occupierer aus Deutschland und den USA zu Wort. Unter anderem auch drei der engagierteren Aktivisten aus dem Camp in Frankfurt, denen es wirklich um etwas geht, die etwas bewegen wollen und die ich alle drei während meines Aufenthaltes kurz kennenlernen durfte. Lassen wir sie selbst sprechen:

Jan Umsonst (Pseudonym, Thai-Chi-Lehrer, 38, Occupy Frankfurt):

" Vier Jahre habe ich für mein Buch „Planet der verrückten Affen“ recherchiert, es sind 1000 Seiten zusammengekommen. In Occupy findet eine holistische, generalistische Konstante der Weltgeschichte ihren Ausdruck. Ich werde mich diesen Sommer als freies Radikal in der globalen Protestcloud bewegen, um später sagen zu können: Ich war da, als die Chaoswolke subversiver Kreativer mit ihren Ideen die Welt veränderte."

Thomas Occupy (Pseudonym, Aktivist, 52, Occupy Frankfurt): 

" Ich bin Kapitalist und stehe dazu. Ich will nicht das System abschaffen,ich will es grundlegend neu strukturieren. Gewalt lehne ich ab, so wie alle Aktivisten von Occupy Gewalt ablehnen. Als wir  kürzlich eine Pressekonferenz machten, baute die Polizei Überwachungskameras auf. Man hat Angst vor uns. Aus gutem Grund. Oft fragen uns Journalisten: Wie lange wollt ihr bleiben? Bis sich was ändert, antworten wir. Wir haben Geduld. "

Sascha Reynolds (Student, 26, Occupy Frankfurt):


"Für Occupy betreibe ich den Sender „Radio 99 Prozent“, bin am Kunstprojekt bei der Biennale Berlin beteiligt. Nächtelang sitze ich manchmal vor dem Livestream, wenn Tim Pool von Protestmärschen aus den USA berichtet, so angstfrei und sympathisch. Die Energie ist zum Schneiden. Ich kann dann nicht schlafen gehen, denn ich weiß, es kommt auf jeden von uns an. Dieses Gefühl der Solidarität ist viel stärker als das Gefühl der Ohnmacht, das einen angesichts der Macht der Finanzkonzerne befallen könnte."

Besonders interessant fand ich die Aussage eines Fondsmanagers, der sich dem Occupy - Money Arbeitskreis angeschlossen hat, und quasi an den Schaltstellen des weltweiten Turbokapitalismus sitzt:

Peter Grahn (Pseudonym, Fondsmanager, 34, Occupy Money + Occupy Frankfurt):

"Als Fondsmanager ist man nah dran an dem Zusammenspiel von Realwirtschaft, Finanzsystem und Politik. Die Entwicklung der letzten Jahre empfinde ich als zutiefst ungerecht. Das Hauptproblem des Kapitalismus ist seine unausweichliche Anfälligkeit gegenüber der giftigen Kombination von  Gewinnstreben, Überoptimismus und Disziplinlosigkeit. Hyman Minsky beschrieb diesen Kreislauf bereits 1975, Zentralbanker und Ökonomen ignorieren ihn heute noch. Ein durch „moral hazard“, also leichtfertiges Verhalten, exzessives Kreditwachstum und mangelnde Aufsicht entfesseltes Bankensystem hat zu einer ungerechten Vermögensverteilung und Schuldenüberlastung geführt. Occupy fordert global und friedlich, dass die Politik zu einem Wirtschaftssystem zurückkehrt, das für die Menschen da ist."

Was offensichtlich alle vereint ist ein Gefühl, dass irgendetwas aus der Balance geraten ist in unserem System?! Eine Gesellschaft, in der derjenige belohnt wird, der andere ausnimmt, ganz legal und ohne Konsequenzen, kann nicht mehr im Gleichgewicht sein. Wollen wir so weiterleben? Eine Vision von einem neuem Gesellschaftsvertrag liegt in der Luft, einer Gesellschaft, die auf Gerechtigkeit und Fairness beruht. Die Gretchenfrage lautet: Hat Occupy dafür die passenden Ideen, oder geht es zuerst mal nur um "Krawall" machen?

