Montag, 16. Juli 2012

Eine Theorie von Allem Teil 4

 

4. Vertikale Transformation


Kann sich die Occupybewegung weiterentwickeln?

 Ich glaube, dass es nun an der Zeit ist sich als Bewegung weiterzuentwickeln. Die Fragen dazu könnten lauten: Was war gut in unserer bisherigen Struktur und Protest, was war schlecht, und vor allem, was können wir wirklich an Alternativen/Lösungen anbieten? Und zu dieser Weiterentwicklung gehört auch die guten Seiten der Moderne anzuerkennen. Wenn wir das kulturelle und individuelle Entwicklungs- und Stufenmodell (Spiral Dynamics)  akzeptieren, dann bildet die  "Orange-Ebene" mit ihren wissenschaftlichen Errungenschaften die Basis von Industriestaaten und damit auch die Basis von den verhassten Banken gegen die Occupy opponiert. Hier geht es natürlich um ein gutes Leben und materiellen Überfluss, auf dieser Ebene  gibt es nur Gewinner oder Verlierer. Aber das ist nur eine Seite dieser Entwicklungsstufe. "Obwohl die westliche liberale Aufklärung ziemlich von den Postmodernisten verunglimpft wurde, war die Aufklärung ein historischer Wendepunkt im Wandel von der traditionellen konservativen Ideologie (Blau) zu den universell-liberalen Werten (Orange), insbesondere der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Die Tatsache, dass der Westen diese Ideale nicht immer umsetzen kann, ist kein Grund, sie zu leugnen - ganz besonders weil jene, die sie leugnen, dies nur unter dem Schutz dieser Ideale tun können." (Boomeritis, S.103)

Das heisst ganz einfach, auf dieser Entwicklungsstufe finden wir auch das, worum es Occupy im Kern geht und das alle vereint: Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Neben dem was es verdammt: Kapitalismus, Ausbeutung, Unterdrückung. Wir leben in einer komplexen Welt, und man sieht an diesem Beispiel, dass es eben nicht so einfach ist nach dem "Raubtierkapitalismus" zu brüllen. Es ist nur eine Seite der Medaille. Nehmen wir die Versammlungsfreiheit, die in unserem Grundgesetz verankert ist und von der Occupy und andere Protestgruppen rege Gebrauch machen. Sie ist ein Bürgerrecht, das von Menschen  vor über 200 Jahren während der Aufklärung erkämpft wurde - Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit -, und viele dafür auch starben. Von diesen Erfolgen und Errungenschaften profitiert heute jeder einzelne Demonstrant auf der Strasse! Wie es Menschen ergeht, die nicht in einem Land leben mit einer Verfassung die solche Bürger- und Zivilrechte vorsieht, können wir an dem traurigen Beispiel China sehen. Dort werden Menschen für ihr freie Meinungsäußerung verhaftet, gefoltert und zum Teil auch hingerichtet . Das sollten wir -  und vor allem die Occupierer - bei allem berechtigten Protest gegen Fehlentwicklungen und Mißstände in unserem System immer wieder aufs neue bedenken!

"Ich bin Kapitalist und stehe dazu. Ich will nicht das System abschaffen,ich will es grundlegend neu strukturieren", sagt Thomas Occupy. Das spricht für den Realitätsbezug dieses Aktivisten. Der Ruf nach Abschaffung des Sklaventreiber "Geld" ist schnell gemacht und sehr verlockend. Ich selbst hin lange Zeit diesem Ruf nach. Wie schön ist die romantische Vorstellung man könnte ein Wirtschaftssystem ohne den Vermittler Geld am Leben erhalten, auf der Basis von "Geben und Nehmen".  Auch diese Alternative habe ich am eigenem Leibe kennengelernt, als ich für mehrere Monate in Familien und Gemeinschaften lebte. Nach genau diesem Prinzip: Mitarbeit gegen Kost und Logis. Das Zahlungsmittel Geld blieb aussen vor. Und genau aus dem Grund habe ich es gemacht: Ich wollte herausfinden, ob der Vermittler Geld wirklich immer so wichtig ist? Heute würde ich sagen: In kleineren Gruppen Nein, in größeren Systemen wohl eher Ja. Alles andere ist fernab von der Realität im 21. Jahrhundert. Das System von "Gib- und Nimm" beruht ja auf folgenden Grundsätzen: Jeder gibt das was er kann - an Fähigkeiten, Talenten, Fürsorge - und nimmt im Gegenzug nur soviel wie er wirklich braucht. Sehr hehre und wünschenswerte Ziele. Aber die Realität sieht (leider) anders aus. Und das hat auch sehr viel mit den unterschiedlichen Bewußtseinsschwerpunkten von Individuen und Kollektiven zu tun. (Wie ich von Leuten aus diversen Tauschringen gehört habe, herrscht dort nachwievor ein Gefühl des Neides und der Ungerechtigkeit)

