Sonntag, 8. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 3


3. Die Occupybewegung aus integraler Sicht

 

Also gehen wir es an. Wir können wir nun die Occupybewegung mit dem Integralen Ansatz in Verbindung bringen? Oder anders gesagt: Wie können wir die theoretischen Ausführungen aus den ersten zwei Kapiteln dieser Abhandlung, mit den Erfahrungen während meines Aufenthalts im Camp zusammen bringen? Ich glaube, indem wir überprüfen, inwieweit die ausführlich dargestellte "grüne Bewußtseinsstufe" mit all ihren Errungenschaften und Pathologien auf diese Bewegung zutrifft.

Occupy ist eine "Grüne" Protestbewegung 

Existenz heißt, jeden einzelnen Moment zu leben, sagt Grün. Wir werden uns alle besser verstehen können und erkennen , wie wundervoll es ist, Mensch zu sein, wenn wir nur akzeptieren, dass jeder Einzelne gleichberechtigt und wichtig ist. Hierarchien sind unterdrückend und marginalisierend. Alle müssen an der Freude von Gemeinschaftlichkeit und Erfüllung teilhaben. Jeder ist mit allen anderen in der Gemeinschaft verbunden, alle Seelen reisen zusammen. Wir sind unabhängige Wesen, die nach Liebe und innerer Beteiligung streben. Die Gemeinschaft wächst dadurch, dass sie aus den Kräften des Lebens Synergien formt und jeder von künstlichen Trennungen befreit wird. (Boomeritis, S. 111)

 Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung um was es bei "Grün" geht: Wie erwähnt, jede Stufe ist gleich wichtig und leistet ihren Beitrag zur Erhaltung der gesamten Spirale. So auch Grün. Dieser Stufe haben wir in den letzten Jahrzehnten grundlegende Initiativen des Bürgerrechts, des Gesundheitswesen und des Umweltschutzes zu verdanken (als Beispiele: Bündnis 90/die Grünen; Greenpeace; Attac uvm.) Es hat gewichtige und häufig überzeugende Kritiken an den Philosophien, der Metaphysik und der sozialen Praktiken der konventionellen Religionen (Christentum), der Regierungen (68er) und der Wissenschaft entwickelt, welche häufig durch ihre oft ausschließlichen, patriarchalische, sexistischen und kolonialistischen Ziele gekennzeichnet sind (Boomeritis, S40)

Somit haben wir "Grün" auch die berechtigte Kritik am derzeit weltweit herrschenden Raubtierkapitalismus zu verdanken, an dieser grenzenlosen Gier einzelner Individuen nach mehr Macht und Profit. Und damit ist "Occupy" im klassischen Sinne eine Protestbewegung der "Grüne Bewußtseinsstufe". Hier sammeln sich mehrere weltzentrische ("Wir-Alle-betreffende) Anliegen und Forderungen, wie ich bei meinem Rundgang durch das Camp beobachten konnte: Auf Plakaten und Schildern standen Parolen wie: "Keine Profite auf Kosten der Umwelt. Nachhaltige Wirtschaft", neben Aussagen wie" Ich will frei sein" und "Ihr spekuliert mit unserem Leben". Es geht also um Klimaschutz, individuelle Freiheit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit. Alles sehr lobens- und erstrebenswerte Ziele und Forderungen. Und, um es noch einmal zu wiederholen: das ist die grosse Errungenschaft von "Grün", diesem vorläufigen Abschluss von fünf vorhergehenden Entwicklungsstufen.