Bis hierher kann ich in weiten Teilen den oben gemachten Aussagen nur zustimmen. Gier, Macht, Materialismus und Ausbeutung sind die Pestbeulen der "Orangen - leistungsorientierten" Entwicklungsstufe. "Die Kehrseite der Aufklärung und des orangen Mems im Allgemeinen sind ebenso gut bekannt. Es gibt dort eine Neigung, die Welt abstrakt, ungebunden und in einer reduktionistischen Weise zu betrachten, was zu einer zunehmenden Entfremdung führt. Dies bedingt das Auftauchen vieler verschiedener materialistischer Philosophien und materialistischer Motivationen. Ökonomisches Denken tritt als das angebliche Mittel zu Befreiung in den Mittelpunkt und ein unbarmherziger Kapitalismus startet seine lange Karriere." (Boomeritis, S.106) Aber noch einmal, wie schon mehrmals betont, jede Entwicklungsstufe hat ihre Licht- und Schattenseiten. Und der Raubtierkapitalismus ist eindeutig einer der grössten Schatten der Modernen. Wenn wir also über die Moderne und damit auch über die Banken, die Industriestaaten und den damit verbundenen Kapitalismus nachdenken, lasst uns bitte gleichzeitig an die Guten wie auch an die schlechten Dinge denken.

 Ohne Zweifel, es ist eine der großen Leistungen der Bewegung, dass sie diese lange im verborgenen gehaltenen Schattenseiten nun ans Licht der Öffentlichkeit holt und thematisiert. Und das reicht auch zuerst mal aus, so die Bewegung. Auf der Suche nach einer gerechteren und faireren Welt müssen wir zuerst mal auf das aufmerksam machen, was seit Jahrzehnten schief läuft. Wir brauchen nicht sofort etwas zu ändern. Es reicht wenn sich irgendwann etwas ändert. Es scheint, als wäre der Wunsch nach einem Ende der Ausbeutung und Unterdrückung, dass einzige, was alle in der Bewegung eint und zusammenbringt. Über alles andere diskutieren wir basisdemokratisch. Und wenn es Stunden, Wochen oder Monate dauert.

Hier nun, so glaube ich, kann die Integrale Theorie einen wesentlichen Beitrag für einen Sprung nach vorne leisten. Diskutiert und gestritten wurde weiß Gott genug. Das wird auch immer so weiter gehen. Aber wie wäre es, wenn man jetzt über konkrete Strukturen reden würde, über eine geregelte Organisationsform, über Hierarchien ohne gleich nach Unterdrückung zu brüllen, und vor allem, über echte umsetzbare Entwicklungs- und Transformationsszenarien zum derzeitigen System? Im nächsten Kapitel wird es darum gehen.

Sonntag, 8. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 3


3. Die Occupybewegung aus integraler Sicht

 

Also gehen wir es an. Wir können wir nun die Occupybewegung mit dem Integralen Ansatz in Verbindung bringen? Oder anders gesagt: Wie können wir die theoretischen Ausführungen aus den ersten zwei Kapiteln dieser Abhandlung, mit den Erfahrungen während meines Aufenthalts im Camp zusammen bringen? Ich glaube, indem wir überprüfen, inwieweit die ausführlich dargestellte "grüne Bewußtseinsstufe" mit all ihren Errungenschaften und Pathologien auf diese Bewegung zutrifft.

Occupy ist eine "Grüne" Protestbewegung 

Existenz heißt, jeden einzelnen Moment zu leben, sagt Grün. Wir werden uns alle besser verstehen können und erkennen , wie wundervoll es ist, Mensch zu sein, wenn wir nur akzeptieren, dass jeder Einzelne gleichberechtigt und wichtig ist. Hierarchien sind unterdrückend und marginalisierend. Alle müssen an der Freude von Gemeinschaftlichkeit und Erfüllung teilhaben. Jeder ist mit allen anderen in der Gemeinschaft verbunden, alle Seelen reisen zusammen. Wir sind unabhängige Wesen, die nach Liebe und innerer Beteiligung streben. Die Gemeinschaft wächst dadurch, dass sie aus den Kräften des Lebens Synergien formt und jeder von künstlichen Trennungen befreit wird. (Boomeritis, S. 111)

 Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung um was es bei "Grün" geht: Wie erwähnt, jede Stufe ist gleich wichtig und leistet ihren Beitrag zur Erhaltung der gesamten Spirale. So auch Grün. Dieser Stufe haben wir in den letzten Jahrzehnten grundlegende Initiativen des Bürgerrechts, des Gesundheitswesen und des Umweltschutzes zu verdanken (als Beispiele: Bündnis 90/die Grünen; Greenpeace; Attac uvm.) Es hat gewichtige und häufig überzeugende Kritiken an den Philosophien, der Metaphysik und der sozialen Praktiken der konventionellen Religionen (Christentum), der Regierungen (68er) und der Wissenschaft entwickelt, welche häufig durch ihre oft ausschließlichen, patriarchalische, sexistischen und kolonialistischen Ziele gekennzeichnet sind (Boomeritis, S40)