 Der grösste Fallstrick bei dieser Retro-Romantischen Vorstellung eines "Garten Edens" auf Erden, liegt in dem Bewußtsein der Leute, die solch ein "neues Paradigma" lautstark propagieren. Sie gehen davon aus, dass ihr mitfühlendes, auf Gleichheit beruhendes Bewußtsein sich auf jeden Menschen dieser Erde ausbreiten würde, wenn nur die Mechanismen und Hebel der (patriarchalischen) Unterdrückung aufgehoben wären. Dabei übersehen sie aber vollendes, dass jeder Mensch sich aufgrund seiner individuellen Entwicklung und dem eingebunden sein in unterschiedliche kulturelle Kontexte, auf einer anderen Bewußtseinsebene befindet - nämlich einer von  Beige bis Grün. Und diese Rufe nach einem neuem Paradigma kommen meistens von "grünen" Postmodernisten. Ein "Blauer" würde zum Beispiel ein solches System des gegenseitigen "Geben und Nehmens" als völlig unrecht bezeichnen, da er stark nach dem Verhaltenskodex von absoluten und unveränderlichen Prinzipien lebt, und damit meint zu wissen, was "recht" und "unrecht" ist.

Mögliche Forderungen, wie die komplette Abschaffung des Geldes, sind leider nicht von dieser Welt, wie sie sich uns derzeit darstellt und siedeln sich im Reich des Prä-Konventionellen an. Damit  verbunden ist eine romantische Vorstellung von der Rückkehr  des "Edlen und friedvollen Wilden", der in völliger Harmonie und Einklang mit der Natur und seinen Mitmenschen lebte und von dem "bösen Geld" noch nichts wusste, welches erst Jahrhunderte später von westlichen (männlichen) Imperialisten als Unterdrückungs- und Sklavenmittel eingeführt wurde. (Auch hier: Wahr, aber nur zumTeil. Es wird geflissentlich übersehen, das es diesen Edlen Wilden niemals gab: Brandrodungen und Menschenopfer waren bei den Mayas, Inkas und anderen "Hochkulturen" an der Tagesordnung).

Nein,  Menschen leben nun mal in (Austausch-) Beziehungen und Geld ist das entsprechende Tauschmittel der Moderne. Wir müssen ja gar nicht zurückgehen, wir können voran gehen, und zwar mit einer neuen Form des Geldes. Über die Verteilung, die Mechanismen , darüber kann und sollte man reden und dazu kann die Occupy-Bewegung einen wichtigen Beitrag leisten. Aber nur, wenn sich die Bewegung einer gewissen Transformation unterzieht und als wesentlicher Teil davon, dass sich die Beteiligten bewußtseinsmäßig (innerlich) weiterentwickeln, also die Spirale weiter hinauf von "Grün" nach "Gelb", der ersten wirklich integralen Stufe, die alle vorherigen sieht und wertschätzt. Ohne die vorherigen Stufen, wie "Orange" oder "Blau" hätte sich Grün und somit auch zwangsläufig eine Bewegung wie "Occupy" niemals entwickeln können. Und Entwicklung bedeutet immer ein Umschliessen und Integrieren von dem was bisher war, nicht ein Zerstören und Nivellieren. Wieder können wir das ganz anschaulich in der Natur beobachten: Ein Molekül umschliesst Atome, eine Zelle umschliesst  Moleküle und die darin enthaltenen Atome, ein Organismus umschliesst Zellen, Moleküle und Atome.  Jeder höhere Welle empfängt und umschliesst die vorherige. Zerstört man alle Atome, zerstört man damit alle Zellen, Organismen, Ökosysteme. Weil sie eine niedere, grundlegende Basis bilden auf die alle anderen aufbauen.

 Also, Ja, zu einem Ende der grenzenlosen Spekulationsfreiheit und Gier, und dem damit verbundenen "sozialisieren" der Verluste auf die breite Masse. Aber das geht nur, wenn sich die betreffenden Akteure innerlich weiterentwickeln, wenn also der "gierige Banker" irgendwann keine Lust mehr hat, noch mehr Millionen zu machen, wenn er dessen müde geworden ist und nach einem "Was gibt es sonst noch im Leben" fragt. Und diese innerliche Entwicklung gilt für alle Akteure jeglicher Couleur, egal ob Banker, Greenpeace-Aktivist, Occupierer oder islamischer Fundamentalist. Das Entscheidende ist die Bereitschaft zur innerlichen Weiterentwicklung. Deshalb, Nein, zu einem pauschalen undifferenzierten Keulenschlag: "Nieder mit dem ganzen kapitalistischen System", weil es ganz einfach an den Wurzeln des Problems  vorbeigehen würde. Natürlich gibt es eine Korrelation zwischen inneren und äußeren Faktoren - wie die Politik, das System und die Kultur in der das Individuum lebt -, aber zum jetzigen Zeitpunkt dieser Ausführungen ist es meiner Meinung viel wichtiger, sich auf die innere Bewußtseinsentwicklung zu konzentrieren. In den späteren Kapiteln werden wir zu den äußeren Faktoren zurückkommen.


