Dienstag, 10. Januar 2012

Die Geschichte hinter dem Reisen

Wenn ich mich recht entsinne, hatte ich bisher noch nicht über die Hintergründe meines Um- und Aufbruchs vor rund zwei Jahren berichtet. Zumindest nur in kurzen Zeilen. Zum zweijähringen Jubiläum dieses Blogs, wird es wohl Zeit für die Geschichte hinter der Geschichte:

Es muss irgendwann im Februar oder März 2008 gewesen sein. Mein erster Kinobesuch seit langem. Dazu muss ich sagen, dass ich kein großer Kinogänger bin. All diese Blockbuster im Mainstreamkino gefallen mir meistens nicht. So kann es durchaus ein paar Jahre dauern, bis ich wieder einen Film gefunden habe, der mir zusagt. Das Stichwort ist Programmkino.
Von dem Film von den ich hier berichten möchte, hatte ich im Vorfeld schon einiges gehört. Nur positive Kritiken. Ich wusste nur er beruht auf Tatsachen und erzählt die Geschichte eines jungen Amerikaners, der durch die USA reiste.
Was ich zu dieser Zeit noch nicht ahnte, dieser Film sollte mein Leben grundlegend verändern.

Das nächste Programmkino war in Lich, das preisgekrönte Traumstern. Eines Abends fuhr ich mit meinem Golf dorthin. Es lag nur 10 Kilometer von meinem damaligen Wohnort entfernt. Ich parkte mein Auto auf dem Seitenstreifen und ging zum Eingang. Ich war etwas früher da, und setzte mich ins Foyer. Als ich mich umschaute, sah ich nur wenige Leute. Wahrscheinlich deshalb, weil der Film hier schon einige Vorstellungen hatte. Ich kam an einem der letzten Abenden zur Spätvorstellung. An der Kasse holte ich mir die Eintrittskarte. Der Mann hinter der Theke erwähnte etwas, an das ich mich nicht mehr genau erinnern kann, etwas in der Art „ein guter Film, viel Spass.“ Naja, abwarten dachte ich mir. Kurze Zeit später saß ich im Kinosaal, auf einem Sitz rechts aussen in den hinteren Reihen.

Und dann ging es los. Die übliche Werbung, die wir alle kennen im Kino, und die wir alle hassen. Ich war gespannt. Schaute mich kurz um, vielleicht 20 Leute waren im Saal, in meiner Reihe saßen nur noch 2 andere. Gut so. Wenn es zu voll ist, gibt es immer wieder ein paar Störenfriede, die null Respekt vor der Gebotenen und zu erwartenden Ruhe in einem Kinosaal haben. Das trübt das Kinoerlebnis: Geflüster, Poppcorngeraschel, Handyklingeln. Zumindest geht es mir so. Und wenn ich schon mal ins Kino gehen, soll das ein Genuss, ein Highlight sein. Ich möchte mich ganz auf den Film, auf das Kinoerlebnis einlassen, meine Umgebung vergessen. Der Film entführt mich in seine Welt.

Es geht los. Weite Landschaft, Berge, Schnee. Dann sieht man von der Ferne, wie sich langsam ein Auto nähert, ein Pickup. Die Kamera ist in der Vogelperspektive. Man hört ein Gespräch zwischen zwei männlichen Personen. Als nächstes steigt ein junger Kerl aus, schwerbeladen mit einem Rucksack. Er verabschiedet sich von dem Fahrer, und stapft durch den hohen Schnee. Die Kamera schwenkt langsam über ihn, auf die schier unendliche Weite mit ihren Bergzügen. Von links kommt plötzlich eine Handschrift auf die Leinwand, in gelben Lettern. „Ich brechen nun auf in die Wildnis, Into the Wild!“