  Menschen auf dieser Entwicklungsstufe möchten im Allgemeinen den vorherigen Entwicklungsstufen all ihre Fehltritte aufzeigen und im Besonderen der unmittelbar vor ihr liegenden: der Rational-egoischen. Die Gier und die Ausbeutung in einem kapitalistischem Gesellschaftssystem, der Imperalismus und die vermeintliche Unterdrückung von Minderheiten und Randgruppen, all das stört "Grün" ganz gewaltig und macht auf diese Auswüchse aufmerksam, zu Recht. Individuen auf dieser Entwicklungsebene wollen einfach wieder mit ihren Gefühlen und denen ihrer Mitmenschen in Berührung kommen, nachdem diese von der Rational-egoischen so unterdrückt und verdrängt wurden. "Bei Grün stehen Geschlechtergleichheit und ökologische Bewusstheit im Zentrum. Grün ist auf Kommunikation, auf Gleichberechtigung und Konsens ausgerichtet. Der Arbeitsplatz ist teamorientiert und demokratisch, mit viel Dialog und dem Austausch von Gefühlen." (Boomeritis, S.113)

 Aber leider schiesst "Grün" damit weit über das Ziel hinaus und wird zum "Supermagneten" für Narzissmus und Egozentrik. Nach dem Motto: "ICH kann die Welt alleine retten!"
"Ein typisches Ergebnis ist, dass das sensible Ich in seinem ehrlichen Bemühen zu helfen aufgeregt seine eigene Bedeutung übertreibt: Es wird im Besitz des neuen Paradigmas sein, welches Vorbote der großartigsten Transformation in der Weltgeschichte ist. Es wird die Gesellschaft, wie wir sie kennen, vollständig revolutionieren. Es wird alles in Frage stellen und neu definieren, was vor ihm war. Es wird den Planeten retten, Gaia retten, die Göttin retten; es wird einfach das allergrößte..."(Ganzheitlich handeln, S.41) Viel schlimmer noch, "Grün" will nicht nur auf Fehltritte aufmerksam machen, in seinem übertriebenen Bestreben leugnet es alle vorherigen Stufen der Entwicklungsspirale, also damit jene Stufen, die es "Grün" erst ermöglicht haben, soweit zu kommen. Das "sensible Ich" übertreibt also seine Bedeutung und Weltanschauung. Es sagt zwar, dass alle Meinungen gleichberechtigt sind, und keine besser oder schlechter ist als die andere, aber in Wirklichkeit läßt es nur eine Wahrheit zu: seine eigene.

In den Worten von  Ken Wilber: "Wer es nicht bis auf die konventionelle Stufe geschafft hat, dessen Angriff auf die Gesellschaft wird keine postkonventionelle (weltzentrische) Gesellschaftskritik, sondern eine präkonventionelle (egozentrische) Rebellion sein. Das Kernstück des Narzißmus - nämlich: "Niemand sagt mir, was ich zu tun habe!" - ist in den präkonventionellen Wellen sehr präsent." (Ganzheitlich handeln, S.36). .(...) Es sieht ganz so aus, als wären in diesem Fall erhabene moralische Ideale benutzt worden, um etwas zu rechtfertigen, was tatsächlich viel weniger edle Impulse waren. (...) Das ist ein Punkt von entscheidender Bedeutung, weil er uns auf folgende Tatsache aufmerksam macht: Ganz gleich, wie hehr, idealistisch oder altruistisch eine Sache erscheinen mag - von der Ökologie zur kulturellen Vielfalt bis zum Weltfrieden - , dass bloße Lippenbekenntnis für das betreffende Thema reicht nicht aus zu entscheiden, warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert."(Ganzheitlich handeln, S37)

 Von der Theorie in die Praxis

.."das bloße Lippenbekenntnis für das  betreffende Thema reicht nicht aus zu entscheiden, warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert"...man könnte den Satz von Ken Wilber eventuell so fortsetzen.."sondern seine Entwicklungsebene auf der das Individuum schwerpunktmässig steht!" Nach Aussen kann ich sagen: "Ja, diese Scheissbanken nutzen uns alle aus und wir müssen für ihre Zockermentatlität bezahlen." Ein Satz der zunächst einmal aus der objektiven Betrachtung - der "Es"-Perspektive oder der 3. Person -  heraus richtig und zutreffend erscheinen mag. Was wir dabei aber übersehen: Die betreffende Person formuliert diesen Satz aus einer gewissen subjektiven, inneren Motivation heraus - der "Ich-Perspektive oder 1. Person. Diese verschweigt uns das Individuum aber in der Regel.


