Samstag, 14. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 3.1

 

3.1. Occupy und Hierarchien


Wachstumshierarchien kontra Herrschaftshierarchien

"Sobald wir jedoch zu Grün kommen, beginnt das sensible Ich mit der Verdammung praktisch aller Arten von Hierarchien und einem konzertierten Angriff auf sie, einfach weil Hierarchien tatsächlich oft an furchtbarer sozialer Unterdrückung beteiligt waren."(Ganzheitlich handeln, S.39)
"Obwohl das gesunde Grün einen Teil des postkonventionellen, weltzentrischen, universellen Bewusstseins darstellt, ist sein Bezug zur Wahrheit stark subjektiv. Genau deshalb, weil Grün wünscht alle Wesen gleichermassen zu ehren, verlässt es seine Bahn und lässt jede Person über ihre eigene Wahrheit entscheiden. Allen Glaubenssystemen, solange sie nicht anderen schaden, wird der gleiche Status eingeräumt. Deshalb ist das Selbst auf dieser Stufe tatsächlich das "empfindsame Selbst". Sich der vielen verschiedenen Kontexte und der vielen verschiedenen Wahrheiten, der Vielfalt und des Pluralismus bewusst, verdreht es sich bei dem Versuch, jeder Wahrheit Genüge zu tun, ohne dabei irgendeine zu verdrängen oder herabzusetzen." (Boomeritis, S.115)  Jeder möchte für seine Meinung, Hauptfarbe, sexuelle Gesinnung oder Geschlecht zunächst mal akzeptiert und toleriert werden, möchte damit am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wie alle anderen auch. Aber die Schattenseite bei diesem ernsthaften und ehrlichen Bemühen es allen Recht zu machen, ist, dass die "Grüne Bewußtseinsstufe" keine Abstufungen und Rangfolgen anerkennt. Zum Teil aus gutem Grund, da die Geschichte voll ist mit abschreckenden Beispielen für Macht- und Herrschaftshierarchien. Zum anderen aber zu unrecht, da "Grün" aus  Unwissenheit damit alle Arten von Hierarchien ablehnt, also auch jene, die zu einem Wachstum zu mehr Tiefe und Reife führen.

Und hier kommen wir nun zu der grossen Chance der Transformation oder Weiterentwicklung der "Grünen" Bewußtseinswelle im Allgemeinen und der Occupybewegung im Speziellem. Keine Frage, in gewisser Form ist diese bestimmt schon im Gange, da sich wie alle Systeme und Gruppierungen auch diese Bewegung im ständigen Wandel und Austausch mit der Umwelt befindet. Kurz bevor ich Anfang April am nächsten Morgen abgereist bin, sagte mir Jan, dass sie jetzt schon viel schneller Leute aus dem Camp verweisen, die sich nicht an elementare Regeln halten ("Ich mach mein Ding, halt die Fresse"). Aber es könnte noch weiter gehen, ja es muss, da diese Bewegung aus meiner vollsten Überzeugung heraus eine der wichtigsten dieses Jahrzehnts ist, ganz einfach deswegen, da sie das "Potential" hat, tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen anzustossen - ähnlich wie damals die "68er".

Wenn wir nun konstatieren, dass sich die Occupybewegung schwerpunktmäßig auf der "Grünen Bewußtseinsstufe" befindet, gehört für eine Weiterentwicklung oder Transformation als erstes dazu, sich mit dem Wert und dem Inhalt von Wachstumshierarchien auseinanderzusetzen. Nur dann ist es möglich gewisse Strukturen aufzubauen, weil nur dann können wir eine "Einheit in der Vielfalt" praktizieren, indem wir niemanden ausgrenzen, aber auch jeden seinen Platz zuweisen. Nur dann ist es möglich zielgerichteter vorzugehen und den "Hyperraumsprung" zu den Anfängen einer wahrhaft ganzheitlichen, integralen Sichtweise zu schaffen, die versucht alle vorhandenen Sichtweisen zu akzeptieren und zu integrieren, und nicht einzelne zu verdammen, nur weil sie nicht in die "eigene" Wahrheit passen!

