Sonntag, 6. Mai 2012

Ein Hauch von Abschied

Tag 22: Stockstadt - Frankfurt

Das grosse Finale!! Heute am Montag, den 02.04, werde ich in Frankfurt eintreffen. Von Aschaffenburg aus sind es noch gute 50 Kilometer bis dorthin. Das fahre ich auf der linken Pobacke ab! Also raus aus dem kalten Zelt, in windeseile alles zusammenräumen und ab aufs Rad. Mich betätigen, dann wird es mir auch schnell wärmer. Soviel sei schon mal verraten: der letzte Tag sollte noch ein paar Überraschungen bereithalten!

Die erste gleich in Seligenstadt. Wie als letzter Beweis für die so oft erlebte Grosszügigkeit und Menschlichkeit während der gesamten Tour. Ich hatte noch kein Frühstück im Magen. Meine Provianttasche war diesbezüglich schon ziemlich leer. Also entschloss ich mich, entgegen meiner Gewohnheit, aber zur Feier des letzten Tages, in ein Cafe zu gehen. Einen warmen Tee und ein Marmeladenbrötchen sollte man für 5 € bekommen. Ich fuhr in die Innenstadt und schaute nicht im feinsten Haus am Platze zu landen. So landete ich in einem gewöhnlichen Cafe, mit kaffetrinkenden und tratschtenden Rentnern. Hier war ich richtig. Ich bestellte einen schwarzen Tee, zwei hart gekochte Eier im Glas, dazu zwei Brötchen. Mein Sitzplatz war direkt vor der Küche in der Ecke. Die Bedienung, eine Dame um die 50 mit flottem Schritt und brauner Dauerwelle, war wohl auch gleichzeitig die Besitzerin, was ich an den Gesprächen mit den übrigen Gästen heraushören konnte. Sie hatte ein resolutes Auftreten, verbunden mit einem gewissem Humor und einer natürlichen Freundlichkeit.  Sie brachte mir die Eier im Glas, mit dem Hinweis, dass ich kontrollieren solle, ob sie auch wirklich hart gekocht seien, ansonsten würde Sie mir neue bringen. Sie waren es nicht, aber ich wollte sie so behalten. Als kleine Entschädigung brachte Sie mir ein weiteres Brötchen. Ich hatte mein Tagebuch und meine derzeitige Reiselektüre auf den Tisch gelegt.

 Irgendwann, nachdem Sie das fünfte mal an mir vorbeigegangen war, fragte Sie, woher ich komme. Ich erzählte ihr meine kleine Geschichte. Sie war beeindruckt und erzählte mir von einem Cousin, der für ein halbes Jahr nach Australien ging. Nachdem ich gestärkt war und meine Aufzeichnungen abgeschlossen hatte, gab ich Ihr ein Zeichen zum zahlen. "Ich muss los zur Schlussetappe nach Frankfurt" meinte ich mit einem breitem Lächeln. Grinsend stand Sie vor mir. In der Zwischenzeit hatten sich in der Ecke neben mir, zwei Damen gesetzt, die wohl bekannt waren mit der Betreiberin.  Sie drehte sich zu ihnen, und fing an " von dem jungen Mann " zu erzählen, der von Frankfurt nach Griechenland mit dem Rad gefahren ist." Plötzlich hörte das halbe Cafe zu, Köpfe drehten sich in meine Richtung. Mir war es  ein wenig unangenehm, so plötzlich im Rampenlicht zu stehen. Es kam mir beinahe so vor als wäre ich bei einem Vortrag! Nach Wochen mit mir und meinen Gedanken alleine, musste ich mich zuerst mal wieder ganz allgemein auf grössere Ansammlung von Menschen gewöhnen. Ich erzählte ein wenig von den Motiven und Hintergründen der Tour. Von den gesellschaftlichen Verhältnisse, von dem Getrieben sein in einer Leistungsgesellschaft.

Und dann passierte das letzte "kleine Wunder " dieser Radtour, insbesonderer dieser Rückreise, die davon ja nur so gespickt war. Ich machte anstalten gehen zu zahlen, und hielt Ihr einen 5€ Schein entgegen. Sie sah mich freundlich an und meinte: " Auf Ihrer heutigen Schlussetappe nach Frankfurt lade ich Sie zu diesem Frühstück ein!" Kawumh. Ich war baff. Ich bedankte mich herzlich, schrieb ihr beim rausgehen noch meine Blogadresse auf und ging aus dem Cafe.  Vor zwei Tagen der Mann von der Tafel, heute eine Cafebesitzerin. Ein leichtes Grinsen legte sich auf mein Gesicht. Ein Ausdruck von Vertrauen und Dankbarkeit. Ich wollte nicht lange darüber nachdenken, sondern mein Herz mit diesen Eindrücken füllen. Ich werde es brauchen würden, für die Tage und Wochen nach diesen Erlebnissen, als kleiner Schutzwall für all das Kommende, das nichts mit dem Erlebten der vergangenen Monate zu tun haben wird. Aus irgendeinem Grund wusste ich es heute schon!

