Sonntag, 13. November 2011

In eisiger Höhe, Hundeattacken und das Rauschen des Meeres

Tag 56

Heute nun ging es auf die letzten Kilometer durch Albanien. Nach einer guten Nacht in dem feinen Hotel, startete ich ausgeruht von Vlore aus. Der Hotelbesitzer warnte mich schon vor, heute sollte die höchste Erhebung der Tour auf mich warten, ich musste über 1.000 Meter hohen Berg.
So kaufte ich noch ausreichend Proviant ein, und radelte die ersten 20 Kilometer noch entspannt entlang der Küste. Nach einem letzten Tee, und einer kleinen Mahlzeit, ging es los.

Der Blick auf die Karte versprach nichts gutes, wie eine Schlange sah der Strassenverlauf aus. Und so fing es an. Vor mir sah ich die erste Steigung. Die ersten 1-2 Kilometer konnte ich noch im kleinsten Gang bezwingen. Aber dann kam irgendwann der Punkt, wo es einfach nicht mehr ging. Absteigen, schieben. Ein paar Meter, wieder aufs Rad fahren, schieben, kurze Verschnaufpause.
In diesem Rhythmus bewegte ich mich fort.

Während den Pausen wurde ich immer wieder, mit wunderbaren Ausblicken aufs Tal und das Meer belohnt. Irgendwann erreichte ich die ersten kleinen Bergdörfer. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, krassende Kühe, bucklige Frauen mit Kopftüchern auf den Wiesen, Stille, nur das Rauschen des Windes. Als ich gerade mal wieder im Gänseschritt mein schwer bepacktes Rad schiebe, kommt von rechts ein Junge auf mich zu. Er stellt sich im guten Englisch als Ronaldo vor. In seiner verdreckten Hand, hält er ein Stück Feta-Käse. Gleich streckt er mir diese entgegen, und bietet mir etwas an. Ich lehne dankend ab. Von Kopf bis Fuss ist er ungewaschen, man riecht das es wohl schon einige Wochen sind. Nach dem üblichen Small-Talk, verabschiede ich mich, ich habe noch ein wenig Arbeit vor mir.Kurve Links, kurve Rechts. Nach jeder Kehre wünsche ich mir die Passhöhe herbei, das Erahnen einer letzten Anhöhe, und danach die rauschend Abfahrt.

Wenige Meter nach dem Treffen mit Ronaldo, sehe ich einige Meter vor mir in der Kurve, ein geschlossenes Restaurant, wie viele hier oben. Nur im Sommer lockt es die nach Frische und Kühle lechzenden Touristen hier rauf. Ich setze mich mal wieder aufs Rad, und mühe mich im kleinsten Gang den Berg hinauf.
Und dann passierte es! Innerhalb von Sekunden, völlig unvorbereitet. Gerade als ich auf der Höhe des Restaurants bin, kommt aus einer Ecke, ein Hund heraus gerannt, direkt auf mich zu, während ich mich 8 Kmh den Berg hinauf fahre. Das Adrenalin schiesst mir sofort ins Herz, und lässt es noch schneller schlagen. Der Hund bellt wie verrückt, läuft rechts und links neben dem Fahrrad, wechselt immer wieder die Seiten. Ich bleibe im Sattel, instinktiv und unbewusst trete ich schneller, die Angst fährt mit. Ich schaue immer wieder auf den Hund, mir bleibt nicht viel übrig, als einfach weiterzufahren. Er macht keine Anstalten zu zubeissen. Nach einigen Metern läßt er ab, er hat sein Revier erfolgreich verteidigt, seinen Job getan. Meiner liegt noch vor mir. Auf einer Anhöhe mache ich Pause, stelle das Fahrrad ab, erhole mich zuerst mal, von den Strapazen, und dem Schock. Soeben bin ich einer meiner tiefsten Ängsten begegnet. Und ich lebe noch!

Ich schaue nach vorne auf die Strasse, und zurück sehe das weite Tal, ich bin schon ziemlich weit oben. War es das schon, habe ich es geschafft? In einem Restaurant gönne ich mir zuerst mal einen wärmenden Tee, hier oben pfeifft ein eisiger Wind. Ich frage den Kellner, er meint einen Kilometer geht es noch nach oben, dann nur bergab. Ok, die schaffe ich auch noch, das gröbste habe ich wohl hinter mir. Weit gefehlt!

Schon wenige Meter nach dem Restaurant, kommt von einem geschlossenen Restaurant auf der linken Seite, die zweite Hundeattacke. Diesmal sind es zwei. Sofort rennen sie über das Grundstück, bis zur Mauer, die aber offen ist. Dort machen sie kurz Stopp. Ich drehe ab, und lasse mich ein paar Meter abwärts rollen. Ich muss da vorbei, es gibt keine Alternative. Vom Strassenrand hebe ich ein paar Steine auf, und stecke sie mir in die Tasche. Ok, auf zum Gefecht.

Im kleinsten Gang trete ich wie verrückt in die Pedale, das Grundstück kommt, die Hunde auch. Als ich etwa in der Mitte bin, kommen sie wie erwartet auf die Strasse gerannt, verfolge mich. Ich beobachte sie genau, die Hand in der rechten Tasche bei den Steinen. Wenn ich werfe muss es ein Volltreffer sein. Aber nur wenn sie zubeissen wollen. Aber wieder ist es so, das sie mich nur vertreiben, nach einigen Metern, drehen sie ab und laufen zurück.
Oh Mann, wie oft denn noch? Das schafft mich fast mehr, als der Berg. Und der gibt jetzt noch mal alles. Eine Kehre nach der anderen, ha, die Passhöhe war noch lange nicht erreicht. Ich bin nur noch am schieben, stemme mich gegen den Lenker, und drücke mit letzter Kraft das Rad nach oben. Es ist schon spät, ab fünf fängt es an zu dämmern.