Ich möchte ein konkretes Beispiel geben. Mit einem der aktiven und engagierten Occupierer war ich zu Mittag essen. Dabei erzählte er mir, wie viel Einsatz er wöchentlich für die Bewegung aufbringt, was er bisher in seinem Leben so gemacht hat und wie er sich in die Bewegung einbringt. Dabei ist mir schnell aufgefallen, das er überwiegend in der 1. Person spricht also von sich: seine politische Ansichten, seine Ideen für den Protest, seine Homepage und seine zahlreichen Aktionen die daheim noch in der Schublade liegen und auf Verwirklichung warten. Hier wird uns nun der Satz von Ken Wilber in seinem Verständnis sehr deutlich.."warum sich jemand tatsächlich für diese Sache engagiert.." Man kann ein hehres und idealitsiches Ziel in der 3. Person formulieren ("Kein Profit auf unsere Kosten; Kein Krieg in Vietnam"), es in der 2. Person (im Du oder Wir) durch Proteste und Kundgebungen ausdrücken, aber die 1. Person, und die damit innerlichen, wahren Beweggründe bleiben uns verborgen. In diesem Zusammenhang erwähnte ich im zweiten Kapitel das sehr anschauliche Beispiel von den Studentenprotesten in den 60er Jahren in Berkeley (Moralische Ideale als Rechtfertigung für niedere Impulse). Ein Beispiel aus der Neuzeit wären die "Wutbürger" die gegen Stuttgart 21 lange und lautstark demonstrierten. Eine Studie der Universität Göttingen zeigte auf, dass es den Wutbürgern neben der Kritik vor allem um Eigennutz ging.

Kurz: Für ein hehres und idealistisches Ziel zu kämpfen ist noch lange kein Beweiss dafür, dass man es auch wirklich von innen heraus erreichen will! Entscheidend dafür ist die innere Entwicklungsstufe auf der man sich befindet, also ob man sich entweder auf der ego - ethno - oder weltzentrischen Stufe befindet. Befindet man sich auf der egozentrischen Bewußtseinsstufe - angefangen von Beige bis Rot - und tritt nach aussen lautstark für weltzentrische Ideale auf, geht es dem Individuum in "Wirklichkeit" nicht um die Erfüllung dieser Forderungen, sondern um die Befriedigung seiner Egozentrik und seines Narzissmus. Er benutzt diese Ideale einfach als Rechtfertigung für seine niederen Impulse und seine Aggressivität. Frei nach dem Motto: Mir sagt keiner was ich zu tun habe und schiebt euch euren Krieg, euren Bahnhof oder eure Banken in den...!

Und diese gefährliche Mischung von hohen weltzentischen "grünen" Idealen, mit niederen egozentrischen "roten" Impulsen, finden wir nach meiner Beobachtung in der Occupybewegung in Frankfurt! Das Camp ist ein Paradebeispiel dafür, wie der subjektive Pluralismus und Relativismus (jede Meinung ist gleichberechtigt und alles ist relativ), der so typisch ist für die "Grüne Welle", funktioniert: Angefangen bei den Vollversammlungen, wo ganz basisdemokratisch, jeder seine Meinung und Gefühle lautstark mitteilen kann, was dann des öfteren in Diffamierungen und Beleidigungen ausartet ("Du scheiss Nazi"), weil, ich mach hier mein Ding und sag was ich will und lass mir das von keinem verbieten. Weiter bei dem Camp als Sozialstation, wo niemand ausgeschlossen oder ausgegrenzt wird, wo Flüchtlinge, Abhängige und politische Minderheiten aufgenommen werden, was dann soweit führt, das die Stadt Frankfurt den Verantwortlichen Auflagen macht und das Camp als "Umschlagplatz für Drogen und Kriminelle" bezeichnet (unabhängig ob das zutrifft oder nicht), was aber im Camp niemanden interessiert, weil wir pfeifen auf Recht und Vorschriften  und machen unsere eigenen Gesetze.  Bei uns ist jeder willkommen, egal, ob es ihm wirklich um Veränderungen an dem maroden Bankensystem geht oder er hier nur seine Egoshow abziehen will. Oder nur ein Parasit ist, der sich durchfüttern lässt.

