Donnerstag, 15. März 2012

Der Duft der Freiheit

Am Samstag ging es dann endlich los. Mit dem Bus fuhr ich nach Kalamata, welchen ich am Morgen beinahe verpasst hätte und es deshalb zur einer schnellen Verabschiedung mit meiner Gastgeberin kam. Die Sonne schien, leichte, milde frühlingshafte Temperaturen. Ich fühlte mich leicht und beschwingt. Ich hatte reichlich Zeit, und so schlenderte ich über den Wochenmarkt. Düfte, Gerüche, wildes Treiben. Kein Zeitdruck, keine Hektik, ich liess mich treiben. Das Unstete, das Rastlose, wie sehr ist es ein Teil von mir. Wie sehr hatte ich es vermisst die letzten Monate, bei aller Wertschätzung für das Gegebene, für das Gewesene, für eine feste Unterkunft und den vielen Gesprächen, doch ein Teil von mir ist ein Nomade, der das Neue, Unverbrauchte sucht. Bruce Chatwin schrieb einmal von der "Nomadischen Alternative", als Gegenentwurf zu einem sesshaften Leben. Ich glaube das eine muss das andere nicht ausschliessen, beides kann möglich sein, das Umherziehen und das Zurückkehren, an einen Platz an dem man sich wohlfühlt, an dem man Kraft tankt und an dem geliebte Menschen auf einen warten.

Überfahrt von Patras nach Venedig 10.03. - 12.03.

So schlenderte ich ein letztes Mal mit diesen Gedanken durch Kalamata und freute mich auf den weiteren Tag. Um 16 Uhr traf ich mich mit Periklis, dem LKW-Fahrer und schon ging es los. Was für eine Aufregung. Das erste Mal auf einem 40-Tonner. Das Führerhaus gleicht mehr einem Wohnzimmer. Wem kann man es verdenken, bei den vielen Stunden auf unzähligen Autobahnen und Rastplätzen in Europa. Periklis würde ich als echten Trucker bezeichnen: Er raucht wie ein Schlott, mag Kaffee, Schnitzel, Steaks und Ouzo im Sommer. Aber einer mit Herz. Während der Fahrt bot er mir an mich bis nach Freiburg mitzunehmen. Eigentlich hieß es nur bis Venedig, aber er hatte sich noch einmal erkundigt und sogar für mich eine Versicherung abgeschlossen, sodass dies ohne Probleme möglich wäre. Entgegen meinen Plänen und so erbot ich mir Bedenkzeit. Wir hatten ja zwei Tage Zeit, bis wir in Venedig anlegen würden.

Die Fähre ging um Mitternacht von Patras aus. Gegen 19 Uhr kamen wir schon am Hafen an. Periklis fährt diese Strecke schon seit 7 Jahren und so ist er überall bekannt, wie ein bunter Hund. Am Ticketschalter gab es dann zuerst mal schallendes Gelächter. Natürlich sass da ein Freund von ihm. Nachdem wir schon das Ticket hatten, rauchte er zuerst mal 3 Zigaretten und redete lautstark mit seinem Freund von Minonan Lines. Irgendwann merkte ich, dass er von mir erzählte. Schnell kam aus dem Hintergrund ein andere Mitarbeiter dazu. Das Fenster wurde nun weit geöffnet und dann ging es los. Wie ich denn mit 10€ am Tag zwei Jahre reisen könnte? Wo ich überall war? Warum ich das mache? Wie bezahle ich meine Miete in Deutschland?
Das war nur eine kleine Auswahl, auch an Missverstandenem. Anyway. Der jüngere von beiden, mit wohlgenäherter Wohlstandswampe, war besonders penetrant, ja ich hatte sogar den Eindruck, er meinte vielleicht, ich würde hier allen etwas vorschwindeln?! Ich kenne das ja alles schon zu genüge aus der Vergangenheit und weiss daher, wie schwer, ja beinahe unmöglich es ist, so angepassten und konditionierten Menschen etwas von dieser Art des Lebens und Denkens näher zu bringen. Oder einfach zu erklären. So stellte ich dem wohlgenährten 30-jährigen, also meine Generation, nur eine Frage: Magst du deinen Job? Nein, aber ich muss ja...! Welch Überraschung? Im Prinzip war damit alles klar. Seit rund 2 Jahren mache ich das was ich mag und mich zwar materiell ärmer gemacht hat, dafür aber seelisch  unbezahlbar reicher!