 Dann wäre der Übergang auf die erste integrale, die "Gelbe" Bewußtseinsstufe möglich, was heissen würde, alle vorherigen Ebenen - von Beige bis Grün - wären darin integriert, das jeweils Gute daraus wäre mitgenommen  und es würde sich eine völlig neue Bewußtseinsstufe mit ihren inhärenten Fähigkeiten und Werten entwickeln. Nach diesem Prinzip  funktioniert unsere Evolution seit 14 Milliarden Jahren und warum sollten wir nicht versuchen damit in Einklang zu leben? Mit dem Leben an sich, das eine ganz bestimmte Richtung verfolgt, das offensichtlich von einer unsichtbaren Kraft hin zu mehr Ganzheit, Liebe und Harmonie angetrieben wird. Also genau die hohen Ideale und Ziele, die auch "Grün" vorgibt zu verfolgen, aber sie meist mit ihrer starren Verhaftung auf die eigene subjektive Wahrheit eher blockiert als fördert. Und ein ganz wesentlicher Schritt in diese Richtung wäre sich von der festen anti-hierarchischen Haltung zu lösen und sich für eine andere, wachstumförderliche Art von Hierarchie zu öffnen. Nur durch das Akzeptieren von Entwicklung und Rangfolgen kann man verstehen, wie sich ein Individuum sowie eine Kultur von der Ego - zur Ethno -  zur Weltzentrischen Bewußtseins- und Moralstufe entwickeln kann, und nur auf der letztgenannten sind die globalen Krisen und Probleme wirklich zu lösen.
 "Herrschaftshierarchien und Verwirklichungshierarchien. Die erstgenannten sind die starren gesellschaftlichen Hierarchien, die Werkzeuge der Unterdrückung sind; die letzteren sind Wachstumshierarchien, die tatsächlich notwendig sind für die Selbstverwirklichung von Individuen und Kulturen (und auch praktisch aller biologischen Systeme). Die Wachstumshierarchien sind es, die zuvor isolierte und fragmentierte Elemente zusammenführen. Isolierte Atome werden zu Molekülen zusammengebracht, isolierte Moleküle zu Zellen, isolierte Zellen zu Organismen, Organismen zu Ökosystemen, Ökosysteme zu Biosphäre - und so weiter. Kurz gesagt: Wachstumshierarchien verwandeln Anhäufungen in Ganzheiten, Bruchteile in Integration, Entfremdung in Zusammenarbeit. (...) Das integrale Sekundärschicht-Bewußtsein versteht die verschachtelte Hierarchie des Wachstums. Wenn wir also negativ auf alle Hierarchien reagieren, dann werden wir nicht nur ehrenhaft die Ungerechtigkeiten der Herrschaftshierarchien bekämpfen, sondern wir werden uns sehr wahrscheinlich auch selbst daran hindern, uns zur integralen Sekundärschicht weiterzuentwickeln. (Ganzheitlich handeln, S.39)


Was will Occupy eigentlich?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Klare Aussagen bezüglich der Forderungen der Bewegung sind schwer zu finden, und wenn, dann beziehen sie sich meist nur auf Meinungen einzelner Aktivisten, die mehr oder weniger von der Mehrheit der Bewegung mitgetragen werden. Im Camp wurde mir erzählt, dass eine klare Festlegung auf bestimmte Forderungen und Ziele vermieden wird, ganz einfach deswegen, weil man von den Medien, und den politischen Gegnern, nicht auf eine bestimmte Richtung "festgenagelt" werden will. Deshalb wird der Bewegung mangelnde Zielgerichtetheit vorgeworfen, was meiner Meinung nach nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Würde man (Wachstums-) Hierarchien und Abstufungen in der Bewegung zu lassen, würde das in Sachen Ausrichtung und Zielfindung einen klaren Sprung nach vorne bedeuten!