Somit haben wir "Grün" auch die berechtigte Kritik am derzeit weltweit herrschenden Raubtierkapitalismus zu verdanken, an dieser grenzenlosen Gier einzelner Individuen nach mehr Macht und Profit. Und damit ist "Occupy" im klassischen Sinne eine Protestbewegung der "Grüne Bewußtseinsstufe". Hier sammeln sich mehrere weltzentrische ("Wir-Alle-betreffende) Anliegen und Forderungen, wie ich bei meinem Rundgang durch das Camp beobachten konnte: Auf Plakaten und Schildern standen Parolen wie: "Keine Profite auf Kosten der Umwelt. Nachhaltige Wirtschaft", neben Aussagen wie" Ich will frei sein" und "Ihr spekuliert mit unserem Leben". Es geht also um Klimaschutz, individuelle Freiheit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit. Alles sehr lobens- und erstrebenswerte Ziele und Forderungen. Und, um es noch einmal zu wiederholen: das ist die grosse Errungenschaft von "Grün", diesem vorläufigen Abschluss von fünf vorhergehenden Entwicklungsstufen.

  Menschen auf dieser Entwicklungsstufe möchten im Allgemeinen den vorherigen Entwicklungsstufen all ihre Fehltritte aufzeigen und im Besonderen der unmittelbar vor ihr liegenden: der Rational-egoischen. Die Gier und die Ausbeutung in einem kapitalistischem Gesellschaftssystem, der Imperalismus und die vermeintliche Unterdrückung von Minderheiten und Randgruppen, all das stört "Grün" ganz gewaltig und macht auf diese Auswüchse aufmerksam, zu Recht. Individuen auf dieser Entwicklungsebene wollen einfach wieder mit ihren Gefühlen und denen ihrer Mitmenschen in Berührung kommen, nachdem diese von der Rational-egoischen so unterdrückt und verdrängt wurden. "Bei Grün stehen Geschlechtergleichheit und ökologische Bewusstheit im Zentrum. Grün ist auf Kommunikation, auf Gleichberechtigung und Konsens ausgerichtet. Der Arbeitsplatz ist teamorientiert und demokratisch, mit viel Dialog und dem Austausch von Gefühlen." (Boomeritis, S.113)

 Aber leider schiesst "Grün" damit weit über das Ziel hinaus und wird zum "Supermagneten" für Narzissmus und Egozentrik. Nach dem Motto: "ICH kann die Welt alleine retten!"
"Ein typisches Ergebnis ist, dass das sensible Ich in seinem ehrlichen Bemühen zu helfen aufgeregt seine eigene Bedeutung übertreibt: Es wird im Besitz des neuen Paradigmas sein, welches Vorbote der großartigsten Transformation in der Weltgeschichte ist. Es wird die Gesellschaft, wie wir sie kennen, vollständig revolutionieren. Es wird alles in Frage stellen und neu definieren, was vor ihm war. Es wird den Planeten retten, Gaia retten, die Göttin retten; es wird einfach das allergrößte..."(Ganzheitlich handeln, S.41) Viel schlimmer noch, "Grün" will nicht nur auf Fehltritte aufmerksam machen, in seinem übertriebenen Bestreben leugnet es alle vorherigen Stufen der Entwicklungsspirale, also damit jene Stufen, die es "Grün" erst ermöglicht haben, soweit zu kommen. Das "sensible Ich" übertreibt also seine Bedeutung und Weltanschauung. Es sagt zwar, dass alle Meinungen gleichberechtigt sind, und keine besser oder schlechter ist als die andere, aber in Wirklichkeit läßt es nur eine Wahrheit zu: seine eigene.

In den Worten von  Ken Wilber: "Wer es nicht bis auf die konventionelle Stufe geschafft hat, dessen Angriff auf die Gesellschaft wird keine postkonventionelle (weltzentrische) Gesellschaftskritik, sondern eine präkonventionelle (egozentrische) Rebellion sein. Das Kernstück des Narzißmus - nämlich: "Niemand sagt mir, was ich zu tun habe!" - ist in den präkonventionellen Wellen sehr präsent." (Ganzheitlich handeln, S.36). .(...) Es sieht ganz so aus, als wären in diesem Fall erhabene moralische Ideale benutzt worden, um etwas zu rechtfertigen, was tatsächlich viel weniger edle Impulse waren. (...) Das ist ein Punkt von entscheidender Bedeutung, weil er uns auf folgende Tatsache aufmerksam macht: Ganz gleich, wie hehr, idealistisch oder altruistisch eine Sache erscheinen mag - von der Ökologie zur kulturellen Vielfalt bis zum Weltfrieden - , dass bloße Lippenbekenntnis für das betreffende Thema reicht nicht aus zu entscheiden, warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert."(Ganzheitlich handeln, S37)