2,5 Stunden später. Der Abspann läuft. Ich bleibe sitzen bis er zu Ende ist. Ich brauche diese Zeit, wäre ich vorher aufgestanden, hätte ich meine Emotionen nicht länger zurückhalten können. Ich warte bis fast alles draussen sind. Dann stehe ich auf, sammle mich kurz, nehme meine leere Colaflasche und gehe zur Kasse- Ich stelle die Flasche auf die Theke und stammle dem Typen von der Kasse etwas zu , in etwa: „Ja guter Film“. Ein kurzes Ciao und in Windeseile verlasse ich das Kino. Ich bleibe weiter gesammelt, steige ins Auto. Ok, Tür zu, allein. Was ist da im Saal die letzten 2,5 Std. passiert, was war das nur für ein Film?? Zuerst mal heimfahren, denke ich mir. Motor an, 10 Minuten später bin ich kurz vor dem Ortseingang. Links erspähe ich einen Feldweg, habs mir anders überlegt. Starkes Abbremsen, Linksschwenk, schon stehe ich dort. Motor aus. Tür auf. Ich schnappe frische Luft, und schaue in den glänzenden Sternenhimmel. Nun brechen alle Dämme.
Ich weine. Rotz und Wasser, wie ein Schlosshund. Ich weine ohne Hemmungen. Die 2,5 Stunden sind schuld, dieser Film, diese Bilder, diese Story, diese Sätze, dieser Mut und diese Ideale. Und dieses Ende.
Noch nie ist mir so etwas passiert. Noch nie hat ein Film mich so berührt. Noch nie hat mich ein junger Mensch mit seinem Leben so berührt. Der Film handelt von Christopher J. McCandless, der nach seinem Collegeabschluss mit Bestnoten von heute auf morgen alles hinter sich liess, sein Erspartes an eine Wohltätigkeitsorganisation spendete und seine letzten Dollars verbrannte. Auf eine oberflächliche, heuchlerische Karriere im 20. Jahrhundert hatte er keine Lust. Ihn trieben andere Werte und Ideale an. Daraufhin zog er 2 Jahre durch den Mittleren Westen der USA, bis er im Frühjahr 1992 sein grosses Ziel im hohen Norden erreicht hatte.... Mehr verrate ich nicht. Der Autor John Krakauer recherchierte drei Jahre lang seine Geschichte, sprach mit Collegekollegen, Freunden, Familie und Weggefährten und schrieb darüber ein Buch.

Soviel zum Film. Nun wieder zu mir. Rückblickend kann ich aus vollster Überzeugung sagen: in dieser Nacht, unter dem bestirnten Himmel, passierte etwas mit mir. Dieser Film, diese Story brach in mir etwas auf, etwas das schon sehr lange in mir schlummerte und brach lag!
Ich kaufte mir das Buch und den Filmsoundtrack. Das Buch lass ich zweimal komplett und blätterte danach immer wieder hinein. Die Sätze und Zitate die ich dort lass sprachen mich sofort an. Ich markierte einige und machte mir Anmerkungen.

Ohne Chris würde ich heute nicht in Griechenland sein. Ja, ich wäre wahrscheinlich nirgendwo gewesen, noch nicht einmal auf dem Jakobsweg in Spanien. Wahrscheinlich würde ich in einer Wohnung in Deutschland sitzen, und darauf warten, dass am nächsten morgen wieder um 6.30 der Wecker klingelt: Hallo, ein neuer Tag im Büro, ein neuer Tag als Hamster! Ein Jahr später, im Mai 2009 stand ich am Kap Finsterra in Nordspanien, nach vier Wochen auf dem Jakobsweg. Fünf Monate danach saß ich auf meinen voll bepackten Trekkingrad und fuhr in Italien einem neuem Leben entgegen. Der Rest ist mittlerweile Geschichte und hier auf dem Blog nachzulesen.

Der Film wurde ein absoluter Kassenschlager. Im Internet fand ich viele Zitate von jungen Leuten wie dieses: „ Der Film hat mein Leben verändert“. Ich glaube das „Chris“ mit seinem Leben und seinen Idealen eine ganze Generation angesprochen hat. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen: verrückt, naiv, leichtsinnig, zu idealistisch. Bei diesen Stimmen höre ich immer das „vernünftige und sichere Leben „ heraus. Oder das Angepasste! Wie auch immer, das soll jeder selbst beurteilen. Es heißt ja nicht, das man dieses Leben genau so nachmachen muss. Aber zum Nachdenken bringen, das schon!

Mich hat dieser Film, und noch mehr dann das Buch, zum Nachdenken gebracht, hat eine Welle in Bewegung gesetzt, die in der Vergangenheit immer wieder mal anstieg und dann schnell wieder abflaute.

Christopher McCandless Geschichte endete genau vor zwanzig Jahren. Wie ihr sehen könnt, gibt es auf meinem Blog schon eine dauerhafte Widmung. Nun passend zum Jubiläum habe ich diesen Artikel verfasst. Einmal um allen Interessierten, die Hintergründe für meinen Aufbruch zu schildern. Und zum anderen, um „Alex“, wie er sich während seiner Reise nannte, meinem tiefsten Dank auszusprechen: Du bist deinem Traum gefolgt in aller Konsequenz und ohne Kompromisse, bist aufgebrochen um einer Gesellschaft voller Gier und Missachtung zu entfliehen, um nur deinem Herzen und deinen höheren Idealen zu folgen, in vollkommener Freiheit und Wahrheit. Du bist eines meiner größten Idole und Vorbilder. Deine Werte, deine Ausdauer und deine Ideale werden mich auch weiterhin auf meiner Reise begleiten!

Für alle die nun neugierig geworden sind, hier der Trailer zum Film.

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