Nach einigem recherchieren bin ich auf eine Reihe von offenen Fragen an das derzeit existierende System gestossen. Es scheint mehr Mahnungen als Antworten zu geben. Ein Projekt von Occupy Frankfurt ist der Arbeitskreis "Occupy Money" , dem einige Finanz- und Wirtschafsexperten angehören. Diese haben folgende Fragen formuliert:

  • Wie können wir nachhaltige Geldsysteme schaffen?
  • Wie sehen Geldsysteme aus, die nicht regelmässig zusammenbrechen und uns beherrschen sondern die uns dienen?
  • Wo gibt es in der Vergangenheit und Gegenwart gute Beispiele, die funktionieren?  
  • Eine Hauptursache für Inflation, regelmäßige Krisen und Zusammenbrüche liegt in der fehlerhaften Konstruktion unseres Geldsystems. Davon profitiert eine kleine Minderheit von etwa 10 Prozent der Menschen. Die große Mehrheit zahlt drauf. Über die in allen Preisen und Steuern versteckten Zinsen beträgt diese Umverteilung von Arm zu Reich in Deutschland etwa 600 Millionen Euro pro Tag. Doch unser Geldsystem ist nicht gottgegeben. Wir können es neu gestalten!
(Quelle: Occupymoney.de/occupy-money.de Prof. Margrit Kennedy) 

Weitaus aufschlussreicher und informativer, was die Forderungen und Beweggründe angeht, ist ein jüngst erschiener Sternartikel (21/2012) über die Occupy - Bewegung. Darin kamen Occupierer aus Deutschland und den USA zu Wort. Unter anderem auch drei der engagierteren Aktivisten aus dem Camp in Frankfurt, denen es wirklich um etwas geht, die etwas bewegen wollen und die ich alle drei während meines Aufenthaltes kurz kennenlernen durfte. Lassen wir sie selbst sprechen:

Jan Umsonst (Pseudonym, Thai-Chi-Lehrer, 38, Occupy Frankfurt):

" Vier Jahre habe ich für mein Buch „Planet der verrückten Affen“ recherchiert, es sind 1000 Seiten zusammengekommen. In Occupy findet eine holistische, generalistische Konstante der Weltgeschichte ihren Ausdruck. Ich werde mich diesen Sommer als freies Radikal in der globalen Protestcloud bewegen, um später sagen zu können: Ich war da, als die Chaoswolke subversiver Kreativer mit ihren Ideen die Welt veränderte."

Thomas Occupy (Pseudonym, Aktivist, 52, Occupy Frankfurt): 

" Ich bin Kapitalist und stehe dazu. Ich will nicht das System abschaffen,ich will es grundlegend neu strukturieren. Gewalt lehne ich ab, so wie alle Aktivisten von Occupy Gewalt ablehnen. Als wir  kürzlich eine Pressekonferenz machten, baute die Polizei Überwachungskameras auf. Man hat Angst vor uns. Aus gutem Grund. Oft fragen uns Journalisten: Wie lange wollt ihr bleiben? Bis sich was ändert, antworten wir. Wir haben Geduld. "

Sascha Reynolds (Student, 26, Occupy Frankfurt):


"Für Occupy betreibe ich den Sender „Radio 99 Prozent“, bin am Kunstprojekt bei der Biennale Berlin beteiligt. Nächtelang sitze ich manchmal vor dem Livestream, wenn Tim Pool von Protestmärschen aus den USA berichtet, so angstfrei und sympathisch. Die Energie ist zum Schneiden. Ich kann dann nicht schlafen gehen, denn ich weiß, es kommt auf jeden von uns an. Dieses Gefühl der Solidarität ist viel stärker als das Gefühl der Ohnmacht, das einen angesichts der Macht der Finanzkonzerne befallen könnte."

