Dienstag, 21. Februar 2012

Griechenland im Jahr 2012 oder weiter wie bisher?

Ergebnis der Umfrage auf dem Blog:" Was verbindest du persönlich mit 2012?"

82% (27 Stimmen): Nichts besonderes. Ein Jahr wie jedes andere auch.
18% (6 Stimmen): Veränderungen, Umbrüche, Neuanfänge.

Das ist eindeutig! Vielen Dank an alle, die sich an der Umfrage beteiligt haben.

Die grosse Mehrheit verbindet also mit diesem Jahr nichts besonderes. Ein Jahr wie jedes andere halt, weiter wie bisher. Auch wenn ich keine Stimme abgegeben habe, meine Meinung dazu sollte bekannt sein: Ich glaube das nicht. Oder anders: Ich möchte gar nicht, dass alles so weiter geht wie bisher!

Diesen Standpunkt habe ich in vergangenen Posts schon ausführlich dargelegt. Und warum gerade jetzt die Zeit dafür ist. In den letzten Wochen wurde dieser durch die Integrale (ganzheitliche) Sichtweite erweitert und gewährt mir dadurch eine ganz neue Sicht auf die Probleme der europäischen Schuldenkrise im Allgemeinen und die in Griechenland im Speziellen.Hier in Griechenland kann man von allem anderen sprechen, als von weiter wie bisher. Hier sieht die Situation ganz anders aus. Ich bin nun seit gut 3 Monaten im Land, habe mit ganz unterschiedlichen Leuten gesprochen und glaube dadurch ein breites Meinungs- und Stimmungsbild gewonnen zu haben.

Ein paar Fakten. Die deutschsprachige Griechenlandzeitung berichtet von tiefer Resignation und Hoffnungslosigkeit bei den Menschen in Athen. Die Arbeitslosenquote ist auf über 20% hochgeschossen. Besonders betroffen sind die Jugendlichen. Dort herrscht null Zukunftsperspektive und völlige Lethargie, die irgendwo ein Ventil sucht, bei manchen in Gewalt. Die Selbstmordrate ist stark angestiegen, zwar im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch gering (wie z. B. Deutschland), aber trotzdem für dieses Land der Freude und Leichtigkeit ein Alarmsignal.

Für Griechenland waren die letzten beiden Jahren schon nicht wie jedes andere, und dieses gerade begonnene, wird es bestimmt auch nicht. Die Leute werden ausgepresst wie eine Zitrone, es mehren sich die Stimmen das die Bevölkerung kurz vor einer Revolution steht. Was das bedeutet, konnte man vor 2 Wochen nach der Verabschiedung des letzten Sparpaketes sehen, als in Athen über 50 Häuser brannten. Auch das ein Ausdruck von tiefer Hilf- und Hoffnungslosigkeit, die sich dann in Wut und Aggression entlädt. Das ist wirklich nicht schön mit anzusehen, auch wenn ich hier in der "sicheren" Mani sitze und das alles aus der Presse entnehme. Athen ist 290 km von hier entfernt und nicht über 3.000 km wie von Deutschland aus. Das läßt die Situation näher rücken, wenigstens mental, und gibt einem zu denken.

Am Sonntag, während einer Müllsäuberungsaktion am hiesigen Badestrand, an der sich viele europäische Immigranten die hier leben, beteiligt haben, lernte ich ein Ehepaar aus Deutschland kennen, dass hier seit 2 Jahren lebt. Er ist gebürtiger Grieche, Sie eine Bayerin. Beide lebten 30 Jahre in Deutschland. All die fleißigen Helfer für den Umweltschutz waren nach getaner Arbeit, zu Kaffee und Kuchen in Ihr Haus eingeladen. Eine andere Deutsche und Ich blieben dann sogar noch zum Abendessen, und so hatten wir genügend Zeit über Griechenland und die aktuelle Situation zu reden.

Wieder einmal war es sehr interessant, von den Hintergründen und Ursachen dieser nun  drohenden Eskalation der Krise zu erfahren. Relativ schnell wurde klar, es ist ein schleichender Prozess der seit Jahren andauert, und tief mit der Kultur und Mentalität des griechischen Volkes verbunden ist. Ich möchte jetzt auf keine Einzelheiten eingehen, da dies den Umfang dieses Post sprengen würde, aber einmal mehr wurde mir klar, es herrscht eine jahrzehntelange Tradition des Misstrauens gegenüber der Politik und auch unter den Menschen, eine Klientel- und Vetternwirtschaft die alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht und tief im kulturellen Bewußtsein verankert ist. Es geht mir hier nicht um ein Recht oder Unrecht, es geht um ein Verstehen des kulturellen Hintergrundes.

