Mittwoch, 2. Mai 2012

Wunder und Zeichen

Tag 16 + 17: Nürnberg - Forchheim

Nach der gestrigen Mörderetappe wurde es heute gemächlicher. Nach Nürnberg war mir die Strecke bestens vertraut von der Hinfahrt. Immer entlang der Regnitz. Und so war es nach Forchheim nur ein "Katzensprung" im Vergleich zu den Etappen der letzten Tage. Dort wartete auch schon der nächste freundliche Gastgeber auf mich. Auch wohl bekannt von der Hinfahrt. Nach rund 40 km stand ich vor der Haustür von Christof,  einem mittlerweile zum Freund gewordener Radler, der vor 5 Jahren mit seiner damaligen Freundin eine Weltradreise machte, und im Sommer diesen Jahres den Sprung in die Ungewissheit als freier Autor wagt. Herzlichen Glückwunsch und Willkommen im Club, Herr Kollege! Zwei Tage verbrachte ich wieder bei Christof, der wie immer sehr gastfreundlich war und mir die Gegend bei einer Wanderung  zeigte. Als kleine Gegenleistung zauberte ich uns ein Mittagessen.

Tag 18: Forchheim - Bamberg

Am Morgen empfing mich gleich ein Hammergegenwind, der den ganzen Tag lang auch anhielt. Außerdem war es deutlich kühler als gestern, aber noch im grünen Bereich. Kälte macht mir mittlerweile weniger aus als extreme Hitze. Die Tour näherte sich mit grossen Schritte dem Ende entgegen , und eine Sache fehlte noch von den Dingen, die ich mir für die Rückfahrt vorgenommen hatte: der Besuch einer Tafel in Deutschland, jener Organisation, die sich seit Jahren eines ständigen Wachstums erfreut und deren Einsatz für viele Menschen immer wichtiger wird.

 Die grossen Supermarktketten stellen Lebensmittel, die kurz vor und nach dem Ablaufdatum stehen,  den Tafeln zur Verfügung, anstatt sie wegzuschmeissen, was aber täglich immer noch passiert, wie ich später erfahren musste. Die Organisation und Ausgabe der Lebensmittel basiert auf komplett ehrenamtlicher Arbeit und finanziert sich durch Spenden. Ich wusste schon aus Gesprächen der vergangenen Tage, dass die Tafeln eigentlich nur an nachweislich Bedürftige etwas herausgeben dürfen. Sprich, mit einem Hartz-IV Bescheid oder einer Sozialkarte in der Hand. Dieses "nachweislich" machte mir ein wenig Gedanken. Ich war ja nun seit einigen Tagen wieder in einem Land, in dem alles über Verordnungen, Gesetze und Bestimmungen geht und dieses Amtsdenken ja auch sehr oft in de Köpfen der Verantwortlichen verankert ist. Nach dem Motto: Da kann ja jeder kommen! Ich wollte es mal wieder ausreizen, ich wollte es drauf ankommen lassen: Geben die Mitarbeiter dieser Organisation auch etwas an einen "Bedürftigen", der ganz sicher keinen Nachweis hat, ausser vielleicht ein vollbepacktes Fahrrad und ein müdes und hungriges Gesicht?!

Die Antwort darauf war ebenso eindeutig wie überraschend. Aber der Reihe nach. Als ich in Bamberg ankam ging ich zuerst mal wieder in die Tourist-Info. Eigentlich wollte ich dort nach Informationen zu einer Suppenküche oder eben der Tafel fragen. Ich stand fünf Minuten in der Halle und hörte den telefonierenden Mitarbeitern zu. "Ja, das alles kann ihnen die Faszination Weltkulturerbe Bamberg bieten. Ja wir haben auch ein Erlebnisbad, selbstverständlich. Die Stadtrundfahrt kostet 40 Euro für dieses einmalige Erlebnis Faszination Weltkulturerbe Bamberg. Sie haben auch die.... " Nach sieben Minuten war ich wieder draussen. Ich hätte es nicht über die Lippen gebracht, dem durchgestylten Servicemitarbeiter "in der Faszination Weltkulturerbe Bamberg", nach soetwas, wie einer Suppenküche zu fragen! Den Ausdruck eines peinlich berührten Gesichts wollte ich uns beiden ersparen. Als ich draussen war, fragte ich mich kurz, ob der erste Gedanke des jungen Mannes, jeden Morgen nach dem Aufwachen, der immer gleiche sei: "Willkommen in der Faszination Weltkulturerbe Bamberg..."?

Ok, also auf zur nächsten Anlaufstelle. Ab zur Kirche. Dort würde es mir entschieden leichter fallen nach Einrichtungen für Notleidende zu fragen. Zehn Minuten später stand ich am Empfang eines Gebäudes direkt gegenüber des Doms, was definitiv zur Kirche gehörte, dessen genaue Funktion ich aber vergessen habe. Die  nette Frau wusste gleich Bescheid und ich brauchte kein peinlich berührtes Gesicht erwarten. Sie drückte mir einen Zettel mit Adressen in die Hand. Es gab überraschend viele Einrichtungen dieser Art, in der Stadt der Faszination Weltkulturerbe. Alle von kirchlichen Trägern. Eine Wärmestube von der Caritas, einen Vinzenverein und eben auch eine Tafel. Die Wärmestube hatte schon zu und so führte mich mein Weg zu der Tafel. Ich musste zunächst ein wenig suchen um dann nach 20 Minuten des Radelns in einem Wohngebiet vor einem grossen Haus zu stehen. Ich fuhr in den Hof und stellte mein Rad ab. Links erspähte ich den weißen Transporter. Was sich in den nächsten 15 Minuten abspielte, kann ich nur als das "Wunder von Bamberg" bezeichnen. Ein älterer Herr mit Halbglatze und graumelierten Schläfen stand im Hof und war gerade dabei Erde in eine Schubkarre zu schaufeln. Ich sprach ihn an und stellte mich vor. Schnell stellte sich heraus, dass er der Vorsitzender der Bamberger Tafel, sowie des angeschlossenen Vinzenz Verein, ist.