Besonders interessant fand ich die Aussage eines Fondsmanagers, der sich dem Occupy - Money Arbeitskreis angeschlossen hat, und quasi an den Schaltstellen des weltweiten Turbokapitalismus sitzt:

Peter Grahn (Pseudonym, Fondsmanager, 34, Occupy Money + Occupy Frankfurt):

"Als Fondsmanager ist man nah dran an dem Zusammenspiel von Realwirtschaft, Finanzsystem und Politik. Die Entwicklung der letzten Jahre empfinde ich als zutiefst ungerecht. Das Hauptproblem des Kapitalismus ist seine unausweichliche Anfälligkeit gegenüber der giftigen Kombination von  Gewinnstreben, Überoptimismus und Disziplinlosigkeit. Hyman Minsky beschrieb diesen Kreislauf bereits 1975, Zentralbanker und Ökonomen ignorieren ihn heute noch. Ein durch „moral hazard“, also leichtfertiges Verhalten, exzessives Kreditwachstum und mangelnde Aufsicht entfesseltes Bankensystem hat zu einer ungerechten Vermögensverteilung und Schuldenüberlastung geführt. Occupy fordert global und friedlich, dass die Politik zu einem Wirtschaftssystem zurückkehrt, das für die Menschen da ist."

Was offensichtlich alle vereint ist ein Gefühl, dass irgendetwas aus der Balance geraten ist in unserem System?! Eine Gesellschaft, in der derjenige belohnt wird, der andere ausnimmt, ganz legal und ohne Konsequenzen, kann nicht mehr im Gleichgewicht sein. Wollen wir so weiterleben? Eine Vision von einem neuem Gesellschaftsvertrag liegt in der Luft, einer Gesellschaft, die auf Gerechtigkeit und Fairness beruht. Die Gretchenfrage lautet: Hat Occupy dafür die passenden Ideen, oder geht es zuerst mal nur um "Krawall" machen?

Bis hierher kann ich in weiten Teilen den oben gemachten Aussagen nur zustimmen. Gier, Macht, Materialismus und Ausbeutung sind die Pestbeulen der "Orangen - leistungsorientierten" Entwicklungsstufe. "Die Kehrseite der Aufklärung und des orangen Mems im Allgemeinen sind ebenso gut bekannt. Es gibt dort eine Neigung, die Welt abstrakt, ungebunden und in einer reduktionistischen Weise zu betrachten, was zu einer zunehmenden Entfremdung führt. Dies bedingt das Auftauchen vieler verschiedener materialistischer Philosophien und materialistischer Motivationen. Ökonomisches Denken tritt als das angebliche Mittel zu Befreiung in den Mittelpunkt und ein unbarmherziger Kapitalismus startet seine lange Karriere." (Boomeritis, S.106) Aber noch einmal, wie schon mehrmals betont, jede Entwicklungsstufe hat ihre Licht- und Schattenseiten. Und der Raubtierkapitalismus ist eindeutig einer der grössten Schatten der Modernen. Wenn wir also über die Moderne und damit auch über die Banken, die Industriestaaten und den damit verbundenen Kapitalismus nachdenken, lasst uns bitte gleichzeitig an die Guten wie auch an die schlechten Dinge denken.

 Ohne Zweifel, es ist eine der großen Leistungen der Bewegung, dass sie diese lange im verborgenen gehaltenen Schattenseiten nun ans Licht der Öffentlichkeit holt und thematisiert. Und das reicht auch zuerst mal aus, so die Bewegung. Auf der Suche nach einer gerechteren und faireren Welt müssen wir zuerst mal auf das aufmerksam machen, was seit Jahrzehnten schief läuft. Wir brauchen nicht sofort etwas zu ändern. Es reicht wenn sich irgendwann etwas ändert. Es scheint, als wäre der Wunsch nach einem Ende der Ausbeutung und Unterdrückung, dass einzige, was alle in der Bewegung eint und zusammenbringt. Über alles andere diskutieren wir basisdemokratisch. Und wenn es Stunden, Wochen oder Monate dauert.

Hier nun, so glaube ich, kann die Integrale Theorie einen wesentlichen Beitrag für einen Sprung nach vorne leisten. Diskutiert und gestritten wurde weiß Gott genug. Das wird auch immer so weiter gehen. Aber wie wäre es, wenn man jetzt über konkrete Strukturen reden würde, über eine geregelte Organisationsform, über Hierarchien ohne gleich nach Unterdrückung zu brüllen, und vor allem, über echte umsetzbare Entwicklungs- und Transformationsszenarien zum derzeitigen System? Im nächsten Kapitel wird es darum gehen.

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