Sonntag, 10. Juni 2012

Brot und Spiele

Toooooorrrrr!

 Das, verbunden mit lautem Geschrei und Böllerschüssen, konnte ich gestern in meiner unmittelbaren Nachbarschaft hören. Deutschland hat sein Auftaktspiel gewonnen. Seit zwei Tage rollt das runde Leder wieder, die schönste Nebensache der Welt beherrscht in den nächsten Wochen den Alltag. Es ist angerichtet und es wird in Schwarz-Rot-Gold geschmückt: Balkone, Bierbäuche, Fahnemasten, Außenspiegel, Autotüren.  Das schwarz-weiße Trikot wird übergezogen, der Deutschlandschal um den Hals gehängt und auf gehts zum Nachbarn. Es wird der Grill angefeuert, die Bruzzler aus den EM-Sonderwochen vom Rewe auf den glühenden Rost gelegt und der Kasten Bier aus dem kühlen Keller geholt.
"Ahh, wie ist das schön, so ein Tag so wunder wunderschön, ahhh wie ist das schön", Fußballerherz, was willst du mehr. Die nächsten drei Wochen versprechen eine einzige Party zu werden: jeder Deutschlandsieg steigert die Euphorie, die Niederlande putzen wir auch weg, Vorrunde geschafft, Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale..., der Traum kann Realität werden, könnten wir es wirklich schaffen?! Deutschland im kollektiven Freudentaummel, vergessen all die Sorgen,  dass tägliche Scheiss malochen, der Stress mit den Nachbarn, der Verlust an den Aktienmärkten, die steigenden Sprit- und Lebensmittelpreise, egal, ganz egal, für drei Wochen herrscht kollektive Amnesie. Für drei Wochen vergessen wir die täglichen Sorgen, das Hetzen und Drängen, die Eurokrise, die Pleitegriechen und die neuen Pleitespanier, Italien, Portugal, und was damit alles zusammenhängt. Jetzt ist EM, jetzt ist Freude und Ausgelassenheit angesagt, jetzt vergessen wir all den Mist, zumindest für die nächsten drei Wochen, danach dreht sich die Welt wieder weiter und dann vielleicht mit Deutschland als Europameister! Was soll da noch kommen? Eine Europameisterschaft als Tranquilizer, als Beruhigungspille, als Opium fürs Volk.

Ich entschuldige mich jetzt schon mal. Gleich zu Beginn, ist wohl besser. Ich entschuldige mich ein Spielverderber zu sein! Sorry, an all die eingefleischten Fußballjunkies, bei denen für drei Wochen der Neocortex (Teil des Gehirns der für abstrahierendes und selbständiges denken zuständig ist) aussetzt und dafür der bisher von der Hirnforschung unentdeckte "Soccercortex" aktiviert wird. Ein kleines Areal im Stammhirn, das ausgesprochen auf Bier, Laolawellen, dem Geruch von verbrannten Steaks, die Nationalhymne und Blondinnen in engen Deutschlandtrikots reagiert. Willkommen im alten Rom! Hä,was hat eine Fußballeuropameisterschaft mit Julius Cäsar zu tun? Nun ja, es gibt gewisse Parallelen.
Um das gemeine Volk ( zur damaligen Zeit auch Pöbel genannt) im alten Rom zu belustigen, und bei Stange zu halten, schickten die Herrschenden Sklaven und Gefangene in die Arena, um sie von den  Löwen zerfleischen zu lassen. Der Pöbel gröllte und ging mit einem Leib Brot unterm Arm zufrieden nach Hause. Heute brauchen wir keine Löwen mehr. Heute haben wir RTL, die Bildzeitung und die Sonderangebote von Aldi und Lidl. Und alle zwei Jahre ein Großereignis, welches, wie damals im alten Rom, die Arenen mit dem breiten Fußvolk füllt, bei dem aber niemand mehr umgebracht wird. Ok, mal abgesehen von den Tausenden von Gehirnzellen, verursacht durch exzessiven Alkoholgenuss, aber das ist ein anderes Thema.

Und noch eine Gemeinsamkeit läßt sich zu den alten Römer finden: während die Spiele liefen - ob nun die Gladiatorenkämpfe oder eine Fußballeuropameisterschaft - konnten im Hintergrund die Machthabenen in aller Ruhe die Weichen für tiefgreifende Veränderungen für das Leben ihres Volkes stellen. Aber wie gesagt, kriegt ja keiner mit... Insofern ist der Beginn dieser Europameisterschaft ein Glanzstück in Sachen Timing, und ein wirklich großes Geschenk für die Politiker.

Die Woche der Wahrheit

Seit rund zwei Jahren berichte ich in sporadischen Abständen immer wieder mal in kürzeren oder längeren Artikeln, über die Zusammenhänge der Eurokrise und dem Thema Geld und Schulden. Wer meine letzte Radtour nach Griechenland aufmerksam verfolgt hat, wird festgestellt haben, dass dieses Thema ein Schwerpunkt der Reise war (u.a., mit wenig auskommen, sich unabhängig machen von den finanziellen Ansprüchen, wie hoch ist der Stellenwert des Geldes in anderen Ländern). In letzter Zeit habe ich mich diesbezüglich ein wenig zurückgehalten, vieles wurde gesagt, aber vor allem wollte ich tiefer in die Hintergründe eintauchen, die Lage aus einer objektiven Sicht beurteilen und vor allem nach Möglichkeiten suchen, welche eine Lösung anbieten könnten. Ich glaube nun wird es Zeit, sich wieder zu Wort zu melden.

