Montag, 7. Mai 2012

Eine Nacht bei Occupy


Diese Gruppe von jungen Menschen, haben sich letztes Jahr zusammen getan, haben zuerst nur demonstriert und dann besetzt "occupiert", nach dem Vorbild aus den USA. Was in Amerika, New York mit seiner Wall Street ist, ist in Deutschland, Frankfurt mit seiner Wertpapierbörse. Nicht weit davon entfernt steht der Wolkenkratzer der Europäischen Zentralbank und davor gibt es eine Grünanlage. Und dort haben sie sich dann hingesetzt und sind geblieben, seit letztem Herbst. Und über den Winter, bei minus 15° Grad. Und vor dieser kleinen Zeltstadt stehe ich nun, dem "Occupycamp Frankfurt". Als ich über die Mainbrücke in die Innenstadt fuhr, wollte ich eigentlich erst zur Börse und dann zum Camp, aber dieses war näher und schneller zu finden. Nun war ich also da. Die Occupy-Bewegung stand vor mir, in Form einer Zeltstadt. Erst im Dezember letztes Jahres habe ich angefangen, mich näher mit dieser Protestbewegung zu beschäftigen. Und fand schnell heraus, dass es viele  gemeinsame Schnittmengen mit den Motiven für meine Griechenlandtour gab. Da ich ja sowieso nach Frankfurt zurückwollte, lag es nahe, die Chance zu ergreifen, um mir ein eigenes Bild von den Menschen und Motiven dieser Bewegung zu machen.

Ich stand am Eingang des Camps. In der Mitte verlief ein Pflasterweg, links und rechts waren die Grünflächen. Links von mir erspähte ich den Infostand, gegenüber stand das grosse Eurosymbol vor der EZB. Überall hingen Transparente und Plakate. Ich stellte mein Fahhrad ab und musste das zuerst mal auf mich wirken lassen. Viele Eindrücke gleichzeitig prasselten auf mich ein. Ich vernahm eine Mischung aus Spannung und innerer Erregung. Das Camp ist das grösste in Deutschland. Die Medien berichteten in breiter Front darüber, auch außerhalbs Deutschlands. Ich schnappte meine Digitalkamera und begab mich auf Spurensuche. Langsam ging ich an den einzelnen Zelten vorbei. An einer Leine gespannt, hängen Zitate und Parolen. Mit ganz unterschiedlichen Aussagen. Auch aus der Literatur, ein Zitat aus "Wilhelm Tell" springt mir ins Auge.

Einige Meter weiter sehe ich eine Gruppe von Leuten auf Stühlen im Kreise sitzen. Später erfahre ich, dass dies eine "Asamblea " war,  das spanische Wort für "Versammlung", und eines der wichtigsten Entscheidungsgremien der Bewegung. Ein buntes Bild von Menschen und Gesichtern bot sich mir. Rechts vor einem Zelt sitzt eine Gruppe von jungen Männern, die man eindeutig als "Punker" identifizieren kann. Weiter vorne junge Kerle mit langen Haaren, Rastazöpfen, Menschen mit Migrationshintergrund. Als ich auf dem Rückweg wieder an der Versammlung vorbei komme, höre ich eine lautstarke Diskussion. Ein stämmiger Typ mit dunklem Teint hat das Wort. Er scheint aufgebracht, brüllt einen Deutschen an: " Ihr seid alle Nazis". Aufgeheizte Stimmung. Ein junger Kerl mit langen Rastazöpfen hat das Wort. Ich erkenne ihn sofort wieder, aus einer ARD-Reportage die ich im Internet sah. Später rede ich mit ihm. Jan ist sein Name und gehört zu den Engagierteren, denen den es wirklich um was geht. " Hier geht es um was grösseres. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass jeder seinen "Ego-Trip" hier durchzieht". Er wendet sich an den aufgebrachten Migranten. "Du hast so eine aggresive Art an dir. Du provozierst die Leute bis aufs Blut. Du hast deine Aggros nicht unter Kontrolle. Das können wir hier nicht mehr gebrauchen. Wer sich nicht an die Regeln hält muss gehen.Wir brauchen Leute die sich einsetzen wollen, die etwas bewegen wollen. Es geht ums Ganze, um 7 Milliarden Menschen." Jan erhält großen Applaus, der sich bei dieser Art der Versammlung mit winkenden rechten Händen kundtut.