 Von der Theorie in die Praxis

.."das bloße Lippenbekenntnis für das  betreffende Thema reicht nicht aus zu entscheiden, warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert"...man könnte den Satz von Ken Wilber eventuell so fortsetzen.."sondern seine Entwicklungsebene auf der das Individuum schwerpunktmässig steht!" Nach Aussen kann ich sagen: "Ja, diese Scheissbanken nutzen uns alle aus und wir müssen für ihre Zockermentatlität bezahlen." Ein Satz der zunächst einmal aus der objektiven Betrachtung - der "Es"-Perspektive oder der 3. Person -  heraus richtig und zutreffend erscheinen mag. Was wir dabei aber übersehen: Die betreffende Person formuliert diesen Satz aus einer gewissen subjektiven, inneren Motivation heraus - der "Ich-Perspektive oder 1. Person. Diese verschweigt uns das Individuum aber in der Regel.


Ich möchte ein konkretes Beispiel geben. Mit einem der aktiven und engagierten Occupierer war ich zu Mittag essen. Dabei erzählte er mir, wie viel Einsatz er wöchentlich für die Bewegung aufbringt, was er bisher in seinem Leben so gemacht hat und wie er sich in die Bewegung einbringt. Dabei ist mir schnell aufgefallen, das er überwiegend in der 1. Person spricht also von sich: seine politische Ansichten, seine Ideen für den Protest, seine Homepage und seine zahlreichen Aktionen die daheim noch in der Schublade liegen und auf Verwirklichung warten. Hier wird uns nun der Satz von Ken Wilber in seinem Verständnis sehr deutlich.."warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert.." Man kann ein hehres und idealitsiches Ziel in der 3. Person formulieren ("Kein Profit auf unsere Kosten; Kein Krieg in Vietnam"), es in der 2. Person (im Du oder Wir) durch Proteste und Kundgebungen ausdrücken, aber die 1. Person, und die damit innerlichen, wahren Beweggründe bleiben uns verborgen. In diesem Zusammenhang erwähnte ich im zweiten Kapitel das sehr anschauliche Beispiel von den Studentenprotesten in den 60er Jahren in Berkeley (Moralische Ideale als Rechtfertigung für niedere Impulse). Ein Beispiel aus der Neuzeit wären die "Wutbürger" die gegen Stuttgart 21 lange und lautstark demonstrierten. Eine Studie der Universität Göttingen zeigte auf, dass es den Wutbürgern neben der Kritik vor allem um Eigennutz ging.

Kurz: Für ein hehres und idealistisches Ziel zu kämpfen ist noch lange kein Beweiss dafür, dass man es auch wirklich von innen heraus erreichen will! Entscheidend dafür ist die innere Entwicklungsstufe auf der man sich befindet, also ob man sich entweder auf der ego - ethno - oder weltzentrischen Stufe befindet. Befindet man sich auf der egozentrischen Bewußtseinsstufe - angefangen von Beige bis Rot - und tritt nach aussen lautstark für weltzentrische Ideale auf, geht es dem Individuum in "Wirklichkeit" nicht um die Erfüllung dieser Forderungen, sondern um die Befriedigung seiner Egozentrik und seines Narzissmus. Er benutzt diese Ideale einfach als Rechtfertigung für seine niederen Impulse und seine Aggressivität. Frei nach dem Motto: Mir sagt keiner was ich zu tun habe und schiebt euch euren Krieg, euren Bahnhof oder eure Banken in den...!

Und diese gefährliche Mischung von hohen weltzentischen "grünen" Idealen, mit niederen egozentrischen "roten" Impulsen, finden wir nach meiner Beobachtung in der Occupybewegung in Frankfurt! Das Camp ist ein Paradebeispiel dafür, wie der subjektive Pluralismus und Relativismus (jede Meinung ist gleichberechtigt und alles ist relativ), der so typisch ist für die "Grüne Welle", funktioniert: Angefangen bei den Vollversammlungen, wo ganz basisdemokratisch, jeder seine Meinung und Gefühle lautstark mitteilen kann, was dann des öfteren in Diffamierungen und Beleidigungen ausartet ("Du scheiss Nazi"), weil, ich mach hier mein Ding und sag was ich will und lass mir das von keinem verbieten. Weiter bei dem Camp als Sozialstation, wo niemand ausgeschlossen oder ausgegrenzt wird, wo Flüchtlinge, Abhängige und politische Minderheiten aufgenommen werden, was dann soweit führt, das die Stadt Frankfurt den Verantwortlichen Auflagen macht und das Camp als "Umschlagplatz für Drogen und Kriminelle" bezeichnet (unabhängig ob das zutrifft oder nicht), was aber im Camp niemanden interessiert, weil wir pfeifen auf Recht und Vorschriften  und machen unsere eigenen Gesetze.  Bei uns ist jeder willkommen, egal, ob es ihm wirklich um Veränderungen an dem maroden Bankensystem geht oder er hier nur seine Egoshow abziehen will. Oder nur ein Parasit ist, der sich durchfüttern lässt.