Diese Auffassung und Mentalität scheint fest in den Köpfen der Menschen zu sein, durchzieht alle Gesellschaftsschichten, angefangen vom Spitzenpolitiker, über den Arzt bis zum einfachen Olivenbauern. Und nun kommen die Technokraten aus Brüssel und wollen hier Strukturen und Maßnahmen durchsetzen, und zwar so schnell wie möglich, die in einem modernen Land wie z. B. Deutschland vorhanden sind. Das kann aber nicht funktionieren, da hier der größte Teil der Gesellschaft noch nicht in der Moderne angekommen ist, sondern sich noch in der Prämodernen befindet. Das will natürlich keiner hören, und der Aufschrei wegen Diskriminierung und Ausgrenzung ist gleich riesen groß. Aber darum geht es ja gar nicht, sondern um ein verstehen, warum es zu so vielen Problemen mit der EU kommt und vor allem, warum die Bevölkerung nicht versteht was da verlangt wird, und umgekehrt, die EU-Politiker nicht verstehen, warum immer drastischere Sparmaßnahmen, Regeln und Kürzungen, das Volk immer mehr auf die Strasse und in die Aggression treibt. Hier prallen einfach zwei völlig verschiedene Entwicklungsebenen aufeinander, nämlich die mytisch-agrarische in Form von Griechenland, auf die rational-leistungsorientierte in Form von Deutschland (oder anderen Industriestaaten).
Auch am Sonntag gab es wieder eine lebhafte Diskussion und Kontroversen, über die Ursachen, Probleme, wer Schuld hat und wer nicht. Am Ende kamen wir aber zu keiner Lösung. Ich persönlich glaube auch, das Schuld das falsche Wort ist. Verständnis für unterschiedliche Entwicklungsebenen ist das Passendere. Nur fehlt das komplett bei den entsprechenden Entscheidungsträgern auf allen Seiten. Mir war und ist es nach wie vor zu einfach, mit dem Finger auf "die da oben " zu zeigen. Das soll nicht heissen das dort "oben" alles richtig läuft. Mir wird aber nun immer bewußter, das es von großter Bedeutung ist, den Versuch zu unternehmen, einen objektiven Blick von aussen auf das ganze Geschehen zu werfen, um dann zu erkennen, das es ist vielmehr ein Problem von kulturellen und bewußtseinsmäßigen Unterschieden ist, als es nur auf die Gier und Korruption von einzelnen Bankern und Politikern zu schieben.

Es gibt Abstufungen in der Entwicklung, bei jedem einzelnen, sowie auf gesellschaftlicher/kultureller Ebene, was in den letzten Jahren intensiv erforscht wurde. Wenn man das einmal verstanden und anerkannt hat, und sich nicht gleich über Diskrimierung empört, wird vieles verständlicher, was derzeit zwischen Griechenland und der EU läuft. Die nun aufkeimenden und sich verstärkenden Proteste und Bewegungen sind alle sehr lobenswert, nur sollten man sich darüber im klaren sein, gegen was man protestiert und vor allem, was man verändern will? Nach allem was man so hört, wollen die Protestierer in Athen in der EU bleiben, aber gleichzeitig, soll alles so weitergehen wie bisher. Wenn man aber jetzt die Entwicklungsebenen im Hinterkopf behält, kann dies nicht funktionieren, da Griechenland sich mit seiner Klientel- und Vetternwirtschaft, die in ALLEN Schichten verbreitet ist, auf einer entwicklungstechnisch prämodernen Ebene befindet, und die EU sich mit solchen Industrienationen wie Deutschland oder Frankreich auf einer modernen Ebene befindet, deren wesentlichstes Merkmal Fairness und Gleichberechtigung ist, also genau das Gegenteil einer Vetternwirtschaft, wo ja nur die eigenen Verwandten und Gönner bevorzugt werden. Noch mal, dies ist keine Herabsetzung, sondern eine natürliche Entwicklung, die es so schon immer in der Menschheitsgeschichte gab. Und gleichzeitig ist dies die Chance für Griechenland, sich weiterzuentwickeln, gesellschaftlich wie individuell, auf den Sprung in die Moderne, mit all ihren Vorteilen aber auch Nachteilen, wie auf jeder Ebene.

Weil, dass sei hier auch ganz klar gesagt, das eben Gesagte heisst nicht, dass in einem modernen Land wie Deutschland alles richtig läuft. Die Auswüchse dieser Entwicklungsstufe erleben wir gerade weltweit in den grossen Industrienationen: hemmungslose Gier nach Profit und Gewinn, verbunden mit einem überbordenden Narzissmus einzelner Leute in Macht- und Führungspositionen und der damit verbundenen "Sozialisierung" der Verluste auf die unteren Einkommensschichten. Deshalb sind Bewegungen wie Occupy, Attac und andere nun so wichtig, da sie der Fratze des Raubtierkapitalismus einen Spiegel vorhalten und somit die ersten Schritte in Richtung Postmoderne gehen, die in Zügen in Deutschland schon vorhanden ist, aber nicht auf breiter Front.

Nach all dem was ich in den letzten 3 Monaten erlebt, erfahren und gelernt habe, gibt es keine leichten Lösungen für diese Art von komplexen Problemen. Zumindest nicht die, die momentan von der Politik propagiert werden, da sie, nach dem eben gesagten, an der Wurzel des Problems vorbeigehen. Es kann meiner Meinung nach nur in die Richtung gehen, eine ganzheitliche Lösung zu finden, die allen vorherigen Stufen berücksichtigt und miteinschließt. Das wäre dann eine Transformation im klassischen Sinne, das vorherige umschliessen, transzendieren und daraus etwas völlig neues kreieren.

Das wäre dann ein Umbruch, ein Neuanfang, eine Veränderung zu etwas nächst höherem, eine (R) Evolution im wahrsten Sinne des Wortes. Ich glaube die nächsten Monaten werden uns dazu eine Antwort geben.

Update 29.2.12: Das was ich vor einer Woche über die Ursachen und kulturellen Gründe der Krise geschildert habe, wird heute durch einen Zeitungsartikel in der Griechenlandzeitung von einem griechischem Philosophen und Schriftsteller bestätigt. 

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