 Insbesondere in dieser Woche. Der Ausruf  "Woche der Wahrheit"  wurde in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit der Eurokrise schon oft gemacht. Meistens von irgendwelchen "Alternativ- und Insiderblogs" im Netz. Nun wird aber auch der Mainstream wach und nimmt sich intensiv dem Thema an. Und zwar im ganz konkreten Zusammenhang mit einem Scheitern der Einheitswährung. Das mag daran liegen, das die Einschläge immer näher kommen und die Dichte der Schreckensmeldungen immer mehr zunimmt: Ahnungslos in die Euro-Dämmerung  schreibt der Spiegel; Scheitert Spanien, dann auch der Euro schreibt das Handelsblatt; Sorge um Spanien und die Weltkonjunktur schreibt die FTD. Und nicht zu vergessen: die bevorstehenden griechischen Parlamentswahlen am 17.06. Falls die Linksradikalen die Wahl mit großem Vorsprung gewinnen sollten, würde das zu einem sofortigen Aufkündigen der Sparmaßnahmen durch die EU führen. Aber auch ein Patt, bei dem erneut keine Regierungsbildung möglich wäre, würde zu unvorhersehbaren Schockwellen auf den internationalen Finanzmärkten führen, wie der Spiegel und die Zeit schreiben. Auch wenn Spanien gestern unter den Rettungsschirm geschlüpft ist, ist dies noch kein Grund zur Entwarnung, ganz im Gegenteil, es bleiben noch vielen Antworten offen, wie die Zeit schreibt. In diesen, wie in vielen anderen Artikeln der Vergangenheit, klingt es an: diese ganzen Maßnahmen sind weitere Beruhigungspillen, Zeitkäufe, für die nervösen und verunsicherten Finanzmärkte rund um den Globus. Also, nachwievor das gleiche Spiel wie seit rund zwei Jahren.

Wenn man die ganze Entwicklung schon etwas länger verfolgt hat, hat man gesehen, dass es solche und andere Meldungen in den vergangenen Monaten schon öfters gab. Nur ein weiteres Zeichen, dass die Schuldenkrise noch lange nicht überstanden ist. Nun mehren sich aber die Zeichen, das es endgültig auf eine finanle Phase hinausläuft! Das die Handlungsspielräume immer kleiner werden! Das man wirklich von einer "Woche der Entscheidungen" sprechen kann. Und zwar mit globalen Auswirkungen! Und bei all den Diskussionen sollte man nicht vergessen: einen wirklichen Ausweg, der die Ursachen der Krise an den Wurzeln packt, habe ich bisher im Mainstream noch nicht gelesen. Ich meine, dazu müsste man einen grösseren Gesamtzusammenhang heranziehen, und viele verschiedene Bereiche berücksichtigen. In einem integralen, ganzheitlichen Ansatz wäre das möglich, und darüber mache ich mir derzeit intensiv Gedanken und sichte unterschiedliches Material.

In genau einer Woche werden wir in mancherlei Hinsicht schlauer sein. Zum einen, ob es wirklich eine "Woche der Wahrheit" war, was die Schuldenkrise angeht, zum anderen, ob wir mit einem Bein im Achtelfinale stehen, und damit das Thema Schuldenkrise noch mehr im kollektiven Fußballtaummel untergeht. Wie gesagt, ein perfektes Timing, des Zufalls oder wem auch immer. Lassen wir die Spiele beginnen und brüllen aus vollem Halse: Toooooooooorrrrrr...


1 Kommentar:

  1. Die Woche der Endspiele!

    Ich habe ja schon diverse Rückmeldungen zu diesem Post bekommen, und mir war von Anfang an klar, das ich mich auf dem schmalen Grat zwischen Boshaftigkeit und Provokation bewege.

    Das war auch so gewollt! Schauen wir auf diese Woche. Die Europameisterschaft dominiert die Nachrichtenlage, und noch viel mehr der kommende Fußballklassiker Deutschland - Italien.

    Mich würde echt mal interessieren, wieviel jubelnden Fans bewußt ist, das am Freitag den 29.6. schon ein ein Endpsiel statt findet, nicht auf dem Rasen, sondern im Bundestag. Der ESM soll in windesweile durch den Bundestag und Bundesrat gewinkt werden. Ich glaube wenigen ist bewußt, welche Tragweite dieser sogenannte "Stabilisierungsmechanismus" auf unsere Zukunft hat.

    Ein Zufall, zwei Tage vor dem grossen EM-Finale, mit dem etwaigen Finalisten Deutschland? Wohl kaum! Hans-Olaf Henkel, den ich eigentlich als Polemiker und Opportunisten einstufe, und daher nicht besonders schätze, hat es aber in seiner aktuellen Kolumne im Handelsblatt treffend auf den Punkt gebracht:

    http://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/kurz-und-schmerzhaft/henkel-trocken-die-euro-2012-und-der-euro-2012/6794334.html

    Die Spiele gehen weiter!

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