Nach der kleinen Fragerunde ging es zurück zum Truck. Nun begann ein anderes Spiel: Wer fängt den schwarzen Mann?? Das Hafengelände ist umzäunt und an diesen Zäunen sitze junge Afrikaner, Pakistani und Afghanen (so erzählte es mir jedenfalls mein Fahrer) und warten auf eine günstige Gelegenheit, auf die fahrenden Trucks aufzuspringen! Ich konnte es zuerst gar nicht glauben, doch dann sah ich es mit meinen eigenen Augen. Irgendwie schaffen sie es unter dem Einsatz ihres Lebens, sich zwischen die Achsen des Anhängers zu klemmen, mit der Hoffnung unerkannt auf die Fähre zu kommen. Welch ein erfolgloses Unterfangen. Das erste was jeder Trucker macht, nachdem er geparkt hat, ist einmal um den Truck zu gehen, um mit der Taschenlampe in jede Nische zu leuchten. Das ganze Schauspiel konnte ich von dem Führerhaus aus beobachten. Einmal rief ich Periklis sogar zu, das dort vorne noch einer sitzt. Alle wurden sie ertappt, 4 an der Zahl an diesem Abend. Sie werden dann lautstark von den Truckern vertrieben, wortlos ziehen sie davon, und warten bei eisiger Kälte auf die nächste Gelegenheit. Einmal gab es fast eine Schlägerei, weil ein junger Afrikaner, tänzelnd und lachend vor Periklis und 3 anderen stand.

Es ist ein trauriges Schauspiel. Diese armen Kerle aus dritte Welt Ländern hoffen in das gelobte Land zu kommen, Mitteleuropa, dort frohlockt Arbeit, Sicherheit, Essen. Doch wie naiv und vielleicht doch verständlich?  Falls sie es tatsächlich schaffen, landen sie meist in Auffanglagern oder knieend und bettelnd in der Füßgängerzone. Auf die Fahrer warten in Italien bis zu 8 Jahre Gefängnis, falls sie am Hafen erwischt werden und der junge Afrikani behauptet er hätte dem Fahrer Geld bezahlt und ihm somit des Menschenschmuggels bezeichnet. So ist es in gewisser Weise ein hohes Risiko für beide Seiten, Periklis nannte es sein Berufsrisiko.

Irgendwann zur späten Stunde, es muss gegen 23 Uhr gewesen sein, die Müdigkeit schlug bei mir schon voll durch, ging es dann endlich mit dem Brummi auf die Fähre. Der lange Tag neigte sich seinem Ende, aber nicht ohne mit einer letzten Überraschung aufzuwarten. An der Rezeption des Schiffes traf Periklis weitere "Freunde", und so schaffte es dieser verrückte Kerl tatsächlich mir als sein "Co-Driver" ein Bett in einer 4er-Kabine zu besorgen. Ich stellte mich schon auf Schlafsack für zwei Nächte auf dem Deck ein. Einfach unglaublich. Müde schleppte ich mich in meine Kabine und traf dort einen weiteren Trucker aus Griechenland. Mittlerweile war es nach Mitternacht, ein neuer Tag und der 11.03. brach an. Vor genau 6 Monaten begann ich meine Reise ins Unbekannte. Ich lag auf meinem gemütlichen Bett, schaute an die Decke und schlief irgendwann mit einem seeligem Gefühl ein. So konnte es weitergehen...

- Fortsetzung folgt -

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