Ich gehe weiter. Schaue in die Zelte. Sehe viel Unrat rumliegen. Ich bin hin- und her gerissen. Soll ich hier wirklich eine Nacht bleiben? Das alles schaut mir wie ein Sammelbecken von gescheiterten Existenzen und Anarchisten aus. Nieder mit dem System, auch mit Gewalt! Nicht mein Ding. Gewaltfreiheit ist die oberste Maxime. Offensichtlich herrscht ein aggresiver Ton untereinander, der sich zum Teil auch in Handgreiflichkeiten entlädt. Ist dies die Bewegung unseres Jahrzehnts, der aufkommenden Postmoderne, die der Moderne und dem Kapitalismus einen Spiegel vorhalten will: so gehts nicht mehr weiter?! Mein erstes Gefühl ist kein gutes und meist kann ich mich darauf verlassen. Aber ich komme auch gerade von einer sechsmonatigen Radtour zurück, war langem im Ausland. Ich muss mich zuerst mal wieder akklimatisieren, allgemein an Deutschland und nicht nur an dieses Camp. Also beschliesse ich zu bleiben. Ich gehe zum Infostand und stelle mich vor.

 Wenige Minuten später kommt Thomas an den Stand. Wir kennen uns, zumindest per email. Mit ihm hatte ich von Griechenland aus Kontakt aufgenommen. Ihn würde ich auch als eine der tragenden Säulen bezeichnen. Auch wenn das innerhalb der Bewegung vielleicht keiner hören will. Er war lange für das Infotelefon, und somit, für die Aussendarstellung verantwortlich. Er weiss gleich Bescheid und begrüsst mich. Ich bekomme gezeigt wo ich mein Zelt aufstellen kann. Danach gehe ich mit Thomas in die gegenüberliegende Opernkantnine. Das Schauspielhaus unterstützt die Bewegung, stellt den Zugang zu der Kantnie und zu sanitären Anlagen zur Verfügung. Er erklärt mir auch wo ich duschen kann. Nach drei Tagen wäre es mal wieder dringend nötig. Dafür nehme ich auch die Bedingungen für diese Möglichkeit des Duschens in Kauf. Vieles läuft hier auf Improvisation und Unterstützung von anderen Organisationen hinaus. So kommt auch die Caritas ins Spiel. Dieses betreibt zwei Strassen weiter eine Tageseinrichtung für Obdachlose. Und stellt sie dem Camp mit zur Verfügung. Somit stehe ich das erste Mal in meinem Leben in einer Obdachlosendusche. Ein Erlebnis, das ich nur einmal brauche. In Bangkok ging ich einmal am Hauptbahnhof in eine öffentliche Dusche. Auch aus der Not der Dringlichkeit geboren. Ich sass 14 Stunden im Zug und in der Nacht ging mein Flug zurück nach Deutschland. Dort gab es noch abschliessbare Kabinen. Hier nicht. Hier gibt es drei offene. Es war nicht viel los. Gott sei Dank. In 20 Minuten war ich wieder draussen. Wenigstens ein Gefühl von oberflächlicher Sauberkeit. Ich fragte mich danach, wie das die Dauerbewohner im Camp handhaben? Später erfahre ich, das viele zu Freunden in umliegenden Häusern gehen. Ich kann es verstehen. Allein das wäre ein Grund für mich, nicht länger im Camp zu bleiben.

Während des Essens mit Thomas stelle ich viele Fragen. Bin natürlich neugierig, auf die Bewegung, die Menschen, die Absichten? Mir wird relativ schnell klar: Jeder macht hier sein Ding. Es ist ein Sammelbecken von Menschen aus allen Schichten und allen Weltanschauungen. Auch Thomas. Er meint lapidar zu mir: "Zuhause habe ich noch jede Menge Ideen in meiner Schublade liegen." Daraufhin drückt er mir zuerst mal seinen  selbst entworfenen Aufkleber in die Hand. Mit seiner Homepage. Und seinen Ideen darauf. Dagegen ist zunächst mal nichts einzuwenden. Mir kommen spontan die aufgeschnappten Worte von Jan aus der Versammlung ins Gedächtnis: "Wir können uns das nicht mehr leisten, müssen voran kommen." Das ist die große Frage: kommt man als Bewegung voran, wenn man alle Meinungen als gleichwertig ansieht, keine natürlichen Abstufungen anerkennt, weil dies gleich als Diskriminierung und Ausgrenzung aufgefasst wird und somit zuerst mal alles gelten lässt? Ich habe da meine Zweifel.