Auf zu neuen Ufern

Weiter entlang des Mains. Während ich auf einer Bank sitze hält vor mir ein Radfahrer und spricht mich an. Nach einem kurzen Small-Talk fahren wir zusammen weiter. Während der Fahrt unterhalten wir uns. Ich bin neugierig, er ist ein Einheimischer. Zu dieser Zeit spielte ich noch mit dem Gedanken, nach Frankfurt um zu ziehen. Egal wohin, zuerst mal raus, wieder auf eigenen Beinen stehen. Raus aus der geistigen Enge. Raus aus oberflächlichen Getratsche und hinterlistigen Gehetze. Kurz: Raus aus diesem "Kaff". Vor 2 Jahren blieben nicht viel Alternativen, und für die Reisezeit war es ok. Die ist jetzt aber vorbei. Für die vorübergehende Bleibe bin ich dankbar, und das wars. Der Reiseautor und Schriftsteller Andreas Altmann würde sagen: " Raus diesem Scheissloch". Gerade schrieb er das Buch seines Lebens, wenn man so will, seine Biografie, für die er 20 Jahre Erfahrung als Reisender und Autor sammelten musste, um es nicht in einem "ambulanten Tränensackbericht "ausarten zu lassen, wie er es mal in einem Interview nannte. Das Buch ist eine gnadenlose Abrechnung mit der Scheinheiligkeit des Katholizismus, und dem Mief des provinziellen Kleinbürgertums. Und für mich ein Ansporn.

 Zurück zum Main. Ich frage meinen freundlichen Mitradler, der Ende der Fünziger ist und im vorzeitigen Ruhestand, wie es sich leben läßt, im Rhein-Main Gebiet, oder kleiner, im Umkreis von Frankfurt. Nein, wirklich positives kann er nicht berichten. Drei mal wurde ihm das Fahrrad geklaut, zweimal auf der Arbeit, am helligsten Tag. Natürlich war es immer abgeschlossen. Klar, das kann überall passieren, in jeder grösseren Stadt. Aber es gibt auch Statistiken und da steht Frankfurt nicht gut da, ein unrühmlicher erster Platz, bei  Einbrüchen und Diebstählen. Ich möchte wissen, wie er die Frankfurter, die breite Masse, so einschätzen würde? Ob die Klischees, nach denen die meisten "Stinkstiefel und Miesepeter" seien, aus seiner Beobachtung zutreffen? Ein leichtes Grinsen setzt sich auf sein Gesicht: "Naja, wirklich herzlich würde ich sie nicht bezeichnen." Zehn Kilometer vor Frankfurt verabschieden wir uns. Das Gesagte deckt sich mit meinen Eindrücken der letzten Jahre. Wie bei allen, man kann es nie pauschalisieren, aber es gibt eine breiten Durchschnitt, wie in allen Populationen. Und irgendwie spüre ich es auch. Nach den unterschiedlichen Regionen und Menschen der letzten Wochen, den herzlichen Italienern, den offenen Österreichern, den lebensfrohen Bayern,  folgen nun die mürrischen Hessen. Nicht alle, aber viele. Ich weiss ja wovon ich rede. Ich weiss, wie lange es gedauert hat bis ich "weltoffener" wurde. Dazu bedurfte es des Reisens in ganz andere Kulturkreise. Und eine natürliche Offenheit, diesen zu begegnen, mit Neugier, nicht mit Vorurteilen.

Ich setze mich auf eine Bank und schaue auf den Main. Nein, ich kann hier nicht länger leben! Zu sehr habe mich die Reisen und Erfahrungen der letzten Jahre geprägt, haben mich Offenheit, Toleranz, Fröhlichkeit und Miteinander gelehrt. Nach wenigen Wochen würde ich all das verlieren, würde mich wieder anpassen müssen, an das bestehende Umfeld. Würde quasi von ihm aufgesogen, ohne das ich was tun könnte. Ich weiss es, ich habe es immer wieder nach meiner Rückkehr erlebt.  Würde zu einem Jammer- und Keifsack verkommen, über alles und jeden hetzen und lamentieren. Lethargisch, kraftlos, freudlos. Depressiv ist nicht weit davon entfernt. Ich würde mein Innerstes verleugnen und vergewaltigen. Es liegt ein Hauch von Abschied in der Luft; Goodbye Hessen. Es war schön, aber nun wird es Zeit zu gehen.



Mit ein wenig gedrückter Stimmung fahre ich weiter. In den nächsten Wochen wartet einiges an Arbeit auf mich, an Organisatorischem. Ich wusste es schon in Griechenland, jetzt, wo es immer näher kommt, hat es nochmal eine andere Note. Fünf Kilometer weiter sehe ich die ersten Umrisse der Frankfurter Skyline, "Mainhatten", wie sie auch genannt wird, die Stadt der Banken, der Schauplatz von hemmungslosen Spekulationen ohne jegliche Substanz, dem grössten Irrsinn unserer Zeit. Und darum möchte ich Menschen treffen, die diesen Irrsin genauso verabscheuen, wie ich. Und nicht länger tatenlos zuschauen wollen. Auf zum Occupy-Camp..



1 Kommentar:

  1. Habe gerade gesehen, dass Du wieder zurück bist. Dann beginnt nun wieder der triste Alltag? Oder machst Du erst einmal im Occupy Camp weiter?
    LG Martin

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