Nein, wir machen es nicht so wie der Rest der kaputten Gesellschaft, wir unterdrücken und diskriminieren keine Minderheiten, wir sind besser, wir sind mitfühlender, als ihr, also haltet eure Klappe! Ich trommle bis morgens um vier Uhr und verleihe damit meinem Unmut über das herrschende System Ausdruck, ob ich damit meine Mitbewohner im Camp beim Schlaf störe interessiert mich nicht, weil ich mach mein Ding, und das kann mir keiner verbieten, klar!?

Aber Halt, höre ich jemanden aus dem Camp zu mir schreien: "Du Rassist, du Unterdrücker, sprichst hier von einem hohen weltzentrischen Bewußtsein und dabei grenzt du andere aus, die dir nicht in den Kram passen aus. Du Heuchler, du Kapitalist, wir machen das nicht, bei uns sind alle GLEICH.."

Und genau da liegt der grösste Irrglaube der "Grünen Bewußtseinswelle" und damit auch der Occupybewegung. Alles was irgendwie nur nach Hierarchie oder Rangordnung aussieht, wird kategorisch abgelehnt. Weil uns die Vergangenheit gezeigt hat, was aus Systemen wurde, die hierarchisch geführt wurden: Frauen, Schwarze, anders Gläubige, ethnische Minderheiten wurden ausgegrenzt, unterdrückt und vernichtet.
 
"Ja", möchte ich dem grünen Aktivisten aus der Ferne zurufen, "damit hast du zweifelsohne recht". Du vergisst oder verdrängst aber völlig, dass es in der Natur noch andere Hierarchien als Herrschaftshierarchien gibt, nämlich verschachtelte Hierarchien, die man oft "Wachstumshierarchien nennt. Diese zeigen uns, wie im Grunde die ganze Natur nach diesem verschachteltem Prinzip aufgebaut ist (vom Atom zum Molekül zur Zelle zum Organismus). Wenn man diese Wachstumshierarchien erkennt und anerkennt bieten sie dem Individuum sowie dem Kollektiv eine grosse Chance sich vertikal weiterzuentwickeln. Und so möchte ich dem aufgebrachten Occupierer zurückrufen: "Schau, dass ist eure grosse Chance voran zu schreiten, in eurer persönlichen Entwicklung sowie in euren politischen Forderungen. Es ist löblich und bemerkenswert das ihr in eurem Camp niemand ausgrenzt, ihr zunächst mal jeden aufnehmt, weil diese Menschen sonst überall verstossen und unterdrückt werden. Aber wenn ihr ehrlich seid, kommt ihr damit an eure eigenen Grenzen, was Kapazität und Toleranz angeht. Ihr verliert euch in Streitigkeiten wegen jeder Kleinigkeit, ihr habt einen immensen Zeit- und Arbeitsaufwand bevor ihr eine Entscheidung treffen könnt, weil ihr stundenlang alles ausdiskutiert, solange bis auch jeder seinen Standpunkt einbringen konnte und sich am Ende niemand unterdrückt fühlt.

Wie wäre es, wenn ihr versucht diese positiven Errungenschaften und Werte mitzunehmen, mit hinüber zu nehmen in eine höhere Ebene? Das Gute aus eurem Prozess mitzunehmen und zu integrieren, aber auch offen zu sein für das Neue, für eine noch weitere und tiefere Perspektive. Diese setzt aber das Akzeptieren von Hierarchien voraus, nämlich Wachstumshierarchien, diese setzt das Akzeptieren der guten Errungenschaften der Vergangenheit voraus und diese setzt im ganz Speziellem eine Rücknahme der Egozentrik voraus. Ihr seid schon auf einer hohen Entwicklungsstufe, aber ihr seid deshalb nicht besser oder schlechter wie "Orange" oder "Blau" und vor allem, es kann noch weiter gehen, das Potential dazu ist in jedem von uns vorhanden. Welche Bedingungen und Voraussetzungen dazu vorhanden sein müssen und was eine echte Transformation wirklich bedeutet, dies alles möchte ich versuchen im nächsten Kapitel aufzuzeigen."