Nein, wir machen es nicht so wie der Rest der kaputten Gesellschaft, wir unterdrücken und diskriminieren keine Minderheiten, wir sind besser, wir sind mitfühlender, als ihr, also haltet eure Klappe! Ich trommle bis morgens um vier Uhr und verleihe damit meinem Unmut über das herrschende System Ausdruck, ob ich damit meine Mitbewohner im Camp beim Schlaf störe interessiert mich nicht, weil ich mach mein Ding, und das kann mir keiner verbieten, klar!?

Aber Halt, höre ich jemanden aus dem Camp zu mir schreien: "Du Rassist, du Unterdrücker, sprichst hier von einem hohen weltzentrischen Bewußtsein und dabei grenzt du andere aus, die dir nicht in den Kram passen aus. Du Heuchler, du Kapitalist, wir machen das nicht, bei uns sind alle GLEICH.."

Und genau da liegt der grösste Irrglaube der "Grünen Bewußtseinswelle" und damit auch der Occupybewegung. Alles was irgendwie nur nach Hierarchie oder Rangordnung aussieht, wird kategorisch abgelehnt. Weil uns die Vergangenheit gezeigt hat, was aus Systemen wurde, die hierarchisch geführt wurden: Frauen, Schwarze, anders Gläubige, ethnische Minderheiten wurden ausgegrenzt, unterdrückt und vernichtet.
 
"Ja", möchte ich dem grünen Aktivisten aus der Ferne zurufen, "damit hast du zweifelsohne recht". Du vergisst oder verdrängst aber völlig, dass es in der Natur noch andere Hierarchien als Herrschaftshierarchien gibt, nämlich verschachtelte Hierarchien, die man oft "Wachstumshierarchien nennt. Diese zeigen uns, wie im Grunde die ganze Natur nach diesem verschachteltem Prinzip aufgebaut ist (vom Atom zum Molekül zur Zelle zum Organismus). Wenn man diese Wachstumshierarchien erkennt und anerkennt bieten sie dem Individuum sowie dem Kollektiv eine grosse Chance sich vertikal weiterzuentwickeln. Und so möchte ich dem aufgebrachten Occupierer zurückrufen: "Schau, dass ist eure grosse Chance voran zu schreiten, in eurer persönlichen Entwicklung sowie in euren politischen Forderungen. Es ist löblich und bemerkenswert das ihr in eurem Camp niemand ausgrenzt, ihr zunächst mal jeden aufnehmt, weil diese Menschen sonst überall verstossen und unterdrückt werden. Aber wenn ihr ehrlich seid, kommt ihr damit an eure eigenen Grenzen, was Kapazität und Toleranz angeht. Ihr verliert euch in Streitigkeiten wegen jeder Kleinigkeit, ihr habt einen immensen Zeit- und Arbeitsaufwand bevor ihr eine Entscheidung treffen könnt, weil ihr stundenlang alles ausdiskutiert, solange bis auch jeder seinen Standpunkt einbringen konnte und sich am Ende niemand unterdrückt fühlt.

Wie wäre es, wenn ihr versucht diese positiven Errungenschaften und Werte mitzunehmen, mit hinüber zu nehmen in eine höhere Ebene? Das Gute aus eurem Prozess mitzunehmen und zu integrieren, aber auch offen zu sein für das Neue, für eine noch weitere und tiefere Perspektive. Diese setzt aber das Akzeptieren von Hierarchien voraus, nämlich Wachstumshierarchien, diese setzt das Akzeptieren der guten Errungenschaften der Vergangenheit voraus und diese setzt im ganz Speziellem eine Rücknahme der Egozentrik voraus. Ihr seid schon auf einer hohen Entwicklungsstufe, aber ihr seid deshalb nicht besser oder schlechter wie "Orange" oder "Blau" und vor allem, es kann noch weiter gehen, das Potential dazu ist in jedem von uns vorhanden. Welche Bedingungen und Voraussetzungen dazu vorhanden sein müssen und was eine echte Transformation wirklich bedeutet, dies alles möchte ich versuchen im nächsten Kapitel aufzuzeigen."

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