Sonntag, 25. September 2011

Über das einfache Reisen

Ich bin wieder bei Kräften. Heute in Passau, der letzten grossen Stadt in Deutschland angekommen. Müde, durch gefroren, aber zufrieden. Wenn man so alleine auf dem Rad unterwegs ist, hat man viel Zeit sich Gedanken zu machen. Natürlich ist es zuweilen sehr anstrengend, ja manchmal frage ich mich auch, warum all diese Strapazen auf mich nehmen? Gleichzeitig ist mir aber auch bewusst, diese Freiheit so zu reisen, so unabhängig zu sein, ist ein Privileg, für das mich einige Leute beneiden. Zu dieser Aussage komme ich nach einigen Gesprächen mit verschiedenen Menschen in den letzten 2 Jahren.

Und das muss ich mir immer wieder bewusst machen, dann weiß, ich warum ich Kälte, Hunger und Entbehrung auf mich nehme: Um ein selbstbestimmtes Leben zu führen!
Wer lange unterwegs ist, kommt zum wesentlichen zurück, zum Ursprung. Ich freue mich auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen nach einer eiskalten Nacht, auf den ersten warmen Tee der meine klammen Finger wärmt, auf eine einfache Käsesemmel, die meinen nie zu stillenden Hunger ein wenig lindert. Es sind einfach die kleinen Dinge, die man viel intensiver wahr nimmt, und schätzen lernt!

Zum Beispiel die Gerüche. Ich radel so vor mich hin. An mir huschen dutzende Passanten und Radler vorbei und mit Ihnen ganz unterschiedliche Gerüche. Das markante Männerparfum des letzten Radlers liegt mir noch in der Nase, da kommt schon das liebliche, blumige Parfum der nächsten. Kaum ist das verflogen, kommt der kräftige Geruch von frisch gemähten Gras. Zuweilen kommt es vor, das ich einen Geruch wahrnehme, aber gar nicht einordnen kann, woher und von wem er kommt. So atme ich einmal tief ein, erfreue mich an diesem angenehmen Sinneseindruck, und fahre weiter.

Auch die anderen Sinne sind geschärfter. Und so drehe ich meine Runden, und bin mit allen Sinnen dabei. Moment für Moment, Eindruck für Eindruck. Bei dieser Art des Reisen, verschwindet ganz allmählich das ständige Gedankenkreisen, das wir alle kennen. Aber natürlich nicht ganz. Abends wenn ich müde in meinem Schlafsack liege, kommen auch diese wieder. Aber ich stelle fest, auch dieser bisweilen grösste Fluch unseres Menschseins, das Denken, verändert sich. Auch dort, kann ich ein Zurückfinden auf ganz wesentliche, existenzielle Gedanken feststellen, was auch immer das für jeden bedeutet!

Neben diesen Reisen mit allen Sinnen, kommt noch ein anderer, mindestens genauso intensiver und wichtiger Aspekt dazu, die Begegnungen mit Menschen. Hierfür, möchte ich stellvertretend, zwei Beispiele der letzten 2 Wochen erzählen.

Zuerst eine Begegnung der amüsanten Art. Vor 4 Tagen machte ich 8 km vor Kehlheim Stopp, packe meinen Kocher aus, und bereite mir auf einer Bank mein Abendessen zu.
Da kommt ein stämmige Oberbayerin mit dem Radel und ihren 2 Hunden an meinen Tisch gefahren. Wünscht mir zuerst mal „Einen Guten“.
Wir unterhalten uns ein wenig. Als ich ihr erzähle, wo ich noch hin will, sehe ich in erstaunte und weit aufgerissene Augen und höre " Waaas, nach Griechenland“. Ja genau, nach Griechenland.
Offen wie ich bin, erzähl ich ihr so, das ich jetzt esse und dann einen Platz zum zelten suche. Sie dreht sich um, und zeigt auf eine Wiese mit Büschen „Hier hinten, am Kanal kannste zelten, sieht dich kein Mensch“. Ich mache ein Späßchen, und meine“ Verrat mich aber nicht, jetzt wo du meinen Zeltplatz kennst“ „Haha, heute nacht komme ich noch mal vorbei“ höre ein lautes Lachen und sehe in ein Gesicht mit süffisante Ausdruck. Ich grinse nur kurz. Wir unterhalten uns noch ein wenig, dann nimmt sie wieder ihre Hunde an die Leine, wünscht mir eine gute Weiterfahrt und radelt in ihr warmes Zuhause. Eine halbe Stunde später steht meins auf der Wiesen.

Die zweite Begegnung ist ein Beispiel für eine fast sprachlos machende Grosszügigkeit und Gastfreundschaft. Vor 2 Tagen stehe ich an einer Kreuzung kurz vor Straubing. Ich will nur schnell in die Innenstadt, um beim goldenen M. Meine Internetangelegenheiten zu erledigen.

Plötzlich hält neben mir ein Radler mit einem Tourenrad, schätze Mitte Fünfzig. Wie ich so bin, spreche ich ihn an, und frage nach dem nähesten Mc D. Er erklärt mir den Weg. Wir bleiben aber trotzdem noch an der Ampel, und unterhalten uns weiter. Der erste übliche Small – Talk. Seit wann ich unterwegs bin, wohin ich noch will usw. Als ich gerade dabei bin, weiterzufahren und mich verabschieden will, sagt Reiner plötzlich „Ins Internet kannst du auch bei mir gehen, ich wohne nicht weit von hier!“. Da muss ich nicht lange überlegen, frage nochmal ob es wirklich ok ist, und nehme dann gerne das Angebot an. Als wir gerade losfahren, meint er dann noch: „Wenn du nicht mehr weiterfahren willst, kannst du auch eine Nacht bei mir auf der Couch schlafen!“ Ich bin sprachlos.
Ich sage ihm das ich zuerst mal mit zu ihm fahre und dann entscheide, ob ich heute noch weiter will. Als wir ankommen, und ich einen Blick auf die Uhr werfe, ist die Sache klar. Die Aussicht auf eine warme Dusche und warmen Schlafplatz sind zu verlockend.
Aber vor allem diese zufälligen Begegnungen und sich daraus entwickelnden Ereignisse lassen mich einfach immer wieder nur erstaunen. Ich meine wo gibt’s das sonst, in einem normalen, bürgerlichen Alltag? Du kommst mit einer Person an der Ampel ins Gespräch, und 30 Minuten später, hast du eine Einladung zum übernachten. Das gibt es nur, wenn man so unterwegs ist, offen ist, und einfach vertraut.

Kurz, Reiner ist selbst begeisterter Radler, der auch schon einige Touren gemacht hat. Allein die Wahrscheinlichkeit so jemanden an der Ampel zu treffen. Wieder einmal mehr, bekomme ich auf meinen Reisen bestätigt, es gibt keine Zufälle!
Reiner ist eine grosse Seele. Abends macht er Wiener Würstchen warm (ja habe ich gegessen, Gastfreundschaft geht bei solchen Touren eindeutig vor), wir unterhalten uns noch angeregt, und dann bietet er mir tatsächlich sein Bett als Schlafplatz an, er geht auf die Couch. Zuerst lehne ich ab, aber er bleibt hartnäckig. Am nächsten Morgen gibt es Semmeln zum Frühstück und noch eine für unterwegs. Er begleitet mich noch bis Deggendorf, um uns dann zu verabschieden, nicht aber ohne vorher die Email Adressen getauscht zu haben, und ihm mit grossen Dank zu versichern, wegen solchen Menschen wie ihm bin ich unterwegs. Ja es gibt sie noch, die Menschen die aus dem Herzen leben.

Diese täglich neuen, stets anders und teils völlig unerwarteten Kontakte, gepaart mit dem intensiveren Wahrnehmen, machen diese Art des Reisens so spannend, so faszinierend, so lebendig.

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