Wir unterhielten uns einige Minuten. Natürlich erzählte ich von meiner Tour und meinen damit verbundenen Anliegen und Vorhaben. Ich stellte aber auch Fragen, war neugierig von der Arbeit und dem Alltag der Tafel zu erfahren. Interessantes bekam ich da zu hören. Nein, nicht nur Harz-IV Empfänger stehen an den immer länger werdenden Schlangen, auch Selbstständige, die nicht wissen wie sie über die Runden kommen sollen, oder  Leute mit einem ganz normalen Vollzeitjob, denen das verdiente Gehalt bis zum Ende des Monats nicht ausreicht. Natürlich fragte ich nach dem Thema "nachweislich Bedürftig". Ja, antwortete mir der nette Mann, im Prinzip sei das richtig. Aber wenn jemand in der Schlange steht und nichts mehr zu essen hat, wird er nicht weggeschickt, weil er keinen Hartz-IV Bescheid in der Hand hat!  Es wird allen etwas gegeben.
Ich merkte schnell, hier steht eine weitere "Seele des Alltags" vor mir. Er erzählt mir, dass er vor einigen Tagen ein junges Paar unter der Brücke aufgesammelt hat, die wohnungslos bei minus 13 Grad dort ausharrten. Er vermittelte sie in eine Sozialwohnung. Sein Engagement geht weiter über die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Tafel hinaus. Wenn er Not und Elend sieht, handelt er. Und so brauche ich nicht lange zu fragen. Selbstverständlich könne ich etwas bekommen. Wir gehen zu seinem Lieferwagen. Er öffnet die Schiebetür und vor mir stehen Körbe voller Brot. Leider gibt es derzeit nicht mehr, da er gestern die Märkte wegen Brot abgefahren hat. Ich nehme mir eine Tüte mit geschnittenem Biobrot.

Anschliessend zeigt er mir noch ein wenig seinen Betrieb. Er ist nämlich selbstständig und ich stehe gerade auf seinem Gelände. In einer Halle fülle ich an dem Wasserhahn meine Wasserflasche auf. Er bietet mir aber sofort eine 1,5 l Flasche Volvic an. Zuerst lehne ich dankend ab, wegen dem Gewicht, nehme sie dann aber doch. Muss ja heute noch kochen und wegschütten kann man es immer noch. Wir unterhalten uns noch ein wenig, er gibt mir einen Flyer der Tafel mit und ich begebe mich langsam wieder zum Rad. Gerade als ich mich verabschieden wollte, passiert das "Unglaubliche". Er schaut mich an, lächelt, und streckt mir seine Hand entgegen mit den Worten: " Hier, für die nächsten zwei Tagesetappen."  Ich schaue ihn kurz verdutzt an, erblicke dann seine Hand und sehe darin zwei 5€ Scheine! Ich bin zuerst mal fassunglos. "Nein, das kann ich doch nicht annehmen, Sie haben mir doch schon Brot und Wasser gegeben. Ich komme schon über die Runden." "Nein bitte nehmen Sie, es ist ok." Ich nehme die 10€ und bin sprachlos. Ich bedanke mich tausend mal und versichere ihm, das ich unter anderem wegen solchen Menschen wie ihm, immer wieder auf Reisen gehe. Um diese "Raritäten" im Morast der Empathielosigkeit und des Egoismus zu finden.

Auch wenige Minuten später auf dem Rad kann ich es noch nicht glauben. Die 10€ kamen aus seiner privaten Tasche und nicht aus der spendenfinanzierten Vereinskasse. Obgleich, dies keinen Unterschied in Hinblick auf die Grosszügigkeit und Menschlichkeit dieser Tat gemacht hätte. Zur Feier des Tages, oder der bisherigen Tour, gönne ich mir in einer Pizzeria eine grosse Pizza Mozarella und denke bei jedem Bissen an meinen grosszügigen Spender. Der junge Besitzer ist Kosvo-Albaner. Als er erfährt das ich auf meiner Fahrt nach Griechenland auch durch sei Heimatland Albanien kam, lädt er mich direkt zu einem Glas "Caj" ein. Das Abendessen habe ich schon mal eingenommen. Gestärkt und mit vielen positiven Eindrücken neigt sich der Tag dem Ende zu. Kurz hinter Bamberg schlage ich am Mainufer auf einem Spielplatz mein Zelt auf.

Es ist stark bewölkt und es sieht nach Regen aus. Dies kann aber meine innere Verfassung nicht eintrüben. Als ich am frühen Abend in meinem geliebten, kuscheligen Schlafsack liege fallen mir zwei Zitate ein, die ich einmal irgendwo gelesen habe. Von zwei Menschen, deren Leben unterschiedlicher nicht hätte sein können, und deren Worte den heutigen Tag nicht hätten besser abschliessen können. Beide haben der Menscheit etwas einzigartiges hinterlassen, auf ganz unterschiedlichen Ebenen.

 Einmal von einem grossen Pionier und Visionär des 21. Jahrhunderts: "Wenn ich morgen sterbe, würde ich dann tun, was ich heute tue?" (Steven Jobs)

Zum anderen von einer Frau, die mit ihrem ganzen Leben, ein Inbegriff von selbstloser Liebe und Mitgefühl war: "Das Gute, dass du heute tust, werden die Menschen morgen oft schon wieder vergessen haben. Tu weiterhin Gutes." (Mutter Teresa)


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