Faktoren für die persönliche Weiterentwicklung

Wir kommen nun zu der Frage, was vorliegen muss, um eine Bewußtseinstransformation in Gang zu setzen? Welche Faktoren erleichtern die persönliche Transformation, dass Emergieren eine höheren Welle?
 Nach der Ansicht  von Ken Wilber sind dies vier Faktoren:
  1. Erfüllung
  2. Dissonanz
  3. Einsicht
  4. Offensein
"Erfüllung bedeutet, dass das Individuum ganz allgemein die grundlegenden Aufgaben einer bestimmten Stufe oder Welle erfüllt hat. (...) Ein Mensch muss ganz in den Genuß einer gegebenen Stufe gekommen sein, muss sie voll ausgekostet haben, um bereit zu sein, weiterzugehen. Jemand, der noch nach den typischen Belohnungen einer bestimmten Stufe hungert, wird einfach nicht nach anderen Ausschau halten." (Ganzheitlich handeln, S. 48)

"Wenn die betreffende Person andererseits ein Stadium ausgekostet hat und diese Stadium ziemlich satt geworden ist, dann ist sie zur Transformation bereit. Damit dies geschieht, muss es fast immer zu einer Art von Dissonanz kommen. Die neue Welle will sich durchsetzen, die alte Welle ringt um ihren Erhalt - das Individuum empfindet einen Zwiespalt und fühlt sich hin und her gerissen. Es muss auf jeden Fall eine Art tiefer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Ebene geben. Man muss über sie beunruhigt, mit ihr unzufrieden und zutiefst frustriert sein, so dass es zu einer tiefen und bohrenden Dissonanz kommt.
Vielleicht ist man mit ihren inhärenten Begrenzungen oder Widersprüchen (wie Hegel sagen würde) in Konflikt geraten, oder man beginnt sich von ihr zu ent-identifizieren (wie Assagioli sagen würde), oder vielleicht ist man ihrer einfach müde geworden" (Ganzheitlich handeln, S48)

"An diesem Punkt hilft dem Individuum gewöhnlich eine Art von Einsicht in die Situation, um weitergehen zu können - Einsicht in das, was man wirklich will, sowie in das, was die gegenwärtigen Realität tatsächlich zu bieten hat. Bestätigung, Wille und die Absicht, sich zu verändern - sie alle können zu der Einsicht in die Situation hinzukommen und dazu beitragen, dass Bewußtsein voranzutreiben. Die Einsicht kann durch Innenschau, durch Gespräche mit Freunden, durch Therapie oder Meditation zustande kommen Meist geschieht das auf eine Art und Weise, die absolut niemand so recht versteht - nämlich durch das bloße Leben des Alltags."  (Ganzheitlich handeln, S. 48)

Schließlich, wenn alle diese Faktoren sich richtig zusammenfügen, wird es möglich, sich der nächsten Welle des Bewußtseins - tiefer, höher, breiter, umfangender - zu öffnen. (Ganzheitlich handeln, S.49)


Der Silberstreifen am Horizont

... dass die Politik zu einem Wirtschaftssystem zurückkehrt, das für die Menschen da ist...

... Ich war da, als die Chaoswolke subversiver Kreativer mit ihren Ideen die Welt veränderte...

... Ich kann dann nicht schlafen gehen, denn ich weiß, es kommt auf jeden von uns an... 
 
... "Man kann Occupy klein reden, man kann Occupy groß reden. Eine Wahrheit ist: Die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland brauchte 40 Jahre, ehe sie Erfolg hatte, und schien manchmal nur noch eine Karikatur ihrer selbst. Der Historiker Paul Nolte sorgte sich vor Kurzem, „ob wir nicht in einem Vormärz leben, ob eine Revolution bevorsteht“. Und kam zu dem Schluss: „Es fehlt die konkrete Alternative. Was soll an die Stelle des jetzigen Systems treten?" ...