Und dann, nach gefühlten unendlichen Stunden und Strapazen, nach 18 Km nur bergauf, erreiche ich endlich die Passhöhe, auf 1.027 Metern.
Pünktlich zum Sonnenuntergang. Ein atemberaubender Ausblick auf das Meer, und riesige Wolkenfelder eröffnet sich mir, die zum greifen nah scheinen. Das muss ich auf Kamera festhalten. Aber viel Zeit zum verschnaufen und träumen bleibt nicht, es wird dunkel und ich habe noch eine Abfahrt vor mir.

Rauf aufs Rad, Halstuch umgebunden, Helm auf dem Kopf, und los geht’s. Ganze 10 Kilometer, brauche ich kein einziges Mal zu treten, nur rollen und bremsen. In der ersten Ortschaft nach der Abfahrt, verfolgt mich ein letztes Mal ein Hund, diesmal habe ich aber genügend Speed das ich einfach davonfahre. Gegen 18 Uhr erreiche ich in völliger Dunkelheit, Dhermi, ein im Sommer überfüllter Touristenort. Ich habe mal wieder Glück, finde ein Hotel das mir Nachlass gewährt. Auf dem Zimmer mache ich mir eine Portion Reis, Duschen, falle ins Bett, was für ein Tag!

Tag 57

Als ich erwache merke ich schnell, das mir der gestrige Tag noch in den Knochen steckt, in physischer wie in psychischer Natur. Wie hat mal eine Psychologin zu mir gesagt „immer der Angst entlang“. Das habe ich gestern erlebt, und vielleicht hat es mir für die Zukunft wirklich was gebracht.

Heute möchte ich bis Himare fahren, was etwa 20 KM sind, und dann ausruhen, ein schickes kleines Hotel am Meer. In gewohnter Manier, also auf und ab, kämpfe ich mich bis Himare durch. Am Ortseingang komme ich mit einem Griechen ins Gespräch, der hier einen kleinen Laden betreibt. „Hier ist schon Griechenland“ meint er zu mir. Wie auch immer, geografisch und psychisch fühle ich mich noch in Albanien.
Der Grieche empfiehlt mir auch einen wunderschönen Strand mit Holzhäusern, die man für 10€ mieten kann, etwa 10 KM nach Himare. Trotzdem fahre ich ins Zentrum, um mir die Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort mal anzusehen. Eine Weise Entscheidung. Am nächsten Tag, als ich weiterfahre, entdecke ich nämlich keinen Strand, geschweige den Holzhäuser, das wäre eine Fahrt ins Nirgendwo geworden.

Ich machte vor einem Geldautomat halt. Sofort als ich das Rad abstellte, kommt eine Frau auf mich zu, und spricht mich auf Englisch an: „You need a Room, Hotel, here“. Normalerweise habe ich eine natürlich Aversion gegen solche Arten der Annäherung und Anpreisung egal von was. Aber ich suchte ja tatsächlich ein schickes Zimmer. Und so sage ich, ja ich suche ein Zimmer kommt aber auf den Preis an. So ging ich mit ihr in das kleine Hotel, das gleich neben der Bank lag. Sie zeigte mir ein Zimmer, das direkt am Meer lag, mit kleinem Balkon, darunter der Sandstrand. Unbezahlbar, denke ich mir gleich. Und dann sagt Sie, 1.000 Lek, was ungefähr 7 € sind! Das Zimmer ist für mich gebucht! Ich frage noch mal nach, ob Sie das ernst meint, Sie meint ja, normalerweise 20, ich solle es keinem anderen Tourist erzählen! Kein Problem, so viele laufen hier ja gerade nicht rum.

Die Besitzerin ist geschätzte Ende vierzig, und hyperaktiv. Sie redet wie ein Maschinengewehr, und ist immer am rotieren, mit Händen und Füssen. Aber eine ganz Nette und Hilfsbereite. Ich richte mich häuslich ein, kaufe ausreichend ein, um es mir hier gut gehen zu lassen. Nach dem letzten anstrengenden Tag, genau das richtige. Da das Wireless Lan aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert, frage ich, ob ich in ihrem Büro kurz meine Emails checken kann. Gar kein Problem. Während ich da sitze, fragt sie mich, ob ich mich mit Computern auskenne. Ein wenig schon. Fünf Minuten später, erstelle ich für Sie, in Excel eine Reservierungsliste für Ihr Hotel. Dafür bekomme ich einen Tee, und am nächsten Morgen, sogar ein Brot mit Marmelade und Käse.

Während ich am PC sitze, kommen abends zwei Touris vorbei, ein Irre und ein Grieche. Der Grieche ist gleich bei mir unten durch, als er mich fragt ob ich mit Vornamen „Fritz“ heisse?! Engstirnig und voller Klischees, wie ich es hasse. Natürlich kamen wir gleich auf die aktuelle finanzielle und politische Lage in Europa, und speziell in Griechenland zu sprechen. Der Irre, der seit 20 Jahren in Athen lebt, erzählte mir in seiner selbstgefälligen Art mit wilden Gesten und lauter Stimme, von Griechen die am Tag 4 Stunden arbeiten, bestechlichen Ärzten und seinen 30 Jahren Erfahrungen als Reiseführer.

Irgendwann rauchte mir der Kopf, und ich verabschiedete mich auf mein Zimmer. Auf dem Balkon, mit Blick auf die Sterne und dem Rauschen unter meinen Füssen, ließ ich den Tag, bei einer grossen Portion Pasta mit Gemüse ausklingen.

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