Nach dem Essen geht es zurück ins Camp. Thomas verabschiedet sich. Ich möchte versuchen noch ein paar Meinungen einzufangen, ein paar Aktivisten zu treffen "denen es wirklich um was geht". Denn es gibt auch andere. Die Parasiten, die Trittbrettfahrer. Der Ausdruck kommt nicht von mir. Den habe ich im IT-Zelt von Ottmar aufgeschnapt, seines Zeichen einer der Hauptverantwortlichen in diesem Bereich.  "Die fressen sich hier durch. Obdachlose. Abhängige. Denen geht es um nix, ausser einem Dach über den Kopf. Oder nur eine Zeltplane. Und zwei Mahlzeiten am Tag." Das Camp als Sozialstation. Auch ein Phänomen gegen das zuerst mal nichts spricht. Diese Leute werde sonst überall verachtet und ausgestossen. Hier zunächst mal nicht. Wenigstens eine Zeitlang. Das scheint sich jetzt langsam zu wandeln, so habe ich den Eindruck.

Ich stehe vorne am Eingang, unterhalte mich mit einer Frau aus dem "AK Flower Power". AK steht für Arbeitskreis, und davon gibt es hier einige. Das Camp soll eine grüne Lunge bekommen. Das Prinzip Selbstversorgung. Jan kommt hinzu. Er sprüht vor Energie, beim sprechen überschlagen sich fast seine Sätze. Wenn man ihn von aussen sieht, könnte er locker als "jointrauchender Yogalehrer" durchgehen. Wenn man ihn sprechen hört, als Investementbanker. Vorsicht Vorurteil! Er ist voll drin in der Materie: Hebel, ESM, Spekulationsblase, EZB. Er bereitet gerade einen Text vor, für die nächste Pressekonferenz mit dem Chef der EZB. Die Bewegung hat Kontakt und erhält Unterstützung von Journalisten, Professoren, Finanzexperten.  Ich bin beeindruckt, stelle ihm ein paar Fragen. Die drängendste: Was kommt nach dem großen Crash? Weil, der soll ja kommen, und wird von manchen sogar erhofft? Ich erfahre, das dies genau das perverse Spiel der Banken ist. Er wirft mit Fachausdrücken um sich. Alles verstehe ich nicht. Nur eines: Der Crash kommt nicht, da die Banken mit der derzeitigen Angst davor, immer mehr und immer weiter verdienen. Er verabschiedet sich Richtung Schauspielhaus. Der Text wartet. Die Kantnine hat bis 24 Uhr geöffnet.

Ich setze mich zum Infostand. Uwe und eine Holländerin sitzen hinter dem Tresen. Wenig später gesellt sich ein junger Biologiestudent in den Zwanzigern dazu. Auch einer der "Aktiven", wie ich schnell heraushöre. Plötzlich Aufruhr. Ein Typ in den Fünfzigern, mit Lederjacke, leichter Plautze und Frankfurter Dialekt vertreibt zwei fotografierende Japaner vom Eingang. Der junge Student schreitet sofort ein. "Lassen sich doch die Leute fotografieren." Dann wird es spannend. "Diese Scheiss Japse. Fotografieren jeden Mist. Ihr seid alle Abschaum." Das nenne ich eine Breitseite. Doch der Student ist redegewandt. Es kommt zu einer lautstarken Diskussion. " Wie lange soll das hier noch weiter gehen. Schau dir doch mal das Lager an. Hier müsste mal ein kleiner Hitler kommen, der würde hier aufräumen." Ein Altnazi! "Ah, jetzt haben wir einen Grund die Polizei zu rufen" entgegnet der clevere Student. Der Alte hat nun sein Pulver verschossen, versucht als letztes Mittel die persönliche Tour: " Geh was arbeiten. Wenn du mein Sohn wärest, dir würde ich die Ohren langziehen." Der junge Occupierer lässt sich nicht provozieren: " Ich gehe seit zehn Jahren arbeiten. Gott sei Dank sind Sie nicht mein Vater. Da kann ich ja heilfroh sei". Der Alte ist auf Rückzug, hat seinen aufgestauten Frust rausgelassen, sein Pulver verschossen.. Ich bin beeindruckt von dem jungen Aktivisten. Der aufgebrachte Frankfurter verzieht sich Richtung Bahnhofsviertel. Uwe geht ihm ein paar Schritte hinterher.  Zur Sicherheit, falls er beim Weggehen nicht doch noch ein Zelt in Brand steckt.

