Sonntag, 5. Februar 2012

Am Grab von Bruce Chatwin

Es hat mich drei Anläufe gekostet. Doch heute war es nun soweit. Ich stand an dem Ort, wo die Asche des berühmten Reiseautors Bruce Chatwin begraben liegt. Ein toller Moment.

Zur Vorgeschichte. Schon im Jahr 2010, als ich zum Schreibseminar hier war, erfuhr ich, dass der Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor in Kardamily lebt, nur 10 km von unserem Seminarzentrum entfernt, in einem wunderschönen, traditionellen Steinhaus direkt am Meer. Ich muss gestehen, bis dahin war mir Fermor nicht weiter bekannt. Erst im Laufe des Workshops, erfuhr ich von anderen Teilnehmern, dass Fermor zu der ersten Generation der Reiseschriftsteller gehört, und gleichzeitig zu den Besten seiner Zunft. Seine Bücher sind echte Klassiker der Reiseliteratur und haben viele nach ihm inspiriert. Mit 18 zog er von  London aus los, mit leichtem Gepäck und wenig Geld, zu seiner Reise quer durch Europa der 30er Jahre, mit dem Ziel Konstantinopel. Aus seinen Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen entstanden viele Jahre nach seiner Rückkehr zwei Bücher: "Die Zeit der Gaben" (das ich gerade lese) und " Zwischen Wäldern und Wasser". Später schrieb er noch diverse Bücher, zum Beispiel über seine Wahlheimat hier auf den Peloponnes, die Mani, aber seine ersten beiden Bücher, sind die bekanntesten und machten ihn gleich berühmt.

Seine Bücher und  wortgewaltigen Erzählungen inspirierten viele Autoren und Schriftsteller nach ihm, so auch den jungen Reiseautor Bruce Chatwin, der später einmal selbst zu den Großen in seinem Genre zählen sollte. Fermor war für Chatwin das grosse Vorbild, und insgeheim beneidete er ihn, für seinen umfassende literaische Bildung und seine präzise Sprache. Beide waren Engländer und wurden bald Freunde.
Irgendwann vor einigen Monaten, lass ich in einer Zeitschrift, dass Chatwins Asche in der Nähe von Kardamily begraben liegt. Wenige Tage nachdem ich hier war, erinnerte ich mich daran, und begann meine Recherchen im Internet. So fand ich heraus, das Chatwin regelmäßig seinen Freund Paddy Fermor hier in Kardamily besuchte. Morgens ging er in die Bucht zum surfen, arbeitete dann bis Nachmittags und anschließend machte er mit seinen Freund ausgiebige Wanderungen im Taygetos- Gebirge, oberhalb von Kardamily. Bei einer diese Wanderungen kamen sie an einem atemberaubend schönen Platz, mit einer alten byzanntischen Kapelle. Von dort aus hatten sie einen umwerfenden Blick aufs Meer und die angrenzenden Berge. Der weitgereiste Chatwin fand diese Stelle so wunderbar, dass er in seinem Testamtent verfügte, hier oben begraben zu werden. Als Chatwin dann schon sehr früh verstarb, 1989 , erfüllte ihm sein Freund Paddy Fermor diesen Wunsch.

Das kann man alles nachlesen, unter anderem in zwei Artikeln von Reiseautoren aus der jüngeren Zeit, die auch dieser Geschichte nachgingen und die Kapelle ausfindig machten. Es ist ja kein richtiges Grab in dem Sinne, dass dort ein Grabstein steht, oder eine Inschrift. Und da es hier in den Hängen und Bergen, Kapellen und Kirchen, wie Sand am Meer gibt, war es nicht einfach, die Richtige zu finden. Das galt für mich, wie wahrscheinlich für die beiden Autoren auch.

Ich stütze mich auf deren Angaben und begab mich vor rund 3 Wochen das erste Mal auf die Suche. Mit einer hier lebenden Schweizerinn fuhr ich zu einem abgelegenen Dorf, weit oben in den Bergen, dessen Name in einem der beiden Artikel erwähnt wurde. Und stiessen damit gleich auf ein weiteres Problem. Hier in Griechenland ist es üblich, das Dorfnamen mehrfach für Ortschaften vergeben werden. Die Bedeutung dieses Dorfnamens, war einfach nur "oberes Dorf " und davon gibt es wahrscheinlich einige in Griechenland. Das fanden wir aber erst nach unserer Rückkehr heraus. Natürlich frugen wir uns durch, da wir auch einen Namen der Kapelle hatten und standen dann auch vor der, mit einem trügerischen Gefühl von Sicherheit, das ist sie. Der Name der Kapelle sollte "Agios Nikolaus" sein, was "Heiliger Nikolaus" bedeutet. Kapellen mit diesen Namen gibt es hier wahrscheinlich noch öfter, als Dörfer mit gleichen Namen. Also war dies eine schöne Wanderung in den Olivenhängen, aber mehr nicht.

Eine Woche später, beim zweiten Anlauf kam ich der Sache schon näher, wenigstens geografisch. Diesmal ging ich an einem freien Sonntag alleine auf die Suche. Sicher war nun, es muss direkt oberhalb von Karadamily sein, in den Bergen mit einem freien und weiten Ausblick aufs Meer. Ich fuhr hoch in das Dorf Agia Sofia. Dort gibt es eine bekannte Kirche auf einem Plateau, welche die Attribute, Ruhig, Ausblick, alt, Steinmauer herum, erfüllte, von der ich aber aus den Artikeln wusste, dass es sie mit Sicherheit nicht ist. Von hier aus, soll es  nocheinmal 1 Std. zu Fuss zu der vermeintlichen Stelle sein. Ich wanderte ein wenig herum, schaute nach versteckten Kapellen, fand aber nichts, und hatte irgendwann keine Lust mehr.


Letzte Woche bekam ich dann den entscheidenden Hinweis. Eigentlich hatte ich die Sache schon abgehakt. Meine Nachbarin Barbara lud mich zu einem kleinen Ausflug ein. Ausgerechnet nach Agia Sofia zu einer Deutschen die dort ein Haus hat. Als wir dann auf der Terrasse in der Sonne bei Tee und Kekse sassen, sprach ich das Thema an. Ein letzter Versuch. Marion, die hier seit Jahren lebt, muss doch von dieser Geschichte schon mal gehört haben?! Und ja, so war es. Sie wusste sofort Bescheid, und meinte, die Kapelle sei nicht weit von hier. Und dies wäre 100% die Richtige. Im Sommer kommen hier immer wieder einmal Deutsche vorbei, die nach dem Weg fragen. Bingo. Sie erklärte mir den Weg. Leider war an dem Tag nicht mehr genügend Zeit für eine Expedition. Aber eins war klar, ich werde es ein letztes Mal versuchen.

Und dieser letzte Versuch fand heute statt. Ich fuhr mit dem Pick-Up rauf nach Agia Sofia. Kurz vor dem Dorf parkte ich. Ich folgte der Beschreibung von Marion. Ja tatsächlich, es gibt einen aspahltierten Weg. Gespannt und mit schnellem Schrittes schriet ich voran. Da, links, eine kleine Kapelle. Genau wie es Marion mir erklärt hat, man stößt auf eine Kapelle, die ist es aber noch nicht, man muss weiter. Ich folgte weiter dem Weg. Nun wird es wieder steinig, und steiler. Links und rechts säumen Olivenbäume den Weg. Es geht immer weiter nach oben. Je höher man kommt, desto schöner wird der Ausblick. Ja das könnte es sein, ich bin auf der richtigen Fährte. Gierig schaue ich nach oben, nach rechts und links, mit der Hoffnung endliche eine Spitze von einem Kreuz zu sehen. Dann, nach ungefähr 20 Minuten marschierens von der ersten Kapelle, sehe ich links über mir eine weitere. Eine Ältere wie mir sofort ins Auge fällt. Ein weisses Holzkreuz thront auf dem Gibel. Das muss sie sein! Als ich fünf Minuten später vor der kleinen Holztür stehe, mich umdrehe, und aufs Meer schaue, habe ich keine Zweifel mehr: hier oben wurde Bruce Chatwins Asche begraben. Was für ein Ausblick, auch jetzt, wo es stark bewölkt ist. Was für eine Ruhe. Sonnenstrahlen reflektieren auf dem Meer. Rechts sieht man die Hänge des Gebirges. Unter mir die Umrisse von Agia Sofia und noch weiter unten die von Kardamily.

Zwar stark bewölkt, aber trotzdem atemberaubend


Nun kann ich verstehen warum Bruce Chatwin, der überall auf der Welt war, alle Kontinente bereist hat, sich diesen Platz als seine letzte Ruhestelle ausgesucht hat. Lange kann ich nicht verweilen und schwelgen, es fängt an zu regnen. Und wie, Hagel mischt sich mit dem Starkregen. Es gibt hier nichts zum unterstellen, ausser, hinter mir die Kapelle. Die Holztür ist angelehnt. Zögernd, mit einem lauten Knarren, öffne ich langsam die Tür. Bei solchen Aktionen habe ich immer die Befürchtung hinter der Tür verbirgt sich etwas, etwas das ich jetzt aufschrecke, eine kläffende Bestie, eine Schlange oder auch nur einen Bergeremit. Es regnet so stark, das mir die Entscheidung leicht gemacht wird. Ich trete in die alten Gemäuer ein. Heiligenbilder hängen an der Wand, Kerzenhalter, ein Ständer, hier kommen offensichtlich immer wieder mal Menschen vorbei. Ich schliesse ein wenig die Tür, aber nicht ganz, sonst ist es duster. Nach 10 Minuten ist der Schauer vorbei, und ich begebe mich auf den Rückweg, bevor es wieder anfängt.

Die Asche wurde in der Nähe unter einem Olivenbaum vergraben.

Ruhe sanft, weitgereister Nomade....

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