(Quelle: Stern, 21/2012)

Diese rhetorisch gestellte Frage des Herrn Professor Nolte möchte ich gerne aufgreifen. Es ist der bekannte Ausruf nach der Alternativlosigkeit zum derzeitigen System. Aber stimmt das wirklich? Ich glaube wir sind uns einig, dass Kommunismus, Sozialismus oder gar Diktatorische Systeme keine ernsthaften Alternativen zur Demokratie darstellen können. Der integrale Ansatz zeigt uns aber auf, dass es viel effektiver und effizienter wäre, wenn man versucht aus allen zur Verfügung stehenden Weisheiten und Theorien, welche uns heute aus allen Kulturen der Welt und der Wissenschaft zur Verfügung stehen, die jeweils besten und brauchbarsten Seiten herausgreift und zu einem neuem ganzheitlichen Ansatz zusammenfügen würde. In diesem würde jede Anschauung, jede Nationalität, jede Hautfarbe, jede Religion und jeder Wissenschaftszweig seinen Platz und seine Wertschätzung erfahren. Um dies zu ermöglichen, ist es aber notwendig zu verstehen, dass sich unsere gesamte Existenz/Natur aus hierarchischen Wellen und Ganzheiten zuammensetzt und aufbaut. Kurz, wir unterliegen einer ständigen Entwicklung zu immer höheren und komplexeren Formen der Existenz, angefangen von organischen Lebewesen über das Bewußtsein bis hin zu System- und Organisationsformen.

  "Diese miteinander wechselwirkenden Systeme erfordern eine Regierung, die in  der Lage ist, Nationen und Gemeinschaften im Bereich der gesamten Spirale innerer und äußerer Entwicklung zu integrieren ( nicht zu beherrschen). Was die Welt heute benötigt, ist die erste echt sekundärschichtige Form politischer Philosophie und Regierungsgewalt. (..) Eine solche Struktur wird keineswegs die US-Verfassung (oder die irgendeiner anderen Nation) ersetzen, sondern sie einfach in ein globales Netzwerk einbinden, das die wechselseitige Entfaltung und Förderung erleichtert - eine integrale und holonische Politik." (Ganzheitlich handeln, S.105)

Um für diese derzeitige Utopie - oder nennen wir es integrale Perspektive - weiter Zustimmung und Verständnis zu gewinnen, werde ich weiterhin versuchen durch Gespräche und schriftliche Arbeiten meinen bescheidenen Anteil dazu beizutragen. Der Occupy-Bewegung strecke ich meine geöffnete Hand entgegen, wenn sie willens ist sie zu ergreifen. Weil, es ist ganz einfach. Es geht um mehr, als um unsere "Ego-Launen", es geht darum transpersonal zu werden, über das Ego hinaus zu kommen - auf eine "Wir-Alle-Ebene" , auf der die wirklich grossen Probleme angegangen werden können. Während einer Versammlung rief Jan laut in die Menge: " Es geht ums Ganze, es geht um 7 Milliarden Menschen auf diesen Planeten." Ja, möchte ich ihm zurufen und es geht sogar noch ein Stück weiter: Es geht um die Entwicklung hin zu einer Weltgemeinschaft in ihrer ganzen kulturellen und ökologischen Vielfalt, hin zu einer "Einheit in der Vielfalt", mit all ihren Unterschieden, Farben und Zickzacklinien der regenbogenfarbenen Menschheit.

 So lasst es uns angehen und tun. Ken Wilber nennt uns, die Kinder der "68er",  die "Generation X", die ähnlich wie damals unsere Eltern, einen echten kulturellen und gesellschaftlichen Wandel hervorbringen können. Wir haben ins uns das Potential, die erste wirklich integrale Generation zu werden, die "Gelbe Bewußtseinsstufe" voll zu aktivieren, die alle anderen Stufen weiter mit nach oben zieht,  und nur auf Grundlage dessen, weltumfassende Probleme wie Krieg, Gerechtigkeit, Umweltschutz und Lebensmittelknappheit gelöst werden können. Und so möchte ich am Ende den  Aktivisten dieser Bewegung zurufen: Wir haben dasselbe Ziel und versuchen uns ihm auf unterschiedliche Weise zu nähern. Werden sich unsere Wege eines Tages noch einmal kreuzen?
"Wir warten auf die neuen globalen Gründerväter und -mütter, die ein integrales System von Regierungsgewalten schaffen, welches uns in eine stärker einbeziehende Zukunft führt. Ein System, das als ein Schrittmacher der Transformation für die gesamte Spirale menschlicher Entwicklung agieren wird und das die spezifische Form der Entwicklung jeder einzelnen Welle respektieren und doch jede einzelne und alle zusammen dazu aufrufen wird, noch größere Tiefe zu verwirklichen."
  - Ken Wilber -

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