Es ist schon spät, für heute habe ich definitv genug erfahren vom Campleben. Ich verabschiede mich und ziehe mich in mein Zelt zurück. Wir befinden uns hier direkt in der Innenstadt. Um die Anlage herum verläuft eine Hauptverkehrsstrasse. Auf eine ruhige Nacht brauche ich mich also nicht einzustellen. Aber es kommt noch schlimmer. Der größte Lärm sollte die ganze Nacht nicht vom Verkehr kommen, sondern aus dem Camp. Bis 2 Uhr nachts liege ich wach. Irgendwelche emotional völlig Verhornten, denen die Nachtruhe ihrer Mitbewohner komplett am Arsch vorbei geht, trommeln bis in die frühen Morgenstunden. "Revolution"....bambamm "Revolution"...babambamm. Die immer gleichen Trommelschläge. Sie gehen mir ins Mark. Am liebsten würde ich ihm seine "Revolution Buschtrommel" über den Kopf ziehen. Aber ich bin ja nur Gast und morgen früh wieder weg. Zudem läuft bis weit nach Mitternacht die Musikanlage auf voller Lautstärke. Ich frage mich erneut, wie unter diesen Bedingungen, die "Engagierten" etwas auf die Beine stellen wollen. Mit akutem Schlafmangel lässt sich keine Revolution starten, die ist nur was für "Ausgeschlafene"!

Am nächsten Morgen sitze ich um 9 Uhr wieder auf dem Rad und begebe mich auf die letzten Kilometer dieser Tour in Richtung meines Heimatdorfes. Viele Bewohner habe ich zuvor nicht mehr angetroffen. Kein Wunder, bei dem Trommelfeuer bis in den Morgen. Jan treffe ich noch einmal kurz im IT-Zelt. Er arbeitet weiter an seinem Text vom Vorabend. Er meint es hätte ihn gefreut und ich könne ja einen Artikel von meinen Eindrücken in Griechenland für die Bewegung schreiben. Im Prinzip gibt es schon etwas in dieser Art, und zwar hier auf dem Blog. Aber mal schauen.  Ich verabschiede mich, wünsche weiterhin viel Erfolg und eventuell bis wieder einmal. Im Mai soll es wieder weltweit koordinierte Protestaktionen geben. Aber soweit denke ich noch nicht. Für mich heisst es zuerst mal richtig ankommen und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Was die Occupybewegung betrifft muss ich zuerst mal die Eindrücke der letzten 24 Stunden verarbeiten. Ich habe gute Ansätze gesehen, aber auch viel Fanatismus und Narzissmus. Ganz klar, es ist eine Bewegung im Entstehungsprozess, und eventuell kam ich zu einer Zeit, in der eine neue Phase der Konsoldierung begann. Nach meinen ersten Eindrücken zu folge, wird es für die Zukunft der Bewegung entscheidend sein, aus der Sphäre der pluralistischen Werte, der oft mühseligen Meinungsvielfalt und des multikulturell, antihierarchisch, ausgeprägen Wertesystems, in eine Phase der natürlichen Abstufungen von Rangordnung und Leistung  zu gelangen (Wachstumshierarchien!). Und zwar, ohne gleich nach Ausgrenzung oder Unterdrückung von Minderheiten zu schreien. Wissen und Kompetenz sollten Vorrang haben vor Macht, Status oder Gruppenempfindlichkeiten. In jedem Fall eine Bewegung, bei der es sich lohnt, die weitere Entwicklung zu verfolgen und gegebenenfalls zum geeigneten Zeitpunkt mit einzusteigen.

Und bei mir? Wie geht es  nun weiter? Darauf eine Antwort zu geben, fällt mir momentan schwer. Deshalb lasse ich lieber einen der Grossen antworten, einem der immer wieder aufs neue versucht hat, seine eigene Seele und die seiner Mitmenschen zu ergründen, in all ihren Höhen, in all ihren Tiefen, und der mir mit seinen Büchern des öfteren aus der Selbigen gesprochen hat. Ich spreche von  Hermann Hesse. Zeit seines Lebens wurde er von seinen inneren Widersprüche getrieben, zuweilen auch geplagt. Eine innere Spannung, die in einem wunderbaren Satz für die Ewigkeit ihren Ausdruck findet: Die Sehnsucht nach Heimat und das Bedürfnis nach Aufbruch.








2 Kommentare:

  1. OK, das Camp ist es dann doch nicht. Aber Occupy findet ja nicht nur dort statt. Das Netz ist voll davon. Vieleicht ist es ja das Netz selbst.
    Schöner Bericht von dieser Erfahrung. Ich war auch mal kurz in Berlin auf dem Camp, aber nicht über Nacht, aber das war auch nicht mein Ding.
    LG Martin

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Martin,

    ja bin wieder daheim, bzw. im neuen Heim:) Und der triste Alltag hat mich auch wieder. Aber ich mache weiter, nicht bei Occupy, zumindest vorerst, aber am Schreibtisch.

    Ich weiss nicht, ob es das Camp doch nicht ist? Es kann was daraus werden, wenn ein Prozess der Weiterentwicklung weiter voranschreitet.
    Ich glaube das "Netz" ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Informationszeitalters, aber nicht alles. Die Evolution geht auch in anderen Bereichen weiter, so meine ich.

    LG
    Oliver

    AntwortenLöschen