Mittwoch, 28. März 2012

Im Schneegestöber nach Deutschland

Tag 8: Wiesing -Lenggries

Früh am Morgen geht es wieder los. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich nix gutes. Nieselregen, der teilweise in Schnee über geht. Wir sind hier auf gut 900 Metern. Ich rüste mich aus mit Regenhose und Gamaschen. Nach weiteren 3 km habe ich den Anstieg geschafft. Mittlerweile ist der Regen in richtigen Schneefall übergegangen. In der Tourist-Info von Murach am Achensee wärme ich mich zuerst mal auf. Für einen Tag ist der Winter noch mal ausgebrochen, zumindest hier oben. Es gibt einen Radweg entlang des Sees, den ich aber nicht nutzen kann, da dort noch gut 1 Meter Schnee liegt. Also wieder Landstrasse, was mir ja auch grundsätzlich nichts ausmacht. Ich bin hart im Nehmen, aber muss mich ja nicht unnötig schinden. Zumal es morgen wieder viel besser werden soll. So fange ich schon am frühen Nachmittag an, nach einer Unterkunft zu suchen. Natürlich fällt zelten wieder aus, hier liegt noch mehr Schnee als weiter unten.

Am Achensee in Österreich
 
In Achenfeld frage ich bei den ersten Vermieter von Privatzimmern nach. Dreimal erhalte ich ein Nein, noch nicht mal im Keller, oder im Schuppen, das alte Spiel, ohne Moos nix los,nach dem Motto, mir schenkt auch keiner was! Ok, dann fahre ich einfach weiter, vielleicht ist es noch zu früh. Nach Achenwald überquere ich die Grenze zu Deutschland. Nach 6 Monaten hat mich mein Heimatland wieder. Hurra! Nein, eher nicht. Zumindest nicht gleich. Man mag es mir kaum glauben, aber als ich die ersten Meter auf deutschen Boden fuhr, eine ruhige Landstrasse entlang des Sylvensteinsees, da durchfuhr mich für einen kurzen Moment eine innere Kälte. Draussen war es kalt, ich hatte nasse und klamme Finger, aber gleichzeitig zog sich für einen Moment mein Herz zusammen. Zurück im Land der sozialen Kälte, der Isolierung und Abgrenzung!? Das waren meine ersten Gedanken, obwohl mir schon klar ist, das dies nicht für alle gilt, aber für einige.




Diese soziale Kälte bekam ich gleich zu spüren. Ok, ich wollte es auch gleich herausfinden, ob sich meine innere Wahrnehmung mit der äußeren Realität deckt? Ich war ja immer noch auf der Suche nach einem Schlafplatz. Im ersten Kaff auf meinem Weg steuere ich einen Gasthof an. Vor dem Haus steht ein Auto. Ich betrete die Gaststube und trefe auf die Wirtin. Eine ältere Dame um die 60. Ich erzähle meine Story, das ich auf dem Rückweg von Griechenland bin, mit 5€ am Tag reise und prinzipiell überall schlafe, egal ob im Keller, in einer Kammer oder im Stall. Die 30€ für ein Privatzimmer hätte ich aber nicht. Ihr Blick schweift in die Leere, ein kurzer Moment des Schweigens, dann sagt Sie: "Nein, da gibt es keine Möglichkeit". Ich bin müde, habe nasse Finger und mir ist kalt. Der Gastraum ist leer, das ganze Haus wird leer sein, keine Menschenseele verirrt sich um diese Jahreszeit in dieses verschlafene Kaff. Ich merke wie es bei mir innerlich steigt. Nicht so sehr, weil  ich jetzt weiterfahren muss, der nächsten Person genau das gleiche erklären muss und wieder in ein gespanntes und leeres Gesicht blicken werde, nein, in mir steigt eine Mischung aus Frustration, Wut und Verständnislosigkeit auf. Sätze fallen, wie diese: "Mir zahlt auch keiner die Rechnung für den Strom". "Ich muss mir meinen Urlaub auch eisern absparen". "Mich fragt auch keiner wie es weitergeht."

 Ich kann es einfach nicht verstehen. In diesem Moment wird mir klar, dass es einige Zeit dauern wird, bis ich mich wieder an mein Heimatland gewöhnt haben werde. Warum werden in Ländern wie Bulgarien, Rümanien, der Türkei, Iran oder Pakistan, Reisende von der Strasse aus in das eigene Haus eingeladen, eine arme Bauernsfamilie mit 6 Kindern, die von der Hand in den Mund lebt. Zur Not wird das letzte Huhn geschlachtet, die Kinder in den Stahl verfrachtet, damit der Reisende eine ruhige und erholsame Nacht im Bett verbringen kann??  Warum werden in einem Land, das es sich leisten kann, mit Brot zu heizen und die Hälfte aller hergestellten Lebensmittel weggeschmissen werden, Reisende, die bewusst mit wenig Geld reisen, wie Penner und Schmarotzer angesehen und bekommen keinen Schlafplatz in einem leerstehenden Haus?

Mir ist schon klar, das dies mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsebenen zu tun hat, auch mit religösen und kulturellen Hintergründen, aber trotzdem, die einen haben materiell gesehen rein gar nichts, die anderen haben alles im Überfluss. Diese ganzen Sätze, wie "Mir hilft auch keiner", sind meiner Meinung nach Ausflüchte, ja, im Grunde Hilfeschreie eines isolierten, abgrenzten Ich's, einer Kultur der Ellenbogen, sei dir selbst am nächsten, wenn ich kein Geld mehr habe verhungere ich, das Haus ist weg, und vieles mehr. Überkompensationen und Rationalisierungen eines subtilen, alle Lebensbereiche durchströmenden Gefühls: einer tiefsitzenden Existenzangst gepaart mit einem Gefühl der Ohnmacht. Erich Fromm sprach in diesem Zusammenhang einmal von der " Furcht vor der Freiheit". Materiell gesehen haben wir alle Freiheiten, können tun und lassen was wir wollen, so meinen wir, und sind doch so gefangen in unseren eigenen Fesseln der Isolation, der Angst und der Ohnmacht. Der anatolische Kartoffelbauer scheint im Vergleich dazu so arm zu sein, und ist in Wirklichkeit innerlich viel freier, als der Unternehmensberater mit seinem Porsche Cayenne und seiner Rolex am Handgelenk. Innere Leere und Sinnlosigkeit wird durch äußere Status- und Besitztümer überdeckt. Es geht mir nicht um Grabenkämpfe, Bonze da oben, Hartz IV-Empfänger da unten, wer ist besser oder wer ist schlechter, es geht um ein Verstehen der wahren Motive und Hintergründe und ein abbröckeln einer scheinbar sicheren und heilen Fassade.

 Ich möchte nicht betteln, ich möchte kein geheucheltes Mitleid, ich möchte hinter diese Fassade gucken, möchte den spröden Putz ein wenig abhauen, um dann dahinter den wahren Menschen zu sehen, mit all seinen Ängsten und all seinen Sehnsüchten. Nach so vielen unterschiedlichen Begegnungen in den letzten Jahren, würde ich dies als einen der Hauptgründe für meine Reisen nennen, ich kann nicht eine Birke von einer Eiche unterscheiden, aber ich kann mittlerweile ganz gut hinter die "menschlichen Masken" schauen!

Natürlich auch hinter meine eigene. Und so weiß ich, das ich in solchen Situationen sehr schnell patzig, forsch, ja zuweilen auch dreist werde. " Das müssen Sie mit Ihrem Gewissen ausmachen", ist mein letzter Satz, bevor ich die Tür von aussen wieder zu mache.  In Lenggries geht das Spiel bei drei weiteren Privatunterkünften weiter. Und in der Jugendherberge. Die Frau ist sehr nett, humorvoll und würde mir sofort einen Platz im Aufenhaltsraum zur Verfügung stellen. Leider ist die Herberge noch geschlossen, nach der Büroarbeit ist Sie wieder weg. Also stecke ich auf. Wenn es nicht so nasskalt gewesen wäre, hätte ich einfach mein Zelt auf einer Wiesen aufgeschlagen. So lande ich in einem typischen bayerischen Gasthof, mit einer Bedienung im Dirndl und Schweinsbraten als Tagesempfehlung. Der Wirt kommt mir sehr entgegen und so zahle ich fast die Hälfte des eigentlichen Zimmerpreises, auch wenn dieser immer noch um das vierfache über meinem Tagesbudget liegt.

Tag 9: Lenggries - München
Gesamt-KM: 4.198

Es gibt ja immer noch das Thema "Wegwerfgesellschaft" auf meiner Rückfahrt. In Wolfrathshausen frage ich bei Tengelmann nach aussortierten Lebensmitteln. Die nette Mitarbeiterin erklärt mir, dass Sie Anweisung von der Zentrale haben nichts rauszugeben! Ein grosser Teil geht zwar zu den Tafeln, aber viel landet noch in der Tonne. Ich bin fassungslos. Sie meint noch, das Sie das selber nicht verstehen kann und wenn mehr Menschen darauf aufmerksam machen würden, würde sich vielleicht daran etwas ändern. Eben ist Sie einem begegnet, der genau dies machen möchte!

In München habe ich für heute einen sicheren "Warmshowers-Unterkunft" und so freue ich mich auf eine weitere Nacht in einem warmen Zimmer und Austausch unter erfahrenen Tourenradler. Mein freundlicher Gastgeber, Daniel, lebt in der Säbener Strasse, also dort, wo der grösste und reichste Fußballverein Deutschlands seinen Hauptsitz hat. Da ich früh am Nachmittag schon da bin und erst abends in die Wohnung kann, mache ich einen kleinen Abstecher und schaue mir diesen Protz einmal an. Ich war nie ein richtiger Fußballfan, obgleich ich schon ein wenig mit den Bayern sympathisierte. Heute ist mir das völlig schnurz.
Profis sehe ich keine, aber als ich an der Bande lehne, fährt K.H. Rummenige mit seinem Audi A8 an mir vorbei. Ich vertreibe mir ein wenig die Zeit auf dem Gelände, auf dem man überall erkennen kann, das hier viel Geld im Spiel ist. Allein schon an den reservierten Parkplätzen für Hoeneß, Nerlinger und Co. und einem Audi A8 und Q7 nach dem anderem.

Tag 10 - 13: Aufenthalt in München

Ruhige und aufregende Tage in München. Die ersten 2 Nächte bin ich bei meinem Warmshowers-Kontakt.  Dann ziehe ich um nach Maisach, wo ich bei dem netten Ehepaar Michael und Petra unterkomme. Ein Kontakt über Facebook und über die örtliche Occupygruppe, ein weiteres Thema mit dem ich mich auf meiner Rückfahrt auseinandersetzen wollte. Ich erlebe viel Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Verständnis, werde zum Essen eingeladen, habe ein eigenes Zimmer, viele Gespräche und manche Begegnungen. Nach vier Tagen verlasse ich an einem Samstag München. Im Regen und mit einigen Erfahrungen und Erkenntnissen mehr im Gepäck. Nun geht es streng Richtung Norden, Ingolstadt, Nürnberg, Forchheim und dann ist die Tour auch schon bald vorbei. So langsam schleicht sich ein Gefühl  von Wehmut und Vorfreude ein, eine Freude und Spannung, all das Erlebte in einen neuen Alltag zu transformieren.

Marienenplatz München





Update